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Der Berliner Bildhauer Reinhold Begas schuf das 1883 eingeweihte Marmordenkmal für Alexander von Humboldt (hier aufgenommen beim „Festival of Lights“).

© Rolf Zöllner/Imago

Im Humboldt-Jahr: Die Geschichte des Humboldt-Denkmals ist eine echte Berliner Posse

Hoheit, Häme, Bürgerfreiheit: Es war ein zähes Ringen, bis das Denkmal des Weltentdeckers schließlich vor seiner Universität stand. Ein Gastbeitrag.

[Der Autor: Frank Holl hat in Lateinamerika und Europa Ausstellungen zu Humboldt kuratiert. 2017 ist in der Anderen Bibliothek das Buch „Alexander von Humboldt – Mein vielbewegtes Leben“ von ihm erschienen. Am 29. August um 18 Uhr spricht er, zusammen mit Rüdiger Schaper an der Humboldt-Universität zum Thema „Humboldt kontrovers“.]

Die Idee für das Denkmal hatte der Berliner Pathologe Rudolf Virchow im Jahr 1869. Zehn Jahre nach dem Tod Humboldts scharte er eine Gruppe von prominenten Kollegen um sich: den Elektrotechniker Werner Siemens, den Physiologen Emil du Bois-Reymond sowie Christian Gottfried Ehrenberg und Gustav Rose, die Humboldt 1829 auf seiner russisch-sibirischen Expedition begleitet hatten. Die fünf Wissenschaftler – alle als fortschrittliche, liberale Denker bekannt – richteten am 16. Mai 1869 eine Petition an das in Berlin tagende Zollparlament.

Dieses sollte die im Bundesrat vertretenen Norddeutschen Regierungen auffordern, „ein National-Denkmal für Alexander von Humboldt“ zu finanzieren. Wortgewaltig setzte sich damals Wilhelm Loewe, der linksliberale Abgeordnete des preußischen Abgeordnetenhauses, für den Vorschlag ein. Für ihn war es entscheidend, dass sich nicht nur die Bürger, sondern auch die deutschen Staaten und deren Vertreter zu einem neuen, modernen, liberalen Nationalverständnis bekannten, und kein anderer würde dieses besser repräsentieren als Alexander von Humboldt – sein 250. Geburtstag wird jetzt vor allem in Berlin groß gefeiert.

Doch zur größten Enttäuschung Loewes und der Wissenschaftler um Virchow wurde der Antrag abgelehnt. Unter den mehrheitlich konservativen Politikern hatte Alexander von Humboldt kaum Freunde. 1852, wenige Jahre vor seinem Tod, hatte er gegenüber dem Publizisten Friedrich Althaus über seine schwierige Rolle als Kammerherr des preußischen Königs erklärt: „Ich bin ja, während der letzten Jahre, selbst eine missliebige Person geworden; und würde längst als Revolutionär und Autor des gottlosen ,Kosmos’ ausgewiesen sein, verhinderte dies nicht meine Stellung beim Könige. Den Pietisten und Kreuzzeitungsmännern bin ich ein Gräuel. Nichts würde ihnen lieber sein, als dass ich schon unter der Erde vermodere.“

Humboldt war kein Freund des preußischen Geistes

Aus seiner politischen Haltung hatte er nie einen Hehl gemacht. Den preußischen Höflingen galt er als „rot“, und sich selbst bezeichnete er – in Anlehnung an die Flagge der Französischen Revolution – als „alten trikoloren Lappen“. Er unterstützte die demokratischen und konstitutionellen Forderungen der Aufständischen von 1848 und versuchte während der Märzrevolution vermittelnd auf König Friedrich Wilhelm IV. einzuwirken.

Die Gewalt des „Pöbels“ allerdings lehnte er ab. Als am 22. März 1848 die Barrikadenkämpfer beerdigt wurden, lief er im Trauerzug mit. Dass es in Berlin überhaupt zu Aufständen gekommen war, führte Humboldt auf falsches und zögerliches Handeln des Königs und der unfähigen Minister zurück. Konsequent plädierte er für Mäßigung.

