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Nabil (Kida Khodr Ramadan) und Tochter Juju (Emma Drogunova) machen die Brandenburger Provinz unsicher.

© Port au Prince Films

„In Berlin wächst kein Orangenbaum“ im Kino: Kida Ramadans Regiedebüt pflegt einen rauen, herzlichen Umgangston

Knacki mit Herz. „In Berlin wächst kein Orangenbaum“ erzählt eine Vater-Tochter-Geschichte im Weddinger Kleinkriminellen-Milieu.

Von Andreas Busche

Für die Straßenweisheiten ist im deutschen Film Kida Khodr Ramadan zuständig. Der Mann trägt seine Trainingsanzüge mit unerschütterlicher Würde. Im unprätentiösen Drei-Steifen-Chic verbindet er die Knuffigkeit eines WM-Maskottchens mit der Straßenschläue von Gangsterrappern.

„Lieber sitzend leben als stehend sterben“ ist ein Satz, den sich Knackis in Hollywoodfilmen nicht mal in die Zellenwand ritzen würden. Ramadan nimmt man ihn ab, ohne mit der Wimper zu zucken. Er ist dann eben nur nicht mehr Toni Hamady, sondern wieder der kleine Junge, der nach der Flucht vor dem Bürgerkrieg im Libanon durch die Berliner Straßen zieht und davon träumt, einmal so berüchtigt zu sein wie Scarface.

In „In Berlin wächst kein Orangenbaum“ macht den Knacki-Spruch allerdings nicht Ramadan. Er legt ihn Tom Schilling in den Mund, der einen Pflichtverteidiger mit Berliner Schnauze und Hipster-Undercut spielt. Der Satz hat bei ihm noch eine fäkale Pointe; auch die Gefängnisärztin (Brigitte Kren) macht gegenüber den männlichen Aufsehern, darunter ein Süßigkeiten futternder Thorsten Merten, anzügliche Witze.

Ramadan spielt den todkranken Nabil

Der Umgangston ist rau, aber herzlich in Ramadans Regiedebüt, zu dem er mit Juri Sternburg auch das Drehbuch geschrieben hat. Praktischerweise übernimmt er gleich noch die Hauptrolle. Ramadan spielt den todkranken Nabil, der wegen Polizistenmord über 15 Jahre im Gefängnis saß. Doch der deutsche Rechtstaat ist gnädig, seine letzten Wochen darf Nabil in Freiheit verbringen. „Wenn es einen Menschen gibt, den du liebst, musst du ihm Tschüss sagen“, gibt ihm seine Knastkumpel Mike (Frederick Lau) noch mit auf den Weg, bevor der sich in seiner Zelle erhängt.

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Draußen gibt es tatsächlich noch jemanden, von dem Nabil sich verabschieden will. Seine Ex Cora (Anna Schudt) lebt inzwischen in einem Brandenburger Kaff und zischt zum Frühstück schon den ersten Korn. Außerdem hat Nabil in Berlin noch eine Rechnung offen. Denn den Schuss auf den Polizisten hat damals sein Komplize und „Bruder“ Ivo (Stipe Erceg) abgegeben, mit dem er als Kind im Wedding Orangenbäume – wie in seiner Heimatstadt Beirut – gepflanzt hat.

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Ivo hat sich mit der Beute aus dem Raubüberfall ein Kiez-Imperium aus Ein-Euro-Läden aufgebaut, eine Fassade für die krummen Geschäfte im Hinterzimmer. Auf die spontane Visite von Nabil reagiert er genauso abweisend wie Cora. Die hat dafür allerdings noch einen anderen Grund. Nabil ist der Vater der 17-jährigen Juju (Emma Drogunova), die wiederum glaubt, ihr Vater wäre ein Musiker auf Welt-Tournee. „Hast du dir jetzt einen Asylbewerber angelacht?“, meint sie verächtlich, als der abgerissene Nabil in der Küche sitzt.

Teddybär-Körper mit B-Movie-Visage

Das Drehbuch von „In Berlin wächst kein Orangenbaum“ knirscht ganz gewaltig, aber es sind solche Sätze, die Ramadans Film einen gewissen Schneid verleihen. Auch wenn die „großen Geigen“ (Nabil) in den gefühligen Momenten einem ziemlich auf den Geist gehen. Die Entdeckung ist Drogunov. Ihre launische Forschheit und Ramadans schläfrige Intensität ergeben, wenn sie zusammen durch den Wedding ziehen, eine perfekte Symbiose.

Erceg hat man natürlich schon das eine oder andere Mal in der Rolle des schmierigen Kleinkriminellen gesehen, auch die Cameos hat Ramadan im Freundeskreis rekrutiert. Schilling, Lau und Merten, sie alle stellen sich im Grunde selbst dar. „In Berlin wächst kein Orangenbaum“ ist ein einziger Kida-Ramadan-Remix, in der Super-Maxi-Version.

Da kann man sogar darüber hinwegsehen, dass „In Berlin wächst kein Orangenbaum“ im Grunde eine Neuauflage von Thomas Stubers vielfach ausgezeichnetem „Herbert“ ist, in dem ein todkranker Preisboxer (Peter Kurth) noch die Versöhnung mit seiner Tochter sucht. Kurths Körpersprache strahlt in seinen besten Rollen so eine weltvergessene Melancholie aus, mit der sich auch Ramadan meist durch seinen Film schleppt.

Ramadan ist eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Kino: ein Charakterdarsteller mit einer B-Movie-Visage und Teddybär-Physis. Er darf die Rolle des „Baddies“ mit einem Herz für Kakerlaken und pubertierende Teenager auch bis ans Ende seiner Karriere spielen.
In acht Berliner Kinos

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