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Zubin Mehta und die Berliner Philharmoniker.

© Martin Walz

Kultur: Im Bann der Alphatiere

Die Philharmoniker kommen mit ihrem „Otello“ aus Baden-Baden konzertant in der Philharmonie. Die szenische Aufführung vermisst niemand.

Bedächtigen Schrittes betritt Zubin Mehta die Bühne, auf einen Gehstock gestützt, erklimmt langsam das Dirigentenpodest, auf dem ein barhockerhoher Stuhl für ihn parat steht – und gibt dann so überraschend schnell den Einsatz zur ersten Szene von Verdis „Otello“, dass die Berliner Philharmoniker völlig überrumpelt werden. Doch weil sie die Oper ja gerade mehrfach mit dem 82-jährigen Maestro aufgeführt haben, bei ihren Osterfestspielen in Baden-Baden (Tsp vom 15.4.), fangen sich die Musikerinnen und Musiker zum Glück schnell wieder. Dass sich das eröffnende Sturmtableau angemessen fulminant entwickeln kann, ist aber auch dem Berliner Rundfunkchor zu verdanken, der beim konzertanten Nachspiel in Berlin den Philharmonia Chor Wien ersetzt, mit rhythmischer Perfektion und druckvollem Tuttiklang.

Wer braucht eine Regie, wenn er einen Chor hat, der so suggestiv singen kann, dass er rein akustisch zum feiernden Volk wird, in dessen Tönen sich bewegter Jubel und Tanzfreude manifestiert oder auch der Schrecken des entsetzt zurückweichenden Volkes, wenn der Titelheld zum Unhappy End seine Desdemona verflucht? Die wird, wie schon in Baden-Baden, von Sonya Yoncheva verkörpert, die sichtbar froh ist, das einengende Bewegungskorsett der Robert-Wilson-Inszenierung abstreifen zu können. So nahe rückt sie ihrem Otello im Liebesduett, so zärtlich karessiert sie Arsen Soghomonyan, dass der spürbar davon überrascht ist. Die zwischen Scheu und Verlangen schwankende Intimität, die sich so einstellt, berührt unmittelbar.

Jubel und Eifersucht

Soghomonyan, der zunächst als Bariton Karriere machte, bevor er 2017 ins Tenorfach wechselte, hat alles, was man sich für Verdis Version des Shakespeare’schen Antihelden wünschen kann: die Attacke für die Jubelrufe zu Beginn und die Eifersuchtsausbrüche in den drei folgenden Akten einerseits und andererseits eine dunkel grundierte Mittellage, die ihn als Autoritätsperson glaubwürdig macht und es ihm zugleich erlaubt, in den kurzen Glücksmomenten mit Desdemona weich und nahbar zu klingen.

Ebenso wie Soghomonyan ist auch Luca Salsi für die Berliner Aufführungen neu dazugekommen. Er spielt den Jago nicht nur mit einer grandios selbstbewussten Körpersprache, sondern gebietet auch noch über eine dieser raren, genuinen Heldenbaritonstimmen, mit metallisch glänzender Höhe und grenzenloser Vielfarbigkeit in den übrigen Registern. Chamäleonhaft wechselt er die Schattierungen, schmeichelt hier raffiniert, droht dort, so, wie es sein perfider Plan gerade verlangt.

Die beiden Männer sind umwerfend, Rampensäue im edelsten Sinn des Wortes, raumgreifende Alphatiere, zwischen denen Desdemona förmlich zerrieben wird. Dass Sonya Yonchevas Sopran eigentlich einen Tick zu dramatisch für die Rolle der engelhaften Gattin ist, macht ihre Interpretation umso interessanter. Gefährdet wie hauchdünnes Glas, das zu zerspringen droht, wirkt jeder Ton der finalen „Canzone del salice“.

Wie ein väterlicher Freund ist Zubin Mehta seinen fantastischen Solisten innerlich zugewandt, die Philharmoniker dagegen dirigiert er mit einer derart altmeisterlichen Minimalgestik, dass das Orchester weit in den Hintergrund rückt, obwohl es optisch so präsent ist.

Noch einmal am Sonntag, 19 Uhr, sowie live in der Digital Concert Hall.

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