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Léa Drucker und Alain Chabat in "Incroyable mais vrai".

© ATELIER DE PRODUCTION-ARTE FRANCE CINEMA-VERSUS PRODUCTION-2022

„Incroyable mais vrai“ in den Berlinale-Specials: Ein Loch im Keller verändert alles

Quentin Dupieux erzählt in „Incroyable mais vrai“ von einem Paar, das ein wunderliches Haus kauft. Der Film ist kühn konstruiert und wirft existenzielle Fragen auf.

Wie viel verrät man nur, wenn man über diesen Film schreibt? Die Handlung von „Incroyable mais vrai“ ist in der Tat unglaublich. Da trifft sich das Paar Marie (Léa Drucker) und Alain (Alain Chabat), um ein Haus zu besichtigen. Als sie im Keller ankommen, verspricht der Makler (Stéphane Pezerat) eine Überraschung, die das Leben der beiden verändern werde.

Doch erstmal ist da nur eine Luke im Boden. Sie klettern hinab und – tatsächlich! Ihr Leben wird nie mehr dasselbe sein. Natürlich nehmen sie das Haus.

Es geht es um fundamentale Obsessionen

Das klingt ganz nach einer Handlung, wie sie sich Quentin Dupieux ausdenkt. Der Franzose bringt seit 15 Jahren seine bizarren Visionen auf die Leinwand. Er schreibt das Drehbuch, führt Regie und Kamera und schneidet seine Filme selbst. Auf diese Weise hat der 47-Jährige – in den Neunzigern unter dem Namen Mr. Oizo als Musiker erfolgreich – schon von einer Lederjacke erzählt, für die der Träger bereit ist zu töten („Monsieur Killerstyle“), und von einem Killerreifen, der eine Wüstenstadt in Angst und Schrecken versetzt („Rubber“).

Nun wendet er sich der gehobenen Mittelschicht zu. Seine Figuren in „Incroyable mais vrai“ hadern ein wenig mit ihrem beruflichen Alltag, leben aber ansonsten behütet in einem Villenviertel. Bis das Loch im Keller sie mit ihren kühnsten Träumen und der Urangst vor dem Verrinnen der Lebenszeit konfrontiert.

Dupieux geht es um fundamentale Obsessionen wie die Gier nach Jugend und Unsterblichkeit. So absurd seine Ausgangssituation klingt, die Darsteller:innen spielen vollkommen natürlich, sodass man die Konstellation als gegeben hinnimmt und sich bereitwillig dem existenziellen Subtext der Handlung stellt.

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Doch Dupieux’ Kühnheit erschöpft sich nicht auf Ebene des Plots. Er wählt ungewöhnliche Wege der Inszenierung, um seinen Ideen eine adäquate Form zu verleihen. So überträgt er das Problem des Zeitverlusts auf die Struktur des Films und zeigt das Fortschreiten der Geschehnisse am Ende als Montage aus gerafften Erzählsträngen. Das Leben der Figuren zieht vor unseren Augen vorüber, gefühlt ein Drittel der Handlung kondensiert auf fünf Minuten, auf der Tonspur nur die Bach-Adaptionen von Jon Santo (alias Musikwissenschaftler Andreas E. Beurmann) aus den Siebzigern.

[12.2., 12 Uhr (Akademie der Künste), 17.2., 18 Uhr (Berlinale Palast), 19.2., 11 Uhr (Cubix 5 und 6) und 15.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast)]

Die erhabene Musik des Barock-Komponisten begleitet den gesamten Film, allerdings als Synthie-Versionen, die klingen, als hätte sich ein Virtuose mit Keyboard in eine Fußgängerzone verirrt. Dupieux kokettiert mit der Fallhöhe seiner Zutaten. Er kontrastiert philosophische Fragen mit der Profanität mancher Nebenhandlungen. Da lässt sich Alains bester Freund und Boss (Benoît Magimel) schon mal ein elektronisches Glied einbauen, einen „iPenis“.

Aber, ach, das ist schon wieder zu viel verraten. „Incroyable mais vrai“, der in den Berlinale Specials läuft, spielt mit der Wissbegierde, sowohl aufseiten der Figuren als auch auf der des Publikums. Immer wieder bricht Dupieux Szenen in dem Moment ab, in dem ein großer Coup enthüllt werden soll, nur um später an diesen Punkt zurückzukehren.

Da ist es natürlich am schönsten, möglichst wenig über die Handlung zu wissen, bevor man sich den Film anschaut. So wollen wir an dieser Stelle nicht zu viel verraten – aber ein bisschen vielleicht noch, oder? Schon verrückt, das Ganze. Die Sache ist nämlich die, dass …

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