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Fabelwesen. Ilna Ewers-Wunderwalds „Wassermann“ entstand um 1910.

© Bröhan-Museum

Ilna Ewers-Wunderwald: Eine Jugendstil-Künstlerin und ihre Hippieträume im Kaiserreich

Präzise Magie: Das Werk der Jugendstilkünstlerin Ilna Ewers-Wunderwald wird vom Berliner Bröhan-Museum wiederentdeckt.

Der Teufel in Menschengestalt. Könnte aber auch ein Fisch sein oder eine Garnele. Schlaff hängt die krebsrote Gestalt auf einer kugelrunden Knospe, gegen die Meereswellen branden. Hörner zieren den Kopf, die Beine enden in Flossen und scheinen in Schlaghosen zu stecken. Auf anderen Bildern blühen Blumen vor schwefelgelbem Hintergrund, eine Art Tintenfisch, dessen Tentakel mit Perlen besetzt sind, wird von einer Muschel verschlungen. Hähne kämpfen miteinander, ihre langen, sanft fließenden und millimetergenau wiedergegebenen Federn erinnern an Locken.

Als der Hahnenkampf 1909 in der Berliner Secession ausgestellt wird, soll Max Liebermann verwundert ausgerufen haben: „Ne, warum macht se denn det? Det kost doch Zeit! – Un denn kucken se doch bloß die Hähner an – ne sovat!“ „Se“, also sie, das ist Ilna Ewers-Wunderwald, die bei einem Spanienbesuch in Malaga einen Hahnenkampf erlebt hatte und davon so bestürzt und beeindruckt war, dass sie immer wieder solche Vögel zeichnen sollte, die übereinander herfallen. Ihre Kunst oszilliert zwischen Präzision und Fantasie, wild wuchern die Ornamente. Bemerkenswert ist nicht bloß, wie schnell Ewers-Wunderwald zur gefeierten Jugendstil-Künstlerin aufstieg, bemerkenswert ist auch, dass sie später nahezu vergessen wurde.

Erstes Aufsehen erregt die Künstlerin als Chansonette

Die Ausstellung, mit der sie nun vom Berliner Bröhan-Museum wiederentdeckt wird, ist die erste seit über sechzig Jahren. Siebzig Exponate sind zusammengekommen, fast alle aus Privatbesitz. Kuratorin Anna Grosskopf schwärmt von einer „spannenden Künstlerinnenbiografie“. Dabei weiß man nur wenig über ihre Anfänge. 1875 als Tochter einer Unternehmersfamilie in Düsseldorf geboren, wächst Wunderwald in einer Zeit auf, in der Frauen auf den Kunstakademien noch nicht zugelassen sind. Wahrscheinlich erhält sie eine private Ausbildung, vielleicht in einer Damenkunstschule, die auch von Gabriele Münter besucht wird.

„Welch ein Erstaunen“, jubelt eine Kritikerin der „Frauen-Rundschau“. „Im Publikum die festgeschnürten Damen – auf dem Podium Fräulein Ilna Wunderwald im fließenden weißen Gewande, das mit gelben Blumen herrlich bemalt ist, die ideale schlanke Gestalt bewegt sich frei, durch kein Korsett beengt! Dann tönt es glockenrein von ihren Lippen – sie rezitiert moderne Gedichte.“ Erstes Aufsehen erregt die Künstlerin als Rezitatorin und Chansonette. 1895 lernt sie den Schriftsteller Hanns Heinz Ewers im Düsseldorfer Künstlerverein „Malkasten“ kennen und zieht mit ihm nach Berlin, wo er das von Ernst von Wolzogen gegründete Kabarett „Überbrettl“ leitet.

Das Paar heiratet 1901, führt eine idealtypische Bohème-Ehe. Sie entwirft Reformkleider, die in der Fahnenfabrik ihres Vaters hergestellt werden, er stilisiert sie zur „schönen Frau“ und „Herrin“. Finanziell wird Wunderwald allerdings bis zur Scheidung 1912 von ihrem Gatten abhängig sein. Wie „Jugendstil-Hippies“, so Sven Brömsel in seinem Katalogtext, verbringen sie mehrere Monate in der Aussteiger-Kolonie auf Capri, unter anderem als nackte Sonnenanbeter. Später brechen sie in die Karibik, nach Mittel- und Südamerika, nach Japan und China auf. Aus Kolumbien bringen sie einen Papagei mit, den sie Phylax nennen.

