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Usnavi (Anthony Ramos) und Vanessa (Melissa Barrera) feiern die ermächtigende Kraft des Tanzes.

© Macall Polay/Warner Bros

"In the Heights" im Kino: Eine Blockparty für Amerika

Die Verfilmung von Lin-Manuel Mirandas Broadway-Musical "In the Heights" ist eine mitreißende Liebeserklärung an die Latino-Community von New York.

Von Andreas Busche

Die George-Washington-Brücke überragt den New Yorker Stadtteil Washington Heights am nördlichen Zipfel der Halbinsel Manhattan. Brücke und Viertel sind benannt nach dem amerikanischen Gründervater, hier lag während des Bürgerkriegs die letzte Verteidigungsbastion gegen die Konföderiertenarmee der Sklavenhalter.

Washington Heights ist in der Weltmetropole New York ein Inbegriff des Melting Pots: Erst ließen sich die irischen Einwanderer zwischen Hudson und Harlem River nieder, ab den dreißiger Jahren zogen Zehntausende von europäischen Juden in das Viertel, die letzte Zuwanderungswelle kam nach dem Krieg aus Mittel- und Südamerika. Little Dominican Republic heißt das Viertel im New Yorker Volksmund heute – von der letzten Verteidigungslinie zum Modell für das Amerika des 21. Jahrhunderts.

Der amerikanische Regisseur Lin-Manuel Miranda wuchs nur ein paar Meilen nördlich von Washington Heights auf. Seine Liebeserklärung an den Ort seiner Kindheit brachte ihm 2008 seinen ersten Broadway-Erfolg ein: Mit dem Musical „In the Heights“ machte Miranda in der New Yorker Theaterszenen auf sich aufmerksam, bevor er mit dem Hip-Hop-Musical „Hamilton“ zum popkulturellen Stichwortgeber avancierte.

Die rappenden Gründerväter eroberten die Welt, die Leinwand erblickte „Hamilton“ allerdings nur als abgefilmtes Bühnenstück. „In the Heights“ von „Crazy Rich“-Regisseur Jon M. Chu ist die erste Miranda-Verfilmung. Und man kann die Zusammenarbeit vom gefragtesten Broadway-Regisseur (Drehbuch) und dem Regisseur des ersten Hollywood-Blockbusters mit einem rein asiatischstämmigen Ensemble nur als genialen Diversity-Clou der Filmindustrie bezeichnen.

Die Träumen der dritten Einwanderergeneration

Filmmusicals stehen heute – siehe „La La Land“ und gerade der Cannes-Eröffnungsfilm „Annette“ – immer auch in der Pflicht, ihre eigene Künstlichkeit zu reflektieren, notfalls als Camp. Miranda und Chu geben sich mit solchen Prätentionen gar nicht erst ab, „In the Heights“ ist eine schamlose Blockparty und eine Feier des American Way of Life – in den Nationalfarben Mexikos, Kubas, der Dominikanischen Republik, von Puerto Rico und Haiti.

Shithole Countries, wie sie der einstige US-Präsident nannte. „In the Heights“ erzählt von den Träumen der zweiten und dritten Einwanderergeneration, die mit dem American Dream immer noch schwer in Einklang zu bringen sind.

Der junge Ladenbesitzer Usnavi (Anthony Ramos) etwa, der sich den Lebenstraum – sueñito – seines verstorbenen Vaters erfüllen möchte: eine Strandbar in der dominikanischen Heimat. Und Nina (Leslie Grace), die Tochter des Patrons im Viertel Kevin Rosario (Jimmy Smits), die es nach Stanford geschafft hat, sich unter den weißen Elite-Studierenden aber nur als Amerikanerin zweiter Klasse fühlt.

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Oder Usnavis heimliche Flamme Vanessa (Melissa Barrera), die im Schönheitssalon arbeitet, aber eigentlich Modedesign studieren will – und es nicht mal aus ihrem Wohnblock rausschafft. Die gute Seele des Viertels ist die Abuela Claudia (Olga Merediz), die die halbe Nachbarschaft aufwachsen sah und immer eine Lebensweisheit parat hat – etwa die, sich an den kleinen Dingen zu erfreuen, so lange sie bestand haben.

Soca und Reggaeton, Salsa und Latino-Hip-Hop

Das Musical ist die perfekte Form für den American Dream, zu gleichen Teilen Eskapismus und Utopie. Miranda und Chu erzählen eine Art „West Side Story“ für die Dreamer-Generation, die Kinder der illegal eingewanderten Latinas und Latinos. Das von Barack Obama initiierte DACA-Abkommen sollte sie vor Abschiebung schützen.

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Doch Donald Trump ist nicht der einzige Störfaktor des sozialen Friedens, auch eine Gentrifizierungswelle rollt auf die Nachbarschaft zu. Dagegen hilft nur die ermächtigende Kraft des Tanzes und des gemeinschaftlichen Singens.

„In the Heights“ lässt sich von karibischen und lateinamerikanischen Rhythmen mitreißen: Soca und Reggaeton vermischen sich mit Salsa und Latino-Hip-Hop. Die Straße wird zur Bühne – was sich für ein Musical durchaus als Problem erweisen kann. Regisseure wie Busby Berkeley und Vincente Minnelli spielten stets mit der Künstlichkeit des Genres, selbst das Wasser-Ballett einer Esther Williams (die eine hübsche Hommage erhält) war geometrisch abgezirkelt.

Chu setzt dagegen voll auf das Empowerment seiner Inszenierung, die Tanzszenen von „In the Heights“ bleiben an den Rändern immer etwas roh. Eine Straßenparty, die perfekt durchchoreografiert ist, würde schnell ihren Charme verlieren. Einzig die gesungenen Alltagsdialoge reißen einen, zudem in diesem realistischen Setting, immer wieder aus der Illusion. Man muss „In the Heights“ einfach als das nehmen, was es ist: das Feelgood-Movie des Sommers. (In sieben Berliner Kinos; OV: Cubix, OmU: Rollberg)

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