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Stelina Apostolopoulou, Jelena Banković, Ivi Karnezi (Drei Frauen) und Olivia Stahn (Die Gefangene)

© DAVID BALTZER / BILDBUEHNE.DE

"Infektion!"-Festival: Wenn der Kobold tobt

„Infektion!“: Zur Festival-Eröffnung an der Staatsoper inszeniert Hans-Werner Kroesinger "Die Luft hier: scharfgeschliffen".

Vieles stimmt am Konzept, und an den Ausführenden kann es auch nicht gelegen haben. In der brütenden Hitze der Schillertheater-Werkstatt überzeugen die jungen Mitglieder und Gäste der Staatsoper mit zumeist stiller Intensität. Hier ist die Luft nicht „scharfgeschliffen“, wie der Titel des das Festival „Infektion!“ eröffnenden Musiktheaters von Matthias Hermann sagt, sondern zum Schneiden dumpf. In beiden Fällen lässt sie sich schwer einatmen und vermittelt Bedrückung, ein Gefühl des Gefangenseins. In ihrem bleischwer wirkenden Papierkleid kauert Olivia Stahn auf dem spiegelglatten Fußboden, schnellt hoch, rast im Kreis. Sie summt hohe Töne, versucht sich an ächzenden Kehllauten, bricht nur einmal in einen schwellenden Sopranton aus. „Waffe Mensch“ hat sie da in steilen Lettern an die kalkige Wand geschrieben. Schreiben muss sie sowieso unablässig in ein kleines schwarzes Büchlein, spricht dazu abgehackte Sätze, die Ulrike Meinhof im „Toten Trakt“ der Haftanstalt Köln-Ossendorf zu Papier brachte: „Das Gefühl, der Kopf explodiert... Das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepresst, das Gefühl, das Gehirn schrumpelt einem allmählich zusammen...“

Der Stücktitel „Die Luft hier: scharfgeschliffen“ geht auf ein Gedicht von Ossip Mandelstam zurück – Thomas Wittmann spricht, schreit und stammelt den „Zeitgenossen sowjetischer Konfektion“, der im Warten auf seinen Prozess irre wird und im stalinistischen Lager verendet. Die rätselhafte Figur eines „Dschinn“ ist ihm zur Seite gestellt – Martin Gerke gibt ihn als diabolischen Kobold und darf sich als Einziger sängerisch austoben, mit furiosen Glissandi, grellen Spitzentönen, Pfeifen und Brummen. Drei strengen Wärterinnen sind nur Zischlaute und gesummte Kinderlied-Fetzen vergönnt; sie spielen Ringelreihn mit der Gefangenen und kreisen sie zugleich bedrohlich ein.

"Es ist langweilig, es ist traurig"

Karge Töne streut Lachenmann-Schüler Hermann über dieses zähe Nicht-Geschehen, mit dem Regisseur Hans-Werner Kroesinger und Bühnenbildner Stefan Britze die „weiße Folter“ der Isolationshaft allzu akribisch nachstellen. Dirigent Max Renne hält die im Raum verteilten Klangaktionen von Cello, Klarinetten, Trompete und Schlagzeug zusammen, isoliert auch sie. Doch solche Verdoppelungsstrategien schaffen kaum mehr als klaustrophobische Gefühle: „Es ist langweilig, es ist traurig“, beginnt ein Mandelstam- Gedicht; spannender wäre zu sehen, wie man aus dem bleiernen Papierkleid herauskommt.

Wieder am 29.6. sowie am 1., 6., 8. und 10.7.

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