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Hält nichts von Konventionen. Ben (Viggo Mortensen) vor trautem Heim.

© Universum

Im Kino: "Captain Fantastic" mit Viggo Mortensen: Wo die fremden Leute wohnen

Eine Aussteigerfamilie in der Welt der Normalos: „Captain Fantastic“ mit Viggo Mortensen überzeugt als kapitalismuskritisches Roadmovie.

Von Jörg Wunder

Bodevan, Kielyr, Vespyr, Rellian, Zaja und Nai – für jedes ihrer sechs Kinder haben sich Ben und Leslie Cash einen einzigartigen Vornamen ausgedacht. Die Familie hat sich aus der Konsumgesellschaft der USA zurückgezogen und in den Wäldern des dünnbesiedelten Nordwestens mit einem urigen Blockhütten-Tipi ihr autarkes Aussteiger-Utopia verwirklicht.

Ben (Viggo Mortensen) bringt den Kindern bei, was zum Überleben in der Wildnis nötig ist: Jagen, Pflanzen erkennen, Feuer machen; sie sind fit wie Leistungssportler, können sich nach den Sternen orientieren, kennen sich aber auch in Geschichte, Literatur, Philosophie und Naturwissenschaften aus und spielen mindestens ein Musikinstrument. Statt Weihnachten wird der Geburtstag des linken Weltverbesserers Noam Chomsky gefeiert, als Geschenke gibt es Jagdmesser – und den bebilderten Aufklärungsklassiker „The Joy of Sex“ für den Jüngsten, den Papas pädagogisch korrekte Antwort auf die Frage „Was ist Geschlechtsverkehr?“ verwirrt zurückgelassen hatte.

Die Waldkinder werden mit der Zivilisation konfrontiert

Doch es hängt ein Schatten über dem Idyll: Leslie (Trin Miller), seit Langem an einer bipolaren Störung erkrankt und zur medizinischen Versorgung bei ihren Eltern lebend, hat ihrem Leiden ein Ende gesetzt. Die Szene, in der Ben den Kindern unverblümt vom Tod der Mutter erzählt, ist in ihrer hervorbrechenden Emotionalität herzzerreißend. Trotz der Warnung seines Schwiegervaters, er werde ihn festnehmen lassen, falls er bei der Beerdigung auftauche, macht sich Ben mit den Kids im umgebauten Reisebus auf den Weg nach New Mexico zur „Mission Mama befreien“: Die sterblichen Überreste der überzeugten Buddhistin sollen nicht auf einem Friedhof vermodern.

„Captain Fantastic“ wandelt sich vom fast dokumentarisch präzisen Porträt einer ungewöhnlichen Familie zum Roadmovie, das den Erstkontakt der Kids mit den Merkwürdigkeiten der Zivilisation in seinen komischen Aspekten ausmalt, ohne eine der Seiten der Lächerlichkeit preiszugeben. Obwohl die Sympathie von Regisseur und Drehbuchautor Matt Ross denen gilt, die gegen den Mainstream anschwimmen, lässt er auch den anderen Figuren ihre Würde. Vor allem Bens von Frank Langella bravourös gespielter Schwiegervater ist eben nicht nur der starrköpfige Redneck, den man zunächst in ihm sehen mag, sondern auch ein ernsthaft besorgter Großvater. Im Spiegel seiner Einwände wirken manche der eher wie anarchische Streiche anmutenden Aktionen tatsächlich leichtsinnig – bis hin zur Lebensgefahr.

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Denn so überlegen die Waldkinder ihren Altersgenossen in vielem auch sein mögen, ihre bloß theoretische Kenntnis der Außenwelt macht sie zu Ausgeschlossenen, die von Popkultur keine Ahnung haben, „Puma“ nur als gefährliches Raubtier kennen und „Spock“ für den Kinderarzt und Buchautor Benjamin Spock (1903–1998) halten. Beispielhaft, wie Bo (George MacKay), der Älteste, tapfer und ungelenk mit einer ihn anflirtenden Teenagerin zu kommunizieren versucht.

Der Traum von einer besseren, gerechteren Welt

Dass „Captain Fantastic“ nie zur Freakshow abgleitet und auch mehr Substanz bietet als etwa die anekdotische Familienreise in „Little Miss Sunshine“, liegt nicht nur an der Ernsthaftigkeit, die Matt Ross Thema und Protagonisten angedeihen lässt. Es ist vor allem das wunderbare Ensemble, dass diese anrührende, erst zum Schluss eine Spur zu zuckrige Aussteigerballade zum Kinoerlebnis macht.

Von den beiden Kleinsten im Grundschulalter bis hin zum fast erwachsenen Bo werden die Kids glaubwürdig porträtiert. Der überbordenden Natürlichkeit der jungen Darsteller setzt Viggo Mortensen eine in seiner physischen Präsenz gründende Ruhe und Genauigkeit entgegen, die nie gegen etwas anspielen muss. Sein Ben ist der „Captain Fantastic“ (man hülle den Mantel des Vergessens über den dummen und irreführenden Verleih- Untertitel „Einmal Wildnis und zurück“), der idealistische Träumer von einer besseren, gerechteren Welt.

Cinemaxx, Kant; OV im Cinestar SonyCenter; OmU im Central, FaF, Kulturbrauerei, Off, Odeon und Rollberg

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