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Frühe Hippies. Hanna (Maresi Riegner),Ida (Julia Jentsch) und Otto (Max Hubacher).

© DCM Distribution

Im Kino: "Monte Verità - Der Rausch der Freiheit": Flower Power im Tessin

Frauen-, Körper- und Seelenbefreiung: Das Schweizer Historiendrama erzählt von frühen Hippies auf dem legendären Hügel bei Ascona.

Vegetarismus, Veganismus, Freikörperkultur, Polyamorie, Naturkost, Pflanzenheilkunde und Kommunen ohne Hierarchie: Was Neo-Hippies und Körperfreaks heute leben, wurde nicht in der Flower- Power-Zeit der siebziger Jahre erfunden, sondern schon in den Lebensreformbewegungen der Jahrhundertwende.

Was für Berlin die Obstbau-Kolonie Eden bei Oranienburg ist, wo Kolonisten 1893 die erste vegetarische Siedlung Deutschlands gründeten, ist für die Schweiz der Monte Verità. Dort kaufen im Tessin auf einem Hügel oberhalb von Ascona die Musiklehrerin und Frauenrechtlerin Ida Hofmann und der Industriellensohn Henri Oedenkoven im Jahr 1900 mit Gleichgesinnten Land und gründen den legendären Monte. Als Experimentierwiese eines freiheitlichen, naturverbundenen Lebens mit angeschlossener Heilstätte und Künstlerkolonie.

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Der Schweizer Regisseur Stefan Jäger siedelt seinen trotz des revolutionären Sujets brav geratenen Kostümfilm „Monte Verità – Der Rausch der Freiheit“ 1906 an. Außer Hermann Hesse und Isadora Duncan zieht es auch Hanna Leitner auf den Berg der Wahrheitssucher.

Die von der charismatischen Wienerin Maresi Riegner gespielte Hauptfigur ist fiktiv. Anders als ihre Konterparts Ida Hofmann (Julia Jentsch) und Lotte Hassemer (Hannah Herzsprung), die als radikale Aussteigerin unter Aussteigern mit wirrem Haar und flackerndem Blick in einer Kate lebt.

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Die in Wien – wie bei Frauen jener Zeit so häufig – als nervenkrank abgestempelte Hanna flüchtet aus dem quälenden Korsett der Ehefrau und Mutter aus höherem Stand ins Tessin, wo für die Patientin des Anarchisten und Psychoanalytikers Otto Gross (Max Hubacher) die persönliche und künstlerische Emanzipation als Fotografin beginnt.

Atmosphäre zählt mehr als Motive

Der Monte Verità dient der sehr erwartbaren Inszenierung einer weiblichen Selbstermächtigung allerdings nur als Kulisse. Eine tiefere Auseinandersetzung mit den Protagonisten und Motiven der bunt gemischten Freigeistertruppe, die als Kommune später prompt scheitern sollte, findet nicht statt. Auch die Schilderung von Hannas kalter Ehe mit einem Gatten, der ihre fotografischen Ambitionen ablehnt, fällt eher holzschnittartig aus.

["Monte Verità - Der Rausch der Freiheit" läuft in acht Berliner Kinos.]

Dafür wuchert das Drama der panisch kurzatmigen Hanna, die sich auf dem Berg nicht nur seelisch, sondern auch körperlich befreit, mit Atmosphäre. Die von den Gemüseanbauern angestrebte Sensibilität, das Aufgehen in der Natur sensualisiert die Bildgestaltung von Daniela Knapp ganz wunderbar.

Die Kamera hängt an den Gesichtern der drei Frauen Ida, Hanna und Lotte, schwelgt in flatternden Haaren, wogenden Grashalmen und rauschenden Blättern. Ein Zustand paradiesischen Einsseins. „Meinem eigenen Atem lauschend, sah ich den Weg, der vor mir lag, sah ich euren Weg, meine Töchter, sah ich, was ich nie zu sehen erhofft hatte: mich selbst“, deklamiert Lotte. Romantisch-emanzipatorische Selbstfindungslyrik à la „Monte Verità“. Deren hehrer Ton täuscht jedoch auch im Film nicht über die bitteren Kämpfe hinweg, die die Frauen in der Gesellschaft auszufechten hatten.

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