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Moderne Antihelden. Ein verwirrter Don Quijote (Jonathan Pryce, rechts) und sein Sancho wider Willen (Adam Driver).

© Concorde

Terry Gilliams "The Man who killed Don Quixote": Wenn ein Film zur Obsession wird

Nach 25 Jahren kommt Terry Gilliams „Don Quixote“-Verfilmung ins Kino. Was passiert, wenn Regisseure eine Obsession für ihr Herzensprojekt entwickeln?

Von Andreas Busche

Vergangenen Mai in Cannes konnte Terry Gilliam wieder lachen. Das war ihm zwischenzeitig gründlich vergangen: Sein Herzensprojekt, die Verfilmung von Miguel de Cervantes’ „Don Quijote“, an dem das Monty-Python-Gründungsmitglied seit den späten achtziger Jahren laboriert, war längst zu seinem persönlichen Fluch geworden. Die Entstehungsgeschichte hatte sogar eine kleine Privatmythologie produziert, Gilliams Scheitern ist selbst in die Filmgeschichte eingegangen. In „Lost in La Mancha“ von 2002 dokumentierten Keith Fulton und Louis Pepe die desaströsen Dreharbeiten mit Johnny Depp und Jean Rochefort, bei denen am Ende Versicherungsangestellte und besorgte Investoren die Kontrolle am Set übernahmen.

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Für Gilliam schon damals keine ganz neue Erfahrung: Er hat gelernt, berufliche Rückschläge wegzustecken. Sein völlig aus dem Ruder gelaufener „Münchhausen“-Film von 1988 gehört zu den großen Exzessen der Kinogeschichte, neben Michael Ciminos ruinösem Meisterwerk „Heaven’s Gate“ und Francis Ford Coppolas irrsinnigem „Apocalypse Now“. Während der Dreharbeiten zu „Das Kabinett des Doktor Parnassus“ (2009) starb sein Hauptdarsteller Heath Ledger, dessen Rolle sich schließlich Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell teilten.

Gilliam hat seinen Traum nie aufgegeben, sich selbst zum Don Quijote stilisiert, der gegen die Windmühlen der Filmindustrie kämpft. „Einen Hollywood-Film ohne Hollywood-Geld zu machen, ist nahezu unmöglich“, gestand er in „Lost in La Mancha“ niedergeschlagen ein. Die Schmach von La Mancha hat er nie verkraftet. Man sieht es seinen späteren Filmen an, dass dieses nie realisierte Projekt ihn wie ein Gespenst verfolgte.

Zur Premiere in Cannes gab es natürlich Ärger

Entsprechend skeptisch wurde im Mai die Nachricht aufgenommen, dass der sagenumwobene „The Man who killed Don Quixote“ in Cannes seine Uraufführung erleben sollte. Natürlich verlief die Premiere nicht reibungslos. Ein Rechtsstreit mit dem windigen Produzenten Paulo Branco, der die Aufführung verhindern wollte, konnte in letzter Minute abgewendet werden. Auch darum erklärte am letzten Festivaltag ein erleichterter Terry Gilliam der Presse: „Dieser Film bereitet mir seit 25 Jahren körperliche Schmerzen, jetzt ist er endlich aus meinem System.“

Das klang eher nach Selbsttherapierung als nach großer Kunst. Die Erwartungen waren ohnehin gemischt. Kritikerinnen und Kritiker wähnten sich als Augenzeugen eines historischen Moments. Es gab in Cannes aber auch nicht wenige, die insgeheim froh waren, dass dieses elende Kapitel endlich beendet ist. Der Film bestätigt leider: Dieser „Don Quijote“ hat sein Verfallsdatum reichlich überschritten, Gilliam wollte ihn offensichtlich bloß noch aus seinem System haben. Man sieht „The Man who killed Don Quixote“ seine Budgetbeschränkungen in fast jeder Szene an – leider mangelt es seinem Regisseur aber auch an der kindlichen Fantasie von „Time Bandits“ oder einem Gespür für die bedrohlichen Schwundzustände zwischen Realität und Delirium wie in „Twelve Monkeys“.

Gilliams „Don Quixote“ ist streckenweise kindisch, manchmal auch einfach nur blöd. Er hat alle Quijotes überlebt: Jean Rochefort und John Hurt starben vergangenes Jahr, ihnen ist der Film gewidmet. Auch dem Sequel zu „Lost in La Mancha“, dieser Chronik des Scheiterns, kommt Gilliam nur knapp zuvor. „He Dreams of Giants“, wieder von Fulton und Pepe, wurde gerade fertig. Jetzt steht „The Man who killed Don Quixote“ wie ein aus der Zeit gefallener Solitär in der Kinolandschaft herum und stimmt ratlos. Fulton und Pepe erzählte Gilliam damals: „Ich hab den Film zu oft vor meinem inneren Auge gesehen. Ich frage mich, ob es nicht besser wäre, ihn in meiner Vorstellung zu bewahren.“ Man kann diese Frage nur als rhetorische verstehen.

