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Selbstvergessen. Alice (Julianne Moore) leidet an Alzheimer.

©  Polyband

Ihre Oscar-Rolle: Julianne Moore und "Still Alice": Essig im Kopf

Til Schweiger hat mit "Honig im Kopf" das Thema Alzheimer eher grob publikumswirksam ins Kino gebracht. "Still Alice" - mit der frisch gekürten Oscar-Preisträgerin Julianne Moore - inszeniert diese Krankheitswelt ungleich subtiler.

Ein paar Überraschungen gab es bei der jüngsten Oscar-Verleihung, aber ein Preis gehörte nicht dazu: Julianne Moore, Hauptdarstellerin des Alzheimer-Dramas „Still Alice - Mein Leben ohne Gestern“ war nicht nur bei den Buchmachern ein sicherer Tipp. Ebenso wie dem ebenfalls als Hauptdarsteller ausgezeichnetem Eddie Redmayne machte sie, subtil und eindringlich, einen krankheitsbedingten Verfallsprozess fühlbar, und solche Anstrengungen belohnt die Academy bekanntlich gern.

Während Redmayne als an ALS erkrankter Stephen Hawking vor allem körperliche Veränderungen spielen musste, gab Moore eine an der Alzheimer-Krankheit leidende Professorin, die gegen den langsamen Abbau der geistigen Fähigkeiten kämpft. Die meisten Alzheimer-Patienten sind über 65 Jahre alt; hierzulande stellen sie zwei Drittel der 1,5 Millionen Demenzkranken. Etwa zehn Prozent aber sind deutlich jünger; sie leiden an einer erblich bedingten frühen Form der Krankheit. Folglich erschien die 1960 geborene Julianne Moore als Idealbesetzung für die Rolle der Wissenschaftlerin auf der Höhe ihrer Karriere.

Ein Milieu, in dem Krankheit nicht vorgesehen ist

Alice hat soeben ihren 50. Geburtstag gefeiert. Sie und ihr Mann John (Alec Baldwin) sind erfolgreiche Akademiker mit internationalem Wirkungskreis; ihre drei erwachsenen Kinder Lydia (Kristen Stewart), Anna (Kate Bosworth) und Tom (Hunter Parrish) sind auf unterschiedliche Weise gut geraten. Alice und John wohnen in New York, besitzen ein Sommerhaus in den Hamptons; sie gehören dem Kulturbürgertum an und sind sich der Privilegien ihres Standes durchaus bewusst.

Auf die Beschreibung des Milieus, in dem Krankheit nicht vorgesehen ist, wenigstens zu diesem Zeitpunkt, haben die Filmemacher Richard Glatzer und Wash Westmoreland viel Sorgfalt verwendet – ebenso auf die Dialoge, in denen die beiden rationalen, vom Denken, Schreiben und Ausbilden lebenden Menschen damit fertig zu werden suchen, dass für einen von ihnen dies bald nicht mehr möglich sein wird. In einer schönen Szene begegnet Alice ihrem Neurologen mit leichter Herablassung, als sei es ein besonderes Entgegenkommen von ihr, sich dem Test zu unterziehen. Nach der Bekanntgabe der Diagnose steht das Ehepaar wartend vor dem Fahrstuhl, und John haut wütend auf den Knopf ein, statt seine Anspannung zu artikulieren.

Erst bloß ein Blackout, schlagfertig kaschiert

Beinahe unmerklich beginnt der geistige Abbau bei Alice: ein Blackout bei einem Vortrag, den sie schlagfertig kaschiert, eine vergessene Abendeinladung, verlegte Gegenstände, kurze Phasen der Desorientierung. Kurz darauf verläuft das Leben wieder normal; schon keimt die trügerische Hoffnung, dass sich ihr Zustand doch noch bessern werde. Subjektive Kameraeinstellungen aber zeigen die Welt aus Alices Sicht: verschwommen, flach und aus den Proportionen geraten, sodass sie den richtigen Weg nicht mehr erkennen kann. Ebenso führt der Film die wechselnden seelischen Zustände der Heldin und ihres Umfelds vor Augen: Verleugnung, Selbstmitleid, Tapferkeit, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Scham und Trotz.

„Still Alice“ ist ein Film der leisen Töne, ein Plädoyer für die Integration von Kranken in Familie und Gesellschaft und zugleich gegen den Leistungs- und Fitnesskult. Wobei der Film keineswegs die Mühen verleugnet, mit denen ein akzeptierender Umgang mit Kranken für alle Beteiligten verbunden ist. Womöglich ist diese besondere Sensibilität auch darauf zurückzuführen, dass Richard Glatzer während der Vorbereitungszeit an der Nervenkrankheit ALS erkrankte und als einer der beiden Regisseure am Set bereits im Rollstuhl saß.

Ein Plädoyer für die Integration von Kranken in die