Als dann 1860, ein Jahr nach seinem Tod, Humboldts Briefwechsel mit Karl August von Varnhagen erschien, waren die Konservativen und die Hofkamarilla in Berlin und Potsdam entsetzt. Nun hatten sie es schwarz auf weiß: Als „schielende Wanze“ hatte der Forscher Marcus von Niebuhr, den Kabinettsrat Friedrich Wilhelms IV., bezeichnet, und Ferdinand II., den König beider Sizilien als „Nudelkönig“. Auch König Friedrich Wilhelm IV., den Humboldt als Mensch eigentlich sehr schätzte, kam nicht immer gut weg.

Virchow startete ein Crowdfunding für das Humboldt-Denkmal

Und dabei hatte dieser dem Gelehrten ja durch dessen Stellung als Kammerherr eine finanzielle Absicherung erst ermöglicht. Noch empörender war es für viele, dass Humboldt Berlin „eine kleine, unliterarische und dazu überhämische Stadt“ nannte, „wo man monatelang gedankenleer an einem selbstgeschaffenen Zerrbild matter Einbildungskraft naget.“

Blitzschnell folgte eine Auflage der nächsten. Die Wogen schlugen so hoch, dass die Herausgeberin Ludmilla Assing, die Nichte Varnhagens, nach Italien fliehen musste. Für Prinzregent Wilhelm von Preußen, der wegen Erkrankung seines Bruders Friedrich Wilhelm IV. 1858 die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, war das Buch ein Skandal. Wilhelm war nie ein Freund des Forschers gewesen. Als Kartätschenprinz hatte er sich zweifelhaften Ruhm erworben, weil er die Aufständischen von 1848 ohne Verhandlungen niederschießen lassen wollte. Im Jahr 1861 bestieg er als König Wilhelm I. den preußischen Thron.

Da keine öffentlichen Gelder für die Statue des Gelehrten von den damaligen Staatenlenkern zu erwarten waren, machte sich Virchow 1869 auf die Suche nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten. Am 1. Juli 1869 gründete er ein „Comité zur Errichtung eines Nationaldenkmals für Alexander von Humboldt“. Virchows Crowdfunding war erfolgreich. Aus dem In- und vor allem auch aus dem Ausland gingen beachtliche Beträge ein. Erstaunlicherweise war auch das preußische Königspaar unter den Spendern. Vermutlich hatte die liberal gesinnte Königin Augusta, eine große Verehrerin Alexander von Humboldts, ihren Ehemann zu dieser Geste gedrängt.

Doch in den folgenden Jahren versuchte Wilhelm I. immer wieder, das Denkmalprojekt zu behindern. Virchow wünschte sich einen prominenten Standort an der Nordseite des Opernplatzes, direkt gegenüber der Universität. Am 13. August 1869 reichte er eine entsprechende Bitte beim König ein. Doch seine Anfrage wurde abgeschmettert.

König Wilhelm I. wünsche, so wurde Virchow mitgeteilt, dass die Stadtmitte und vor allem das unmittelbare Umfeld des Denkmals für Friedrich II. unter den Linden von weiteren Symbolfiguren freigehalten werde. Einer der Gründe war vermutlich, dass Wilhelm I. dann vom königlichen Palais aus jeden Tag auf Alexander von Humboldt hätte schauen müssen.

Die Statue für Humboldts Bruder bezahlte der Kaiser aus der Staatskasse

Doch Virchow ließ sich nicht beirren. Im Februar 1870 fragte er direkt bei der Universität an. Wäre es nicht möglich, das Humboldt-Denkmal auf deren Gelände aufzustellen? Die Idee fand große Beachtung. Allerdings gab der Rektor Karl Georg Bruns zu Bedenken, dass Alexander von Humboldt hier zwar seine berühmten Kosmos-Vorlesungen gehalten, aber sonst keinen größeren Bezug zur Universität habe.

Dessen Bruder Wilhelm wäre es gewesen, der entscheidend zur Gründung der Universität im Jahr 1810 beigetragen habe. Von nun an wurden also zwei Denkmäler geplant: eines für Alexander und eines für Wilhelm von Humboldt. Diese sollten links und rechts des Eingangs zur Universität in zwei Einbuchtungen des Universitätsgitters stehen – schräg gegenüber dem Palais des Königs, in dessen Sichtweite.

Eine Einwilligung des Königs, der gefordert hatte, über alle Denkmalsfragen informiert zu werden, war mehr als fraglich. Zudem fehlten für dieses nun stark erweiterte Projekt die finanziellen Mittel. Erst im April 1874 wagte das Virchow’sche Komitee einen neuen Anlauf und wandte sich wieder an Wilhelm I. Dieser war inzwischen, im Jahr 1871, zum deutschen Kaiser proklamiert worden.

Zum großen Erstaunen willigte Kaiser Wilhelm I. ein. Mehr noch: die Statue Wilhelm von Humboldts wollte er aus Staatsmitteln bezahlen. Obwohl auch Wilhelm von Humboldt kosmopolitisch dachte, stand er Preußen doch wesentlich näher als Alexander. Leicht machte Wilhelm I. es Virchow allerdings auch diesmal nicht: Nur unter genauen Detailanweisungen erteilte er seine kaiserliche Genehmigung.

Demnach durften die Figuren der Gelehrten auf keinen Fall so hoch sein wie die Standbilder der preußischen Generäle Bülow und Scharnhorst vor der Neuen Wache direkt rechts neben der Universität. Auch solle vom Kaiserlichen Palais gesehen Wilhelms Denkmal links, Alexanders rechts stehen und damit etwas entfernter vom Blick des Kaisers.

In Südamerika war der Weltreisende höher angesehen

Doch bis es dann endlich so weit war, vergingen noch weitere neun Jahre. Erst am 28. Mai 1883, fast 14 Jahre nach Gründung des Denkmalkomitees, konnten die beiden Statuen für Alexander und Wilhelm von Humboldt dann endlich eingeweiht werden. Doch der Kaiser hielt zur Feier zunächst erkennbar Distanz. Vom Balkon seines Palais verfolgte er die Zeremonie. Erst gegen Ende beehrte er das Fest dann doch noch mit persönlicher monarchischer Präsenz, begleitet von den Prinzen und weiterem Personal.

27 Jahre später, im Jahr 1910, war dann dessen Enkel, Kaiser Wilhelm II., wesentlich großzügiger. Bereitwillig öffnete er die Staatskasse für eine Marmorstatue Alexander von Humboldts. Allerdings sollte diese nicht in Deutschland, sondern in Mexiko-Stadt aufgestellt werden. Es war ein Akt der Außenpolitik – ein Geschenk des Kaisers an Mexiko, zur Hundertjahrfeier der Unabhängigkeitserklärung von Spanien.

Mit seinem Werk hatte Alexander von Humboldt nicht wenig zur Unabhängigkeit Lateinamerikas beigetragen. Simón Bolívar, der südamerikanische Freiheitsheld, hat ihn 1823 den „wahren Entdecker der Neuen Welt“ genannt, „dessen Wissen für Amerika mehr Gutes bewirkt hat als alle Conquistadoren zusammen“. Und der kubanische Philosoph José de la Luz y Caballero prägte im Jahr 1826 die Formulierung vom „zweiten Entdecker Kubas“.

Das Humboldt-Denkmal vor der mexikanischen Nationalbibliothek und die Rede, die Karl Bünz, der Repräsentant Kaiser Wilhelms II., bei der Enthüllung im Jahr 1910 hielt, ist ein Beispiel für die politische Instrumentalisierung des Forschers im Ausland. Die Rede strotzte vor deutscher Überheblichkeit. Bünz präsentierte Humboldt als einen Deutschen, der „beseelt war von dem unserer Rasse eigenen Forschungstrieb“.

Humboldt wird bis in die 1930er instrumentalisiert

Die außenpolitische Instrumentalisierung des Gelehrten setzte sich auch zur Zeit des Nationalsozialismus fort. Im Jahr 1939 gestattete die NS-Regierung der Universität von Havanna bereitwillig, am Berliner Denkmal Alexanders eine feuervergoldete Inschrift anzubringen. In Anlehnung an die Worte José de la Luz y Caballeros ist am Sockel des Denkmals seither zu lesen: „Al Segundo Descubridor de Cuba. La Universidad de la Habana 1939“.

Die Buchstaben wurden allerdings kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gestohlen und durch bronzene ersetzt. Bis zum heutigen Tag führt der Text zu Verwirrung, denn er lässt die Deutung zu, das gesamte Denkmal sei eine Stiftung der kubanischen Universität. Die Inschrift ist eine List der cleveren Kubaner, der Standort des Monuments jedoch, im halbrunden Gitter auf dem Universitätsgelände, ist das Resultat der Ressentiments des Monarchen Wilhelm I. gegenüber einem der freiheitlichsten Söhne Preußens. Trotzdem hätte sich für Alexander von Humboldt in ganz Berlin kein besserer Platz finden können.

Frank Holl

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