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Das Spiel beiläufiger Gesten.Theres (Miriam Jakob) ruht sich kurz in der freien Natur aus.

© Piffl

Im Kino: „Der traumhafte Weg“: Durch den Wald, durch die Zeit

Sinnliche Bilder, die Sehgewohnheiten auf die Probe stellen: Angela Schanelec hat mit „Der traumhafte Weg“ einen wunderbar verrätselten Film über das Ende der Liebe gedreht.

Von Andreas Busche

Junge trifft Mädchen. Junge verliebt sich in Mädchen. Mädchen verlässt Jungen. Es ist eine der ältesten Geschichten der Welt, auch im Kino wurde sie schon unzählige Male erzählt – am schönsten wohl im französischen. Nun hat Angela Schanelec, die frankophilste Regisseurin der ehemaligen Berliner Schule, eine Art Beziehungsfilm gemacht, auch wenn man etwas Geduld mitbringen muss, um in den zarten Figurenkonstellationen eine Geschichte auszumachen. „Der traumhafte Weg“ ist mehr noch als Schanelecs frühere Filme auf Sichtbarkeit denn auf Lesbarkeit angelegt. Er erfordert einen offenen Blick.

Wesentliche Informationen erschließen sich in „Der traumhafte Weg“ aus beiläufigen szenischen Details. Der Film beginnt irgendwann in den achtziger Jahren, was man am ehesten an dem Modell des Golfs erkennt, der in der Eröffnungsszene über den Parkplatz rollt. Theres (Miriam Jakob) und Kenneth (Thorbjörn Björnsson) sind ein junges Paar, sie befinden sich auf Griechenlandurlaub, Geld zum Rumkommen verdienen sie als Straßenmusiker. Ein Telefonat mit England beendet den Urlaub abrupt. Kenneths Mutter hatte eine Unfall, die Reaktion des Sohns ist nur unterhalb der Gürtellinie zu sehen: Seine Mütze fällt zu Boden, dann sackt der Körper in sich zusammen. Die Szene ist typisch für Schanelecs Arbeit mit Einstellungsgrößen und Kadrierungen. Ihre extremen Nahaufnahmen stellen Sehgewohnheiten auf die Probe. Oft sind tatsächlich nur Füße und Beine zu sehen, so entwickelt ihr Film ein sehr körperliches Verständnis von Bewegung, während die Bilder in komponierter Stasis verharren.

Die Erlangung eines Ausdrucks, frei von Konventionen

Auch Sprache ist bei Schanelec nur noch leerer Ausdruck, den ihre Darstellerinnen mit konsequenter Teilnahmslosigkeit performen. Das wird noch deutlicher in der zweiten Beziehung des Films, die im Berlin der Gegenwart in die Brüche geht. Die Schauspielerin Ariane (Maren Eggert) trennt sich von ihrem Freund David (Phil Hayes), das klärende Gespräch verbannt ihn komplett ins Off. Wenn er später den gemeinsamen Bücherschrank ausräumt, beschränkt sich ihr Gespräch auf das Nötigste. Das Gefühl von Verlust und Schmerz ist in „Der traumhafte Weg“ keine dramatische Markierung, es durchzieht die Bilder wie eine Vorahnung, während die Beziehungen längst auseinanderdriften. Schanelec zeigt die Machtlosigkeit der Figuren, die ihre Autonomie erst durch unscheinbare Gesten wieder erlangen. Einmal wandelt Theres mit ihrem Sohn durch einen Wald, sie legt sich ins Moos, der Junge greift nach ihrer Hand. Seine Berührung setzt sich dann in der Geschichte fort, über einen Zeitraum von dreißig Jahren – und erreicht schließlich Ariane. Auch die Leben der beiden Frauen berühren sich im Film nur sanft, zufällig.

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Man fühlt sich bei Schanelecs Inszenierung an Robert Bressons Prinzip der gestischen und mimischen „Entleerung“ erinnert: die Erlangung eines Ausdrucks, der das Schauspiel von allen Erwartungen und Konventionen befreit. Der Traumzustand wäre eine Möglichkeit der Befreiung, denn auch wenn in „Der traumhafte Weg“ kaum geschlafen wird, stellt sich durch Reinhold Vorschneiders abstrakte Kameraarbeit, das gewöhnungsbedürftige 4:3-Format, die hypnotische Montage und den artifiziellen Sprachduktus doch eine somnambule Stimmung ein.

Schanelec geht es jedoch nicht um emotionale Distanzierung, genau genommen ist „Der traumhafte Weg“ sogar ihr bisher sinnlichster Film. Der Titel trifft auch auf die Erzählhaltung, den filmischen Rhythmus zu. Man fühlt sich nach anfänglichen Irritationen in die Geschichte hineingezogen, sobald klar wird, dass sich der Film seinen Figuren nicht biografisch nähert, sondern über Bewegungen, dem Verhältnis der Körper. Schanelec kommentiert das Bedürfnis nach Erklärungen ironisch, wenn im Film ein Reporter Ariane fragt, ob ihr Spiel nicht bloß ein Ersatz für echte Gespräche sei. Vielleicht aber, könnte die Antwort lauten, wird im Kino manchmal auch zu viel geredet.

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