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Mein Opa tötete deine Oma – das törnt dich an? Adèle Haenel, Lars Eidinger.

© Dor Film

Im Kino: "Die Blumen von gestern": Täter der Klamotte

Der Holocaust, ein Witz: Die Vergangenheitsbewältigungskomödie „Die Blumen von gestern“ mit Lars Eidinger.

Von Andreas Busche

Manchmal will man gar nicht so genau wissen, unter welchen Umständen Filmprojekte in der deutschen Förderlandschaft grünes Licht bekommen. Die Erkenntnis wäre vermutlich niederschmetternd. Chris Kraus’ Vergangenheitsbewältigungskomödie „Die Blumen von gestern“, die Donnerstag in den deutschen Kinos anläuft, fällt in diese Kategorie von Filmen, über deren Entstehungsgeschichte man im Nachhinein besser den Mantel des Schweigens legt. Wahrscheinlich begann das Brainstorming mit einer kernigen Ansage des Regisseurs: „Wir müssen alte Muster des Gedenkens aufbrechen.“ Gefolgt von: „Lass uns eine romantische Komödie unter Holocaustforschern machen. Ich war nämlich früher selbst mal eine Art Holocaustforscher.“ Irgendjemand ergänzte daraufhin womöglich ergriffen: „Ja, eine Etüde in Leichtigkeit, nicht in Schwermut.“

Die lyrische Steilvorlage wurde dann vielleicht mit einem provokanten Gedanken aufgenommen: „Das Vergangene, das im offiziellen Erinnern nicht vergeht, wurde in der familiären Aufarbeitung vom Hof gepeitscht. Diesem Phänomen kann man nur respektlos begegnen.“ Jetzt hat man sich warm geredet: „Du darfst das nicht nur komödiantisch machen. Du musst es sogar komödiantisch machen.“ – „Aber wie?“ – „Wie wäre es, wenn der Typ im Film der Nachkomme eines Altnazis ist?“ – „Genau, und sie die Enkelin eines Holocaust-Opfers!“ Begeistertes Raunen: „Genial. Das Unbewältigte im Überbewältigten, das in den Familien immer noch Fortlebende.“ Die Sätze dieses fiktiven Wortwechsels stammen aus dem Presseheft von „Die Blumen von gestern“. Und man könnte noch ewig weitermachen. Der Phrasen- und Worthülsen-Bausatz reicht für ein ganzes Genre von Vergangenheitsbewältigungskomödien.

Laut, krawallig, obszön

Man muss befürchten, dass „Die Blumen von gestern“ Nachahmer findet. Der Film passt gut in unsere Zeit des Das-wird-doch-noch-mal-gesagt-werden-dürfens. Die Filmbewertungstelle hat diesbezüglich vorgelegt und das Prädikat „Besonders wertvoll“ verliehen. Im Jahr 2017 beginnt ein Film, der die kollektive und individuelle Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld thematisiert, also erst mal mit einem Schwanzvergleich – beziehungsweise dem Verhältnis von „Vorhaut“ und „Pimmel“ in der deutschen Holocaustforschung.

Der tiefere Sinn dieser Metaphorik will sich zwar nicht mal unter den Bedingungen der Situationskomik einstellen. Doch ein Wort ergibt das nächste und nach gerade zwei Minuten hat Holocaustwissenschaftler Toto (Lars Eidinger) seinen Vorgesetzten (Jan Josef Liefers), der einen Auschwitz-Kongress von der deutschen Industrie sponsern lassen will, in die Mangel genommen. Damit ist der Ton des neuen deutschen Geschichtsfilms, der sich endlich in der Gegenwart angekommen wähnt, etabliert. Laut, krawallig, obszön.

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Als Disziplinarmaßnahme muss sich Toto um die neue Praktikantin Zazie (Adèle Haenel) am Forschungsinstitut kümmern, das zur Zentralen Stelle in Ludwigsburg gehört. Die will sich nicht in den gepanzerten Transporter des Instituts setzen, weil in einem Wagen desselben Herstellers ihre Großmutter von den Nationalsozialisten vergast wurde. „Die Blumen von gestern“ streift ständig solche neuralgischen Punkte der Traumabewältigung, um sie postwendend für einen Kalauer zu opfern. Die jüdische Schauspielerin Rubinstein (Sigrid Marquardt), die Toto als Ehrengast für den Auschwitz-Kongress gewinnen will, erklärt ihm, dass sie keine Lust mehr auf dieses „Opfergeschwätz“ habe. Sie wolle lieber über ihre neue Nase reden.

Das Reden erweist sich in „Die Blumen von gestern“ allerdings als Problem. Meist wird geschrien. Totos Frau zum Beispiel hat von der Selbstmitleidstour ihres Mannes genug. Das sagt ihm Hannah Herzsprung einmal unverhohlen ins Gesicht und formuliert damit auch die Verdrängungsleistung des Films. Ein weiteres, ebenfalls wenig subtiles Detail in seinem Schuldkomplex als Enkel eines berüchtigten NS-Verbrechers ist die Libido. Toto ist impotent. Alles wegen der Nazis.

Temperamentvolle Frivolitäten

Die Psychosexualisierung der Schoah ist in „Die Blumen von gestern“ ein fortlaufendes Thema, das Kraus wie in einer Pennälerklamotte durchexerziert. Zazie, von Haenel äußerst unvorteilhaft an der Grenze zur Hysterie gespielt, hat nämlich ganz eigene Vorstellungen, wie sie mit ihrer „Macke“ umgehen muss. Sie hält „Ficken für den Frieden“ für ein probates Mittel, also unterbreitet sie Toto das unmoralische Angebot, mit ihm zu schlafen, um sich gemeinsam der Geister der Vergangenheit zu entledigen. Eidinger ist in „Die Blumen von gestern“ natürlich derjenige, der solche Frivolitäten temperamentvoll auf den Punkt bringt: „Mein Großvater hat deine Großmutter getötet und das törnt dich an?“

Man muss sich wundern, welche hanebüchenen Konstruktionen Chris Kraus, der auch das Drehbuch schrieb, in Kauf nimmt, um noch den geschmacklosesten Holocaust-Witz mitzunehmen. Wie ernst es ihm damit ist, zeigt sich in einer einzigen Kamerafahrt, die die beiden Traumatisierten beim Sex umkreist und später noch einmal für die Rede der Überlebenden Rubinstein recycelt wird. „Die Blumen von gestern“ behauptet, die deutsche Vergangenheit mit neuen Augen zu sehen. Die Wahrheit ist schlimmer. Der Film fügt sich nahtlos in die Kontinuität des neuen deutschen Geschichtskinos.

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