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Wehr dich. Ali (Rouhollah Zamani) zeigt dem Lehrer (Javad Ezzari) seinen Kopfnuss-Trick.

© Majidi Film Produktion

Im Kino: "Sun Children": Gold oder Bildung?

Abenteuerfilm als Hommage an eine betrogene Generation: In Majid Majidis "Sun Children" suchen Straßenkinder einen Schatz - und entdecken die Schule.

Ein Goldschatz, das wäre die Lösung für Ali (Rouhollah Zamani) und seine Kumpels, die als Straßenkinder in Teheran leben und sich für windige Auftraggeber verdingen. Immer in Eile sind die Jungs, immer unter Druck und nicht selten in Panik, wenn sie Autoreifen stehlen und vor der Polizei flüchten müssen. Sie schuften in Werkstätten, werden ausgebeutet und herumgeschubst.

Es geht nicht anders, die Väter sind abwesend, im Knast, drogensüchtig oder tot. Alis Mutter liegt im Krankenhaus, mit schweren Verletzungen nach einem Wohnungsbrand. Ali würde sie gerne nach Hause holen – in ein Zuhause, das gar nicht mehr existiert.

Weiter, nur weiter, die Kamera hetzt mit ihm durch den Alltag. Kaum dass sie es sich mal erlaubt, in den Himmel über Teheran zu schauen, zu den aufstiebenden Taubenschwärmen. Und nun soll Ali mit den anderen diesen angeblichen Schatz auftreiben, zu dem verschüttete unterirdische Gänge führen.

Der Eingang liegt im Keller einer Schule. Also melden sie sich in der Schule an, in der Hoffnung auf das Ende ihrer Fron, darauf, nicht mehr tagein tagaus um ihr Leben rennen zu müssen.

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Der iranische Regisseur Majid Majidi, Jahrgang 1959, erzählt in seinen Filmen oft von Kindern und Jugendlichen, die in Armut leben. In „Kinder des Himmels“ teilen sich zwei Geschwister ein einziges Paar Schuhe; „Die Farben des Paradieses“ dreht sich um einen blinden Jungen; in „Regen“ verkleidet sich ein afghanisches Mädchen als Junge, um arbeiten zu können.

Auch die Lehrer schuften, und das oft vergeblich

Auch in „Sun Children“ scheint Bildung der Ausweg zu sein, man kennt das auch aus den iranischen Meisterwerken von Abbas Kiaorastami. Während Ali, Mamad, Reza und der kleine albanische Migrant Abofazl sich in jeder freien Minute in den Schulkeller stehlen, um dort in Schwerstarbeit einen Tunnel zu graben, stellt sich ihnen zunehmend die Frage, was am Ende der größere Schatz ist – das vermeintliche Gold oder die Früchte des Lernens.

Der eine ist Jungs ist super in Geometrie, weil er beim Fliesenleger gejobbt hat, wie sich herausstellt. Und der andere bekommt als Fußball-Talent das Angebot, in einem renommierten Verein zu trainieren. Warum da noch weiter graben?

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Aber so einfach ist es nicht. „Sun Children“ handelt nicht nur von Kinderarbeit, sondern vom Sisyphos-Schicksal der Kinder wie der Erwachsenen. Ali rackert sich im Keller ab, und sein Lehrer (Javad Ezzari) in der Klasse. Mit seinen Kollegen kann er sich noch so sehr engagieren: Die Sun School für Straßenkinder – solche NGO-geführten Einrichtungen gibt es tatsächlich in Teheran – ist permanent gefährdet. Die Polizei funkt dazwischen, das Personal wandert ab, das Geld fehlt, die Sponsoren bleiben aus. Irgendwann funktioniert nicht mal mehr die Schulklingel.

Trotzdem hört der Lehrer nicht auf, um die Herzen und den Verstand der Kinder zu kämpfen, die Verständigung mit ihnen zu suchen. Etwa, indem er sich von Ali die besten Kopfnuss-Tricks erklären lässt. Auch er wird sie eines Tages brauchen.

[Ab Donnerstag in den Berliner Kinos Acud, Delphi Lux, b-ware! Ladenkino, fsk, Moviemento, Sputnik, Zukunft, überwiegend OmU]

Erstaunlich, dass Regisseur Majidi sein Drama über soziale Missstände unter den Zensurbedingungen des Mullah-Regime überhaupt realisieren konnte. Etliche Kinder wurden auf der Straße gecastet, darunter Abofazl und seine Schwester Shamila, die im Film als Zahra illegal Schwämme in der U-Bahn verkauft. Auch ihr droht als Afghanin die Abschiebung, auch sie will weiterkommen, lernt fleißig für die Schule.

Noch erstaunlicher ist, wie es Majidi gelingt, seinen Helden neben Thriller-und Abenteuerfilm-Elementen (das nervenaufreibende Buddeln im Tunnel) auch poetische Augenblicke zu schenken, aller Härten zum Trotz. „Sun Children“ verteidigt die Hoffnung, die Lebensfreude, auch den Humor gegen das Primat des Realismus. Zwar gerät Ali ebenso wie sein Lehrer in den immer nächsten Kreis der Hölle – kein Schatz, der sie retten könnte. Aber man bangt mit ihnen bis zum letzten Moment.

Vergebliche Mühen, eine betrogene, verlorene Generation? Dem kurzen Glück eines Bads im städtischen Brunnen kann selbst die finsterste Enttäuschung nichts anhaben.

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