Von einer Indien-Reise kehrte Wunderwald tief beeindruckt zurück

Ein sparsam bekleidetes Mädchen wendet sich der aufgehenden Sonne zu, vor ihr kauert eine Kröte auf einer halb versunkenen Säule. Darüber der Name des Komponisten und der Titel seiner Oper: „Die toten Augen“ von Eugen D’Albert. Wunderwald liefert Illustrationen für Zeitschriften wie „Heim der Jugend“ oder „Das Leben“, gestaltet Bücher ihres Mannes und anderer Autoren. Immer wieder setzt sie Tiere auf die Einbände, es entsteht ein Bestiarium mit Wildkatzen, Kranichen, Pfauen, Spinnen. Beeinflusst vom japanischen Holzschnittmeister Hokusai und vom britischen Dekadenzzeichner Beardsley arbeitet sie stets mit Feder und Tusche, bald auch mit Wasserfarben.

Ilna Ewers-Wunderwald zeichnete 1955 einen bunten Vogel und gab ihrem Blatt den Titel „Angst“.
Ilna Ewers-Wunderwald zeichnete 1955 einen bunten Vogel und gab ihrem Blatt den Titel „Angst“.

© Bröhan-Museum

Von einer Indien-Reise kehrt Wunderwald 1910 tief beeindruckt zurück. „Die Phantasie wird bis zur Ausschweifung in die Höhe getrieben“, notiert sie im Tagebuch. „Schönheit und Grauen folgen im steten Wechsel.“ In der Folge entstehen altmeisterliche Schwarz-Weiß-Blätter, die vielköpfige Gottheiten, Schlangenbeschwörer, Festungen und Kamelfuhrwerke zeigen. Das Nashorn, das vor einem Bambuswäldchen steht, könnte aus Dürers Holzschnitt entsprungen sein.

Zusammen mit Ewers übersetzt Wunderwald französische Autoren. Mit der androgynen Heldin von Théophile Gautiers Roman „Mademoiselle de Maupin“ identifiziert sie sich so sehr, dass sie eine Zeit lang Männerkleidung trägt. Außenseiterin ist sie gerne, in einem Text empört sie sich über „dieses scheußliche Monstrum von Bürgertum“, das alles verschlingen will.

„Schade, dass alles Geheimnisvolle entzaubert wird“

Ewers veröffentlicht 1911 seinen Roman „Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens“, der von einer unheilvollen, künstlich gezeugten Frau handelt und zum Welterfolg wird. Es folgen fünf Verfilmungen, unter anderem mit Brigitte Helm und Hildegard Knef. Ewers’ Alraune, ein sich den Geschlechterrollen entziehendes Nachtschattengewächs, trägt die Züge Wunderwalds. Sie ist ein mediterraner Typ, reitet im Herrensitz. „Als sie zum Nachtmahl kam, waren die Haare geschnitten. Wie ein Page sah sie aus, rings fielen die Locken um den Bubenkopf.“ Zwanzig Jahre später wird Ewers sich den Nationalsozialisten anbiedern und einen Horst-Wessel-Roman schreiben.

In der Ära der Neuen Sachlichkeit ist Wunderwalds magisch-fantastische Verinnerlichungskunst nicht mehr gefragt. „Schade, dass alles Geheimnisvolle entzaubert wird“, klagt sie kulturpessimistisch. „Was haben wir heute dafür errungen?! Nichts! und werden noch ärmer werden, je weiter der ,Fortschritt‘ anhält.“ Noch einmal macht sie 1930 Schlagzeilen, als sie mit 55 Jahren zu Fuß eine Weltreise antritt.

Wunderwald lebt mit der Bildhauerin Elli Unkelbach zusammen. 1938 ziehen sich die beiden Frauen in eine Art innere Emigration an den Bodensee zurück. Bis zu ihrem Tod 1957 zeichnet Wunderwald unermüdlich weiter. Späte Notizen: „Eine Drossel, die jeden Morgen auf dem Balkondach vor meinem Fenster singt, ist mir lieber als alles. Ich bin genauso scheu wie diese Tierchen.“

Bröhan-Museum, bis 16. Juni. Di bis So 10–18 Uhr. Der Katalog kostet 30 €.

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