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Kultur: Im Schatten des Nationalsozialismus: Historiker über die NS-Vergangenheit ihrer Zunft und ihrer Lehrer

Dass Historiker über ihre eigene Vergangenheit und die ihrer Lehrer befragt werden, ist eher selten. Studenten der Humboldt Universität haben das getan.

Dass Historiker über ihre eigene Vergangenheit und die ihrer Lehrer befragt werden, ist eher selten. Studenten der Humboldt Universität haben das getan. 17 der heute noch lehrenden "großen" Ordinarien der deutschen Universitäten haben sie interviewt. Ausgangspunkt für das Unternehmen war die seit dem Frankfurter Historikertag 1998 schwelende Diskussion über die Verstrickung der Größen der Zunft in das NS-Regime und deren zweite Karriere nach 1945. Darunter waren die Lehrer von Professoren, die heute wie Hans Ulrich Wehler und Jürgen Kocka zu den bekanntesten der Republik gehören. In der Debatte geht es daher auch um "braune Wurzeln" der Sozialgeschichte. Denn ihre heutigen "Päpste" berufen sich gerne auf ihre Lehrmeister, die schon in den 30er Jahren innovative Methoden eingeführt hätten.

Braunes Gedankengut

Neue Untersuchungen, unter anderem von Götz Aly, Michael Fahlbusch und Peter Schöttler, belegen dagegen, dass die von vielen Schülern gelobten "Lehrer" alle im Nationalsozialismus Texte mit braunem Gedankengut verfasst haben, die heute vergessen sind oder verschwiegen werden.

Zwei Mythen werden durch die Debatte zurechtgerückt: die angeblich weitgehende Unbelastetheit deutscher Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus und die Annahme, die Professoren, die sich später als "kritische Köpfe" profilierten, seien auch schon als Jungakademiker scharfe Hinterfrager gewesen. In dem Buch haben die Historiker (Rudolf Vierhaus, Wolfram Fischer, Hans und Wolfgang Mommsen, Wolfgang Schieder, Lothar Gall, Wilfried Schulze) erstaunlich offen erzählt, warum sie überhaupt Geschichte studiert haben und was sie von der derzeitigen Debatte halten. Der Gewinn beim Lesen der Interviews besteht darin, dass man erfährt, was für die Generation der in den fünfziger Jahren studierenden Historiker die wichtigsten Ereignisse waren. Zum Beispiel Auslandsaufenthalte. Bemerkenswert ist auch, dass bei allen Interviewten mit Geringschätzung über 1968 gesprochen wird. Sie waren da bereits Professoren oder Assistenten und meinten, ihren Marx besser verstanden zu haben als die Studenten. 1968 wird so nicht als Befreiung vom akademischen Muff wahrgenommen, sondern eher als lästige Störung des Universitätsbetriebes und der Forschungen.

Was die Frage betrifft, warum die Historiker nicht intensiver nach der Rolle ihrer Lehrer im Dritten Reich fragten, so antworten die Professoren unisono, dass sie Geschichtsforschung nach 1945 in "Reaktion auf das 3. Reich" verstanden haben (W. Schulze), aber weniger an der individuellen "Mitschuld" ihrer akademischen Lehrer interessiert waren. Auffällig ist, wie sehr die Interviewten den Zeitkontext betonen: kritische Fragen zu stellen, war im akademischen Milieu, das auf paternalistischer Versorgung der unterstellten Jungakademikern beruhte, schlicht nicht möglich, weil es den augenblicklichen Ausschluss aus dem Versorgungssystem bedeutet hätte.

Die wichtige Frage ist die der "Kompensation". Kann ein belasteter Lebenslauf aufgewertet werden, wenn die Betreffenden - zum Beispiel Theodor Schieder oder Werner Conze - im "zweiten Forscherleben" ihre demokratische Gesinnung unter Beweis stellten? Der These wird zugestimmt, sie wird aber auch abgelehnt.

Vordenker der Vernichtung?

Eine andere wichtige Frage ist, wie die Verstrickung einiger Professoren in das NS-Regime und deren Rolle als "Vordenker der Vernichtung" bewertet werden kann. Ein haltloser oder ein legitimer Angriff? Im Fall von Theodor Schieder wird von seinen Verteidigern gern auf die große Liberalität des Lehrers gegenüber seinen Studenten und Schülern verwiesen. Aber wie lässt sich das mit seinen unmenschlichen Bemerkungen über Polen und Juden aus der Zeit des Dritten Reiches vereinbaren? Nur verbale Ausfälle eines Menschen, der keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte?

Festzuhalten bleibt, dass die einige Zeitzeugen offenbar trotz ihrer historischen Bildung nicht vor Gedächtnislücken gefeit sind - wenn es um die eigene Rolle geht und dieihrer Vorbilder.

Ursula Meyerhofer

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