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Ätherische Sounds. Jakob Bro im Pierre Boulez Saal.

© Peter Adamik

Improvisierte Musik: Der Zenmeister, die Samuraikriegerin und der Luftgeist

Zurück zum reinen Klang: der dänische Gitarrist Jakob Bro und Gäste im Pierre Boulez Saal.

Von Gregor Dotzauer

Musik, die nicht wie Musik klingt. Das ist die erklärte Idee, die Jakob Bro umtreibt. Oder besteht sie nur aus Wörtern, denen sich kein Sinn verleihen lässt? Denn woraus außer einem Phantasma soll eine Musik bestehen, die nicht wie Musik klingt? Jeder Versuch einer Umsetzung lebt vom Widerspruch, dass sich jeder Ton sofort wieder auslöschen müsste – als wäre er ein verbotener Schritt in eine Wirklichkeit, die lieber im Reich der Möglichkeiten verharren sollte.

Im Pierre Boulez Saal hört sich die Probe aufs Exempel so ätherisch an, dass man sie am liebsten mit der Metapher des Außerweltlichen belegen würde. Doch natürlich findet die Musik des dänischen Gitarristen im Hier und Jetzt statt, mit fixierten Tonhöhen und definierbaren Farben. Dennoch ist vor allem die erste, frei improvisierte Stunde im Duo mit der japanischen Perkussionistin Midori Takada in ein jenseitiges zeremonielles Dämmer getaucht, aus dem diese Musik gar nicht erwachen will: Nichts scheut sie mehr als Entwicklung oder Einfälle.

Über ihre Instrumente, eine durch Effektgeräte fast unkenntlich gewordene elektrische Gitarre, und ein theatralisch inszeniertes Arsenal von Trommeln, Gongs und einer Marimba sucht sie den Weg zurück zum reinen Klang. In ungebrochenem Wohllaut klöppelt sich ihr gleichmäßig schlagendes Herz zurück in eine Art von vorgeburtlichem Zustand.

Im Halbrund des Beckenparcours

Die Führung übernimmt dabei die 70-jährige Midori Takada. Ins Singen ihrer Klangschale fügen sich Bros Zieh-, Schwebe- und Kreiselsounds ein. Gegen ihre repetitiven Marimba-Patterns setzt er winzige Motive, die durch ihre pure Dehnung auch in den dissonantesten Intervallen niemals dissonant klingen. Und wenn sie als Samuraikriegerin mit Schlägeln als Schwert durchs Halbrund ihres im Saal verteilten Beckenparcours huscht, lässt er sie ganz allein gewähren.

Nach einem Leben als klassischer Musikerin, das sie auch ins RIAS-Symphonieorchester, das heutige DSO, führte, suchte sie Befreiung in der Weltmusik und stürzte sich in die Minimal Music von Terry Riley und Steve Reich. Die Wiederveröffentlichung ihres Albums „Through the Looking Glass“ (1983) bescherte ihr einen späten Ruhm als Ambient-Pionierin.

Auch Jakob Bro war einmal ein anderer. Als studierter Jazzmusiker spielte er mit Paul Motian und Tomasz Stanko, bevor er jede unmittelbare Virtuosität hinter sich ließ. Man könnte ihn mittlerweile den stillsten Gitarristen der Welt nennen, wenn nicht ein aktivistisches Klackern mit Schaltern und Tastern die zenhafte Ruhe seines Spiels in Frage stellen würde.

Nach der Pause deutlich mehr Bewegung und innere Kommunikation, nicht nur durch die zum Quartett erweiterte Besetzung mit der Cellistin Anja Lechner und dem Trompeter Arve Henriksen, sondern auch durch kompositorische Inseln im Improvisierten. An Takadas Stelle fegt nun die Perkussionistin Marilyn Mazur durch die hängenden Gärten ihrer bronzenen Schätze. An einem fürs Spiel im Stehen ausgelegten Drumset schafft sie sogar Momente von Jazzgrooves. Nur Jakob Bro hält sich weiter im Hintergrund.

Mit halb gedrückten Ventilen

Melodisch am präsentesten ist Henriksen, und dies nicht, weil die Trompete ihm Vorteile in Bezug auf die Lautstärke verschaffen würde. Unter seinem Ansatz verwandeln sich die drei Instrumente verschiedener Größe, die er mal mit, mal ohne Mundstück spielt, eher in Flöten. Das Spiel mit halb gedrückten Ventilen verleiht dem Ganzen faszinierend matten Glanz.

Er hat sich jahrelang mit der japanischen Shakuhachi beschäftigt, und in orientalisierenden Passagen denkt man an die türkisch-persische Ney. Doch es geht hier nicht um Imitation, sondern um eine Klangmalerei, in der Henriksens elektronisch manchmal zur Zweistimmigkeit erweiterte Luftgeistertrompete zuweilen mit Lechners Cello verschmilzt.

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Etwas Statisches haftet noch dieser Musik an, die im leisen Anschwellen und Abebben aber schon erkennbare Übergänge zeigt. In ihrer Offenheit nach innen und außen könnte sie sich, unentwegt changierend, ins Unendliche ausdehnen.

Musik, die nicht klingt wie Musik: Von diesem Quartett (dem eigentlich der Trompeter Palle Mikkelborg angehören sollte) kann man das gewiss nicht mehr behaupten. Denn die Schwelle einer quasinatürlichen Klangwelt, die mit ähnlicher, unbewusster Selbstverständlichkeit entsteht wie der Wind oder der Gesang der Vögel, ist hier weit überschritten.

Was sie mit ihr teilt, ist höchstens, dass man sich in ihrem milden Klima für eine Weile gerne aufhält. Bis man, ihres lauen Dauerfrühlings müde, hofft, dass irgendwann ein Sturm aufzieht, Blitz und Donner wüten, unter einem Wolkenbruch die Erde aufreißt und Drachen an die Oberfläche klettern. Gregor Dotzauer

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