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Stadt als Bild. Till Kalischer tuscht urbane Fantasien. Heute: Hannover mit Straßenbahn.

© Sabine Herpich

Im Kino: "Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist": Die Werke und ihr Zauber

Wie entsteht Kunst? In Sabine Herpichs wunderbarem Dokumentarfilm über Outsider-Artisten kann man es sehen.

Kunst will Weile haben, Stille, Akribie. Oder das Gegenteil: Manchmal entsteht sie aus Ungeduld, dem Zorn über das Unrecht. Strich für Strich zieht Adolf Beutler seine Gitternetze aus Buntstiftlinien übers Papier, unendlich langsam, schiebt Holzklötze darüber, schraffiert auch sie und dehnt sein Universum bis über die Blattränder aus. So entstehen wundersam obsessive Mikrokosmen, Meisterwerke der Geduld. Beutler spricht nicht, manchmal weint er, schnaubt, setzt die Brille wieder auf, zeichnet weiter.

Suzy van Zehlendorf schlägt sich derweil mit dem Bode-Museum herum, diesem düsteren Skulpturenknast, wie sie ihn nennt . Hier, der Katalog: Alle Skulpturen, die dort wohnen, sind von Traurigkeit gezeichnet, sie muss sie befreien. Die Münze hat es ja auch geschafft, diese große, gestohlene Münze. Die Künstlerin begräbt das Museums-Modell in ihrer Installation aus Styropor, Karton und Klamotten. Eine komplexe, fordernde Arbeit: Sie kann ihr Hassobjekt kaum anschauen, wenn sie Pappfenster aufklebt.

Suzy van Zehlendorf ist vor allem für ihre Hühner bekannt, die sie in Klassiker-Variationen auftreten lässt, als Mona Lisa oder kniender Hitler. Auch bei den Madonnen im Museum spricht sie von Hennen mit Küken.

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Kunst, auch das begreift man noch einmal in diesem ungewöhnlichen Film über ungewöhnliche Künstlerinnen und Künstler, reagiert auf andere Kunst. Sie lebt vom Dialog und vom Reflex genauso wie von Introspektion. Dass Adolf Beutler und Suzy van Zehlendorf Menschen mit Handicap sind, spielt dabei keine Rolle.

Die Dokumentaristin Sabine Herpich sieht ihnen bei der Arbeit in den Spandauer Mosaik-Werkstätten einfach nur aufmerksam zu. Sie bleibt im Off, verzichtet in ihrem ohne jede Förderung, allein über Crowdfunding finanzierten Film auf jeglichen Kommentar. So entwickelt ihr Film eben jene Geduld und jenen Zauber, der auch die Kunstwerke prägt.

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Die Werkstätten als etwas andere Atelier existieren seit 1996. Rund 20 Künstlerinnen und Künstler arbeiten, unter Leitung von Nina Pfannenstiel, die sich als Assistentin der Outsider-Artisten versteht. Ab und zu fragt sie auch mal was, nach der Idee für das nächste Bild, nach einem Titel. Oder sie spendet Trost.

Stifte spitzen, nach Farben sortieren, aufräumen, den Müll wegbringen, die Blumen gießen, auch das gehört dazu. Und das Gespräch mit Galeristen, über die Auswahl für eine Ausstellung, über Preise. Adolf Beutler, mit inzwischen 85 Jahren der Star der Werkstätten, mag Vernissagen, er sitzt dann mitten zwischen den Besucher:innen, zeichnet und freut sich. Als Kind durchlitt er das Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten, war nach dem Krieg über Jahrzehnte in der Psychiatrie weggesperrt, bis sein Talent entdeckt wurde.

Was für ein Glück, diesen Künstlern über die Schulter schauen zu dürfen

Das erfährt man nur beiläufig in „Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist“; der Fokus des im Berlinale-Forum 2020 uraufgeführten Films liegt auf der Kunstproduktion.

Auch bei Till Kalischer, der Städtebilder tuscht, Comics aus schwarzer Tinte, mit Schrift- und Straßenzügen, trägt sie rituelle Züge. Heute nimmt er sich Hannover vor, er muss erst nachdenken, über die alten Damen dort, bald biegt sich eine Straßenbahn über das Blatt. Gabriele Beer schraffiert derweil die Gliedmaßen eines Skeletts aus, versieht es mit Stigmata, Spiegeleier-Augen und Baseballhandschuhen. Was für ein Glück, auch ihr über die Schulter schauen zu dürfen.
In Berlin in den Kinos Klick und fsk (OmenglU)

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