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Mit Tieren kann sie gut. Wanja (Anne RattePolle) und ihre Stockenten.

© Noisefilm

Im Kino: Wanja": Fremd in der eigenen Haut

Aus dem Gefängnis ins Kaff: Carolina Hellsgårds hat mit „Wanja" einen stillen, eindringlichen Debütfilm über eine junge Frau hingelegt, die mit sich selbst und der Gesellschaft kämpft. Anne Ratte-Polle spielt die Titelheldin nuanciert und intensiv.

Es ist ein klassischer Romanstoff, ein klassischer Filmanfang: dass einer aus dem Knast kommt und sich nicht zurechtfindet draußen in der Welt. Bei „Wanja“, dem Debütfilm von Carolina Hellsgård, ist es eine Frau. Nur dass Wanja nicht vor dem Gefängnistor steht, sondern in ihrer neuen Bleibe in der Kleinstadt Sulingen unweit von Bremen. Duschvorhang fehlt, Toilettenspülung funktioniert, sagt der Vermieter. Die Wände kahl, die Tapeten braunstichig, am Abend flattert eine Krähe ins Zimmer. Wanja kümmert sich, bald schwimmen Enten in der Badewanne, mit Tieren kann sie gut.

Mit Menschen nicht so. Hallo Mäuschen, sagt Wanja, als sie mit ihrer Tochter telefonieren darf. Die legt lieber auf.

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Wanja ist Anne Ratte-Polle. Blasses, leeres Gesicht, hager, verschlossen. Kaum eine deutsche Schauspielerin kann so beredt schweigen, schauen, sich abwenden, Anne Ratte-Polle ist eine Meisterin der Nuance, der Miniatur. Ihre Wanja gibt nichts von sich preis, und doch fühlt man sich ihr seltsam nah, wenn sie auf Nachfrage „Bankraub. Gab sieben Jahre“ sagt. Keine Ahnung, ob es stimmt, aber das Unbehagen bei solcher Neugier ist den knappen Worten anzuhören. Der Schmerz ob des Misstrauens, die Fremdheit in der eigenen Haut. Keine Ahnung auch, ob die Tiere in der Wohnung oder das nächtliche Lagerfeuer im Wald mit den tanzenden Zottelmonstern nur Wanjas Fantasie entspringen. Was soll man schon machen in diesem Kaff, nach Arbeitsagentur-Warterei und ganzkörpertätowierter Kneipenbekanntschaft, als der sogenannten Realität etwas Funkenflug entgegenzusetzen. Zumal Wanja früher mal Drogen benutzt hat für die Flucht in lichtere Welten, wie nach und nach klar wird.

Anne Ratte-Polle spielt überragend

Den Praktikumsjob in der Tierhandlung ist Wanja jedenfalls schnell wieder los, weil der Chef ihr gleich Diebstahl aus der Tageskasse unterstellt. Der Bewährungshelfer grinst hilflos, im Kreis der anonymen Drogensüchtigen weiß sie auch nichts zu sagen, und beim nächsten Praktikumsjob im Reitstall (endlich große Tiere, toll, wie Ratte-Polle Wanjas Faszination andeutet, eine stille, linkische Sehnsucht) gerät sie ausgerechnet an Emma (Nele Trebs). Eine junge Borderline-Frau, die trinkt, Drogen nimmt, schwanger ist und keinen Halt kennt. Ein Alter Ego in jüngerer Gestalt: Emma beißt Wanja weg und braucht sie doch, wenn es darum geht, die Macho-Jungs auf der Bowlingbahn zu besiegen oder zum Abtreibungstermin in die Ambulanz zu gehen. Wanja kümmert sich – bis sie den Stoff in den Tütchen eines Tages nicht mehr ins Klo schüttet. Nach ihrer zigsten Niederlage beim Sozialamt.

Die schwedische, in Berlin lebende Regisseurin und UdK-Absolventin Carolina Hellsgård umgibt die Titelheldin ihres Debüts mit etwas zuviel Ödnis, schickt sie in eine regelrechte Serie von Worst-Case-Szenarien. Die Intensität von Anne Ratte-Polle macht die mechanische Dramaturgie allerdings wett. Wanja, auf den ersten Blick eine Resozialisierungstragödin, kann es aufnehmen mit den großen Grenzgängerinnen des Kinos.

Laura Tonke in „Hedi Schneider steckt fest“. Die wolfsliebende Heldin in Nicolette Krebitz’ „Wild“. Claudia Eisinger als „Mängelexemplar“, demnächst Sandra Hüller in „Toni Erdmann“ und jetzt Wanja: Es ist die Zeit der verqueren Frauen im deutschen Kino. Sie ziehen ihr Ding durch, erklären sich nicht, scheren sich nicht um all das Befremden, das ihnen entgegenschlägt. „Wanja“ feierte 2015 bei der Berlinale Premiere, gut, dass der kleine Film es jetzt noch ins Kino schafft.

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