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Immer weiter: Galerien verzichten auf Sommerpause

Ferien? Etliche Berliner Galerien bleiben im Sommer geöffnet – und leisten sich Experimente.

Krieg und Frieden, Terror und Gefangenschaft: In der Ausstellung mit dem harmlosen Titel „Labor“ geht es um die ganz harten Seiten des Lebens. Und das mitten im Sommer, der immer die Zeit der leichteren Muse war. Doch Hausherr Gerd Harry Lybke von der Galerie Eigen + Art reiht sich mit seiner neuen Schau nur in einen Trend. Ob bei Cream, Feinkost, Michael Janssen, Peres Projects, ScheiblerMitte, Alexandra Saheb, SprüthMagers oder Wentrup: Viele Galerien thematisieren Existenzielles. In der einst so beschaulichen Ferienzeit geht es jetzt um Leben und Tod.

Bei Eigen +Art (bis 5.9., Auguststraße 26) stellen sieben Nachwuchskünstlerinnen aus, die jüngste, 1982 geboren, noch nicht fertig mit dem Studium. In den Gemälden, Fotos, Filmen, Texten und einer Installation kommen unter anderem Überlebende eines Konzentrationslagers, Soldaten und eine Flugzeugentführerin vor. Die sieben fragen, wie Gewalt und unsichere Verhältnisse Identitäten verändern oder zerstören. Gelassen sind sie trotzdem: „Es ist Konsens, dass die Sommerausstellungen immer etwas experimenteller sind. Das schafft für Künstler und Besucher eine entspanntere Atmosphäre“, sagt Kathrin von Ow, eine der Teilnehmerinnen. „Im Sommer kann man am besten kommunizieren, jetzt kann man etwas ausprobieren“, fügt Lybke hinzu. Nach den Frühjahrsmessen und vor dem Auftakt zum Kunstherbst habe er jetzt die Zeit, Arbeiten des Nachwuchses ausführlich zu vermitteln. Dass die Künstlerinnen derart schwere Inhalte wählten, sei Zufall.

Doch es passt in die Zeit. Alexandra Saheb plante eigentlich eine leichte Schau zum Thema Luft, einen gemeinsamen Reigen aller der Galerie verbundenen Künstler, bevor Saheb im September, zum fünfjährigen Bestehen, von der Linien- in die Auguststraße ziehen wird. Locker und luftig, das sind die Bezüge zwischen den Arbeiten der 15 Teilnehmer zwar, doch frei von Erschütterungen ist auch hier nichts (bis 25.7., Linienstraße 196). So hat Stefan Schuster die Seiten eines Buches über Krisen in so viele feinste zusammenhängende Streifen geschnitten, dass sich der Inhalt aus den Buchdeckeln nun wie ein Wasserfall ergießt (1700 €). Die Wolken von Thomas Neumanns Heliogravur könnten auch der Rauch einer Explosion sein (900 €), und in einem älteren Schwarzweißfilm von Reynold Reynolds und Patrick Jolley (22 000 €) gehen die Dinge dann wirklich in die Luft. Menschengroße Puppen, so genannte Dummys, zerbersten oder sie stürzen von New Yorker Speicherhäusern und Brücken, um unten krachend aufzuschlagen und Leichen gleich den Fluss hinunter zu treiben.

Harte Kost zur Urlaubszeit. Die Sommerfrische, die kommt vielleicht später wieder einmal. Noch immer kündigen Galerien Urlaub an, doch genauso oft heißt es nun: „Wir schließen nicht.“ Stattdessen gibt es ambitionierte Schauen mit Gastkünstlern aus anderen Galerien und unverkäuflichen Leihgaben aus Museen, mitunter zusammengetragen von eigens herbeigerufenen Kuratoren. Die „Accrochage“ dagegen ist die Ausnahme geworden, jenes beiläufige „Aufhängen, Anhaken“ vorrätiger Arbeiten im Juni, Juli, bevor im August eine Ahnung von Pariser Hitzefrei durch die stillen Viertel wehte. Vorbei. „Berlin ist eine Touristenstadt, da kann man nicht im Sommer schließen“, sagt Philomene Magers. In der Galerie SprüthMagers ist die wohl aufwändigste Schau dieses Sommers zu sehen. „Source Codes“, auf Kunsthallenniveau kuratiert von Johannes Fricke-Waldthausen, interpretiert Arbeiten unter anderem von Artschwager, Baldessari, Samaras, Conner, Thek und Kenneth Anger als Zeugen einer Epochenwende: als Versuche, mit der Entgrenzung der Genres den individuellen Erschütterungen in den Umbrüchen der 60er und 70er Jahre auf die Spur zu kommen (bis 29.8., Oranienburger Straße 18). Aber lohnen sich solche aufwändigen Schauen mitten im Sommer?

„Es besteht keine ökonomische Notwendigkeit, Geld auszugeben“, scherzt Gerd Harry Lybke. „Wenn man sparen wollte, würde man im Sommer schließen.“ Viele Sammler, sagt Tina Wentrup, kämen dieses Jahr wieder öfter in die Galerien, auch auf Ferienausflügen. Dennoch gilt: „Obwohl wir verkauft haben – solche Ausstellungen sind nicht zum Geldverdienen.“ Die Galerie Wentrup kombiniert Arbeiten von Hannah Höch, John Armleder, Charlotte Posenenske und Frank Stella mit denen jüngerer Künstler wie Mathew Hale, Axel Geis und Matthias Bitzer, Skulpturen und Gemälde mit Zeichnungen und Collagen (bis 31.7., Tempelhofer Ufer 22). Es geht um die fließenden Grenzen zwischen Abstraktion und Figürlichkeit. Die formalen Bezüge sind so offensichtlich, dass sie schon wieder beliebig wirken, aber Stimmung macht der Mix trotzdem: Verfall und Tod sind omnipräsent, ob im bröckelnden Gips der Skulptur von Cristian Andersen und David Renggli (16 000 €) oder in den eskapistisch-manierierten Aquarellen von Jen Ray (7800 €) mit sexy Amazonen und Papier spuckenden Totenköpfen.

Endzeit überall. Bunt leuchten die Gemälde in der Galerie Charim Ungar Contemporary, große Landschaften von Franziska Klotz, belebt mit Ausflüglern und Windkrafträdern, kleine Landschaften mit Palmen von Hanna-Mari Blencke. Die Ausstellung „Projekt Berlin 09“, kuratiert von Rita Pintér, zeigt Arbeiten junger Berliner Künstler zum Alltag (bis 1.8., Markgrafenstraße 68). Erik Andersen hat Bierkästen in Öl gemalt (je 1500 €), Alexandru Niculescu Bücher aquarelliert, nebensächliche Motive zunächst. Doch auch hier gerät alles ins Wanken. Niculescus Bilder hängen zu einem Trichter gedreht von der Decke: All das schöne Wissen mündet in einen Einkaufswagen (12 000 €). Education to go. Moritz Schleime zeigt den Künstler der Zukunft als zotteligen Krüppel, der nur noch Graffiti überstreicht (6 800 €). Und Blencke lässt in ihren vermeintlichen Idyllen brennende Schiffe versinken (1900-2500 €). Daneben hat sie kleine Briefe gepinselt: „So mein Lieber“, beginnt einer, „es ist aus. Die monatlichen Überweisungen sind eingestellt.“

Die Jungen sorgen sich um Beruf und Zukunft. Gefragt, ob eine Sommerausstellung da das richtige Sprungbrett sei, antwortet Niculescu ganz nüchtern: Als junger Künstler wolle er seine Arbeiten so vielen Menschen wie möglich zeigen, „und es ist der Job der Galerie, dafür zu sorgen, dass die Sammler und Kuratoren auch im Sommer kommen“. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht: Wer auch Pausen kreativ findet, der muss weit raus aufs Land.

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