Der Humor ist zum Fremdschämen

Adam Driver müht sich redlich mit dem unausgegorenen Skript von Gilliam und seinem Autor Tony Grisoni. Er spielt den arroganten Werberegisseur Toby, der bei Dreharbeiten in Spanien auf die Spur seines Studentenfilms über Don Quijote stößt. Nebenbei schläft er sich durch seinen Mitarbeiterinnenstab und befriedigt die notgeile Frau (Olga Kurylenko) seines Produzenten (Stellan Skarsgård). Der Humor ist zum Fremdschämen. Bei seinen Recherchen im Nachbarort begegnet ihm sein ehemaliger Hauptdarsteller (Jonathan Pryce), ein Schuster, der ganz in seiner alten Rolle aufgegangen ist: Er hält sich tatsächlich für Cervantes’ Ritter von der traurigen Gestalt – und rekrutiert Toby als seinen Sancho. Nach einem Zwischenfall mit der Polizei müssen die beiden in die Berge Kastiliens fliehen.

Don Quijote erscheint prädestiniert dafür, Regisseure in den Wahnsinn zu treiben. Orson Welles entwickelte ebenfalls eine ungesunde Obsession für Cervantes’ Figur. Ab Mitte der Fünfziger bis zu seinem Tod 1985 arbeitete er an verschiedenen Versionen der Geschichte, und auch Welles’ Manie überlebte seinen Darsteller Francisco Reiguera. „Es ist mein persönliches Projekt“, erzählte Welles einmal, „ich arbeite daran in meiner Geschwindigkeit, mit meinem Geld.“ Der Film wurde posthum fertiggestellt, wie so viele seiner Projekte. „The Other Side of the Wind“ hatte gerade in Venedig Weltpremiere.

Aber das Ausmaß der Obsession hat auch viel mit dem Phänotyp von Künstlergenie zu tun. Michael Cimino zum Beispiel war ein Auteur im besten Sinn. Für die perfekte Wolkenkonstellation in „Heaven’s Gate“ ließ er seine Crew mal einen ganzen Drehtag ohne Mittagspause warten. Was sind schon acht Stunden gegen eine Landschaftstotale für die Ewigkeit? Kunst kam für Cimino nicht von Können, sondern von Geduld – koste es, was es wolle. Sein Meisterwerk trieb das Traditionsstudio United Artist in den Ruin. Rückblickend könnte man auch sagen: Den Preis war es wert.

Regisseure sind Diktatoren in einer demokratischen Welt

Ein anderer Schlag ist Francis Ford Coppola, der in „Hearts of Darkness“, dem anderen großen Katastrophenfilm übers Filmemachen, über die Arbeit an „Apocalypse Now“ sagt: „Regisseure sind die letzten Diktatoren in einer zunehmend demokratischen Welt. Dass ich mein eigenes Geld rausschmeiße, versetzt mich in einen Geisteszustand, der dem von Kurtz ähnelte.“ Kurtz ist der größenwahnsinnige Colonel, der im Dschungel ein grausames Regime errichtet. Regisseure verschmelzen mit ihren Figuren, bis zum totalen Realitätsverlust. Nur wenige sind so reflektiert wie Jerry Lewis, der zehn Jahre an seiner KZ-Tragikomödie „The Day the Clown Cried“ verzweifelte, bevor er sie für immer wegschloss. „Sie war einfach schlecht“, erzählte er später.

So viel Klarsicht hätte man auch Terry Gilliam gewünscht. Er rangiert phänotypisch irgendwo zwischen Cimino und Lewis. Zwischen Kunstwillen und Selbstzweifel, dem Träumer Quijote und dem Pragmatiker Toby. „Halte dich an den Plot“, ermahnt Tobys Boss ihn einmal. „Es gibt einen Plot?“ entgegnet der Regisseur erstaunt. Gilliam ist nicht naiv, ihm ist klar, dass sein „Don Quijote“ nicht der Film geworden ist, den er sich über 25 Jahre erträumte. Er sieht wahrscheinlich den Film, den er vor seinem inneren Auge gedreht hat. Die „Windmills of Your Mind“, wie es in dem Song von Michel Legrand heißt, sind stärker als die Realität.

Ab Donnerstag in den Berliner Kinos.

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