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Daniel Heitzler aus Berlin-Neukölln ist für den Bachmann-Preis nominiert.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Ingeborg-Bachmann-Preis 2019: Zauber der Jugend

In Klagenfurt beginnt am Mittwochabend der Bachmann-Preis – mit absoluten Newcomern und vielen Autorinnen.

Man würde jetzt natürlich gern schreiben, dass ganz Klagenfurt im Zeichen des 43. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs steht, der am Mittwochabend eröffnet wird; dass knapp einhunderttausend Bewohner und Bewohnerinnen des Kärntner Landeshauptstädtchen bis zum kommenden Sonntag an nichts anderes denken als an die Literatur, an Erzählungen von 14 Autoren und Autorinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Leider ist dem nur bedingt so. Das liegt dieses Jahr vor allem daran, dass der britische Pop-Barde Ed Sheeran auf Tour ist und gleich an zwei Tagen auch in Klagenfurt aufschlägt, am Freitag und Samstag. Beide Male ist das Wörthersee-Stadion ausverkauft, mit insgesamt 66 000 Menschen.

Nun hat Pop die Literatur schon immer geschlagen in puncto Massentauglichkeit, und trotz des täglich rappelvollen ORF-Studios (circa 220 Plätze) und der 3-Sat- und ORF-Live-Fernsehberichterstattung macht der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb da keine Ausnahme. Vielleicht reisen ein paar Ed-Sheeran-Fans ja wirklich ein, zwei Tage vorher an und schauen bei den Lesungen rein. Zumal es in diesem Jahr egal ist, ob sie überhaupt je einen Namen aus dem Teilnehmerinnenfeld gehört haben. Bis auf den berühmt-berüchtigten Interview- und Literaturfälscher Tom Kummer dürften fast alle der Lesenden nur sehr, sehr Eingeweihten des Literaturbetriebs ein Begriff sein.

Daniel Heitzler wurde in einer Bar entdeckt

Es verwundert daher nicht, dass dieses Mal sogar ein Autor dabei ist, der überhaupt noch nie etwas veröffentlicht hat, nicht in einer Anthologie, nicht in einer Literaturzeitschrift, nicht in einer Zeitung, geschweige denn einem Verlag. Daniel Heitzler heißt der junge Mann, der 1996 in Germersheim/Rheinland-Pfalz geboren wurde und inzwischen in Berlin lebt. Hier wurde Heitzler in der Bar entdeckt, in der er gejobbt hat. Ein Verleger suchte dort seinen Praktikanten, einen Freund von Heitzler, und der nahm dann einfach mal all seinen Mut zusammen und sprach den Verleger darauf an, dass er auch Literarisches schreiben würde. Am nächsten Tag schickte er einen Text, der beim Verlag auf Begeisterung stieß und schließlich über einen weiteren Umweg auf dem Tisch des Klagenfurter Jury-Vorsitzenden Hubert Winkels landete.

Es könnte ja ein Meisterwerk sein. Oder hatte Hubert Winkels Probleme, andere Erzählungen zu finden? Oder sucht er gerade die besten Unter-30? Schließlich ist auch der andere Autor, den er eingeladen hat, Leander Fischer, mit seinem Geburtsjahr 1992 noch lange keine 30 Jahre alt. Bei Fischer stehen in der Vita „Praktika in der Programmabteilung des Internationalen Literaturfestivals Berlin und im Lektorat Hanser Berlin“, aber auch Veröffentlichungen in so bekannten Literaturzeitschriften wie „Rampe“ und „Lichtungen“. Ebenfalls in die neue Klagenfurter Jugendlichkeit passt die 1993 in München geborene und in Leipzig am Literaturinstitut studierende Autorin Ronya Othmann, deren Veröffentlichungsliste gleichfalls eine eher bescheidene ist.

Jugend forscht ist besser als Gnadenbrot fürs Mittelmaß

Man könnte hier noch den einen oder die andere nennen und auf den Gedanken kommen, dass der 43. Ingeborg-Bachmann-Preis mehr an den Berliner Nachwuchswettbewerb Open Mike erinnert als an einen hoch dotierten Literaturwettbewerb (25 000 Euro bekommt allein der Sieger, die Siegerin, der, die Zweitplatzierte 12 500, insgesamt werden über 60 000 Euro verteilt) – aber Jugend forscht ist womöglich besser als Gnadenbrot fürs Mittelmaß. Und muss man erwähnen, wer in Klagenfurt schon alles aufgetreten ist, auch ohne einen Preis zu gewinnen, und heute in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur Rang und Namen hat, von Sibylle Lewitscharoff bis Saša Stanišic, von Arno Geiger bis Inger-Maria Mahlke, von Katharina Hacker bis Marcel Beyer? Am Ende gilt, was Tom Kummer in seinem Videoporträt so schön pathetisch und typisch kraftmeierisch von sich gibt: „Textarbeit halte ich für die leidenschaftlichste Arbeit, die ein Mensch ausüben kann.“ Und: „Literatur bringt den Zauber zurück in die Welt.“ Da muss sich selbst ein Ed Sheeran ordentlich strecken.

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