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Die Frau des Modeschöpfer. Alma (Vicky Krieps) hat ihre Mittel und Wege, sich Reynolds (Daniel Day-Lewis) gefügig zu machen.

© Universal

Im Kino: „Der seidene Faden“: Narziss und Fingerhut

Mit Paul Thomas Andersons Liebesdrama „Der seidene Faden“ nimmt Daniel Day-Lewis seinen Abschied vom Kino.

Von Andreas Busche

Ein Film der langen Blicke. „Wenn sie mich im Anstarren schlagen wollen, werden sie verlieren“, sagt Alma bei der ersten Verabredung zu ihrem Verehrer. Die amüsierte Bemerkung klärt früh die Kräfteverhältnisse in Paul Thomas Andersons „Der seidene Faden“: Die rosigen Erdbeerbäckchen der jungen Bedienung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hier zwei Menschen auf Augenhöhe begegnen – auch wenn ihr sozialer Status sie trennt. „Für den hungrigen Jungen“, schreibt sie ihm zum Abschied auf eine Serviette. Man wird sich an den Satz später wieder erinnern.

Der Blick, den Reynolds Woodcock, gespielt von Daniel Day-Lewis, auf Alma wirft, ist kein begehrender. Er taxiert sie regelrecht, nimmt in Gedanken ihre Maße. Seine Blicke ziehen sie nicht aus, im Gegenteil: Er kleidet sie ein. Woodcock ist einer der angesehensten Modedesigner im London der fünfziger Jahre, zu seinen Kundinnen – es sind tatsächlich nur Frauen – gehört die ganze britische High Society: Gräfinnen, Politikergattinnen, reiche Witwen. Sein Selbstverständnis: Er stattet die Frauen nicht bloß aus, er bringt ihre Persönlichkeit zum Vorschein.

Frische Brise durch die Herrschaftsräume

„Sie haben keine Brüste“, merkt Woodcock einmal an, während er Almas Maße nimmt. Das erste Date führt die beiden vom Restaurant direkt in sein Atelier. „Es ist meine Aufgabe, ihnen welche zu geben.“ Ein Affront, ein Kompliment? Bewunderung und Übergriff gehen Hand in Hand. Der Schöpfer nimmt sein Material in Augenschein, den weiblichen Körper. Almas verdutzte Reaktion, der Sekundenbruchteil eines Innehaltens, ist goldwert. Überhaupt stiehlt Vicky Krieps dem großen Method Actor so manche Szene.

In „Der seidene Faden“ stehen sich nicht nur zwei gänzlich konträre Charaktere gegenüber, sondern auch zwei Schauspielschulen. Krieps’ unbescholtener Naturalismus lässt eine frische Brise in die hermetischen Herrschaftsräume der hohen Gesellschaft mit ihren elitären Manierismen. „Ich bin ein überzeugter Junggeselle,“ erklärt Woodcock Alma, kurz bevor sie beim ihm einzieht: als seine Muse und Geliebte. Ihre Vorgängerin sieht man noch kurz am Frühstückstisch, sichtlich leidend unter dem lieblosen Regime des Hausherrn. Sie wird mit einem Kleid aus der Kollektion hinauskomplimentiert. Zu anhänglich. Alma wird den Platz an Woodcocks Seite nicht so schnell aufgeben.

Filme von Paul Thomas Anderson oder Daniel Day-Lewis sind immer ein Kinoereignis, schon weil mit ihnen – gemessen an der Schelllebigkeit des Filmgeschäfts – etwa so häufig zu rechnen ist wie mit einem Besuch des Halleyschen Kometen. Im Sommer hatte Day-Lewis verkündet, dass „Der seidene Faden“ sein letzter Film sein würde, er wolle sich aus dem Kino zurückziehen. Diese Nachricht verleiht seiner zweiten Zusammenarbeit mit Anderson nun ein besonderes Gewicht.

Die hohe Kunst des Handwerks

Woodcock und Day-Lewis sind sich als Künstlerpersönlichkeiten nicht unähnlich. Beide haben narzisstische Züge, umgeben sich gerne mit der Aura des Genies. Für seine Rolle hat der dreifache Oscar-Preisträger Day-Lewis („Der seidene Faden“ ist seine sechste Nominierung) bei den Großen der Zunft als Praktikant reingeschnuppert, Vorbild für seine Figur war der spanische Modeschöpfer Cristóbal Balenciaga, der unter anderem Greta Garbo und Grace Kelly ausstattete.

Doch Mode steht in „Der seidene Faden“ vor allem für handwerkliche Tradition, eine hohe Kunstfertigkeit, die Königinnen und Prinzessinnen vorbehalten ist. Einer berüchtigten Kundin, minderer Geldadel, die sich auf ihrer eigenen Hochzeit volllaufen lässt, wird das teure Kleid, noch während sie ihren Rausch ausschläft, buchstäblich vom Leib gerissen. Anderson versteht Mode wie das Filmemachen: als künstlerische Disziplin, die dazu da ist, das profane Leben zu verschönern. Seinen Dramen – „There Will be Blood“ und „The Master“ – war dieser Wille zum Epos stets anzumerken, die Diskrepanz von überhöhter Form und privatem Drama wurde sein Markenzeichen. Dazwischen überrascht er mit Kuriositäten wie „Punch-Drunk Love“ oder dem irrlichternden Pynchon-Krimi „Inherent Vice“.

Geschmackvoll, nie pompös

„Der seidene Faden“ schwelgt in den Entwürfen von Mark Bridges. Berauscht gleitet die Kamera über flämische Spitze aus dem 16. Jahrhundert und fliederfarbene Stoffbahnen aus Seide, die eine Armada an Näherinnen auf Geheiß des Meisters zu Kunstwerken verarbeiten. Anderson inszeniert diese Welt geschmackvoll, nie pompös, vulgär. Er hat ein Gespür für das Ständebewusstsein einer Elite, die es nicht nötig hat, ihren Reichtum auszustellen. Aber das filmische Handwerk ist nur ein ästhetisches Surplus, eine Selbstvergewisserung des Regisseurs, die Kontrolle über sein Sujet zu halten. Denn hinter der Fassade von Contenance und exquisitem Geschmack, wie man sie in hochdosierter Form aus Merchant-Ivory-Produktionen kennt, verbirgt sich eigentlich ein perverses kleines Liebesdrama.

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Reynolds Woodcock ist der Master of Ceremony, eine so empfindsame wie empfindliche Diva im Atelier und im Privaten. Alma erkennt bald ihre Grenzen als Partnerin – und testet sie immer wieder genüsslich aus. Beim Frühstück treibt sie ihn mit dem Kratzen des Buttermessers auf dem Toast in den Wahnsinn (morgens kritzelt er schweigend Entwürfe in sein Notizbuch), eine einzige Störung kann den Tag des Meisters ruinieren. Reynolds’ Schwester Cyril, gespielt von einer eisigen Lesley Manville, die ihre Arbeit mit Mike Leigh hier krönt, wacht über die fragile Künstlerseele, ist gesellschaftliches Korrektiv und Verbindung zur Realität.

Eine männliche Drama Queen

Alma begnügt sich nicht mit der Rolle der Muse, will sich nicht den Stimmungsschwankungen einer Drama Queen unterwerfen. Sie fühlt sich von Woodcocks Kultiviertheit angezogen und von seinen kindlichen Launen, dann gewinnt sie die Oberhand; doch sie fordert auch dieselbe Leidenschaft, mit der ihr Mann sich seiner Couture widmet. So steht Woodcocks exponierte Männlichkeit unter der Fuchtel von den drei Frauen in seinem Leben. Seiner Schwester, mit der er sich die Geschäfte teilt, seiner toten Mutter, deren Locke er in das Futter seines Jackets eingenäht hat (und die ihn als Geist heimsucht). Und Almas, die dem Tee für Reynolds eine Zutat beimischt, mit der sie ihn sich gefügig macht.

Schon in „The Master“ bildeten Amy Adams und Philip Seymour Hoffman ein sorgfältig austariertes Mobilé aus Abhängigkeiten, damals demonstrierte Adams ihre Macht mit einem beherzten Griff in Hoffmans Kronjuwelen. Doch die formale Virtuosität läuft bei Andersons immer Gefahr, seinen Filmen die Luft abzudrücken. „Der seidene Faden“ ist so faszinierend feinnervig und genau beobachtet, dass man die Perfidie der Inszenierung mitunter vergisst. „Ich will dich auf dem Rücken liegen sehen, zart, offen“, flüstert Alma. Ihre Liebe ist vergiftet.

Ab Donnerstag in 14 Berliner Kinos

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