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Ist da wer? Cristina Gómez Godoy, Oboistin der Staatskapelle Berlin.

© Thomas Meyer/Ostkreuz

Im Lockdown sichtbar sein: Ohne euch sind wir nichts

Flaschenpost der Kulturszene: Die Fotoausstellung „Miss You“ zeigt zwei Wochen Porträts von Künstlerinnen im Berliner Stadtraum.

Allein, allein. Max Raabe steht traurig auf dunkler Bühne. Nirgends Publikum oder Palast-Orchester, nur ein Mikro leistet ihm Gesellschaft. Im Kulturlockdown wird es zum unnützen Requisit. Auch Schauspielerin Stefanie Reinsperger hat als Motiv die Leere im Saal und auf der Bühne gewählt.

Sie hockt im Berliner Ensemble auf dem Boden. Vor ihr gähnt der Theatersaal in seiner sinnlos gewordenen Pracht.

Eidinger, der traurige Froschkönig

Kollege Lars Eidinger inszenier sich im Café der Schaubühne. In froschgrünen Anzug kauert er hinter einer Glasscheibe, die er sich selbst vors Gesicht hält. Ein trauriger Froschkönig, den in der Isolation kein Publikumskuss zum Prinz Schauspiel erwecken kann.

Gänzlich untheatralisch hockt Künstlerin Anne Imhof in ihrem Studio, hinter ihr ragt ein Gitarrenhals in die Luft, Kabel und Koffer gemahnen an die rastlose Reisetätigkeit der Vor-Corona-Zeit. Eine Komödiantin wie Katharina Thalbach geht auch das laufende Drama der Künste mit Witz an.

Seit einem Jahr steht sie kaum mehr auf der Bühne, die Premiere ihrer Produktion „Mord im Orient-Express“ im Schillertheater hängt in der Warteschleife. Doch hier sitzt sie bemützt in einer Badewanne wie eine Kapitänin auf See. Nur, dass die Wanne auf einem Rasen steht. Sie sitzt auf dem Trockenen, wie derzeit die Kultur.

In den Untergrund. Keyboarder Flake von Rammstein hat dauerfrei.
In den Untergrund. Keyboarder Flake von Rammstein hat dauerfrei.

© Harald Hauswald/Ostkreuz

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„Miss You“ heißt die Straßenausstellung, die vom heutigen Dienstag an 14 Tage in Berlin, Hamburg und Baden-Baden zu sehen ist. Eine in den öffentlichen Raum geworfene Flaschenpost von 52 Kulturschaffenden, die 18 Fotografinnen und Fotografen der Agentur Ostkreuz abgelichtet haben. Den Rahmen für die Porträts liefern Leuchtkästen der Firma Wall, die die von Susanne Rockweiler und Jürgen Reiche initiierte Aktion zusammen mit anderen Unternehmen unterstützt.

Rockweiler war stellvertretende Direktorin des Hauses der Kunst in München und des Martin-Gropius-Baus in Berlin. Sie betrachtet „Miss You“ nicht als Eins-zu-eins-Kampagne zur Sichtbarmachung der Kultur, wie die Fotoaktion „Ohne uns wird’s still“, die seit Monaten bundesweit Gesichter der brachliegenden Veranstaltungsbranche zeigt.

Leeres Berliner Ensemble. Stefanie Reinsperger auf der Bühne.
Leeres Berliner Ensemble. Stefanie Reinsperger auf der Bühne.

© Jörg Brüggemann/Ostkreuz

Sondern als kuratierte Ausstellung, durch die man – wie sonst in den derzeit geschlossenen Häusern – im Stadtraum wandeln soll. Wenn man die Kästen denn findet. In Berlin beispielsweise am Potsdamer Platz. Die Absicht ist dieselbe, wenn die Fotografien auch artifizieller ausfallen.

Die Schwarzweiß-Fotografien stechen heraus

Huhu, wir sind noch da!, rufen die Porträts der seit Monaten zur Unsichtbarkeit verdammten Tänzerinnen, Künstler, Musikerinnen, Schauspieler, Puppenspielerinnen. Bekannt und unbekannter, die ihrerseits von Fotokünstlern wie Jörg Brüggemann, Annette Hauschild, Ina Schoenenburg porträtiert wurden.

Allein, allein. Max Raabe und sein Mikro.
Allein, allein. Max Raabe und sein Mikro.

© Maurice Weiss/Ostkreuz

Aus den Farbfotografien sticht neben der puristischen Max-Raabe-Aufnahme ein Schwarz-Weiß-Porträt von Rammstein-Keyboarder Flake heraus. Harald Hauswald hat ihn, offensichtlich als Reminiszenz an die Ost-Berliner Subkultur der Neunziger, fotografiert, als er einen Treppenabgang herunterläuft. Mit Jeans und Wollmütze sieht er wie ein Nobody aus. Genau das ist er ohne Publikum auch.

[„Miss You“ ist vom 2. – 16. März im Berliner Stadtbild zu sehen. Ebenso in Hamburg und Baden-Baden.]

Raus aus der Passivität, ran an die Menschen. Susanne Rockweiler glaubt, dass Kunst und Kultur noch viel mehr sein können als das Hoffnungssignal, das „Miss You“ sendet. Es brauche mehr Bildung, mehr Kultur, die das Herz weich mache und Brücken baue, um die in der Pandemie verstärkten sozialen Spaltungen zu bekämpfen, sagt sie.

In diesem Geist seien alle Kulturschaffenden als „Klebstoff der Gesellschaft“ miteinander verbunden und dringend aufgefordert, neue Strukturen zu entwickeln, um den Forderungen der Kreativwirtschaft auch politisch Wucht zu verleihen, sagt die Ausstellungsmacherin. „Jetzt ist die Zeit für mehr Kooperationen, mehr Miteinander in Kunst und Kultur“, sei die Erkenntnis des Lockdowns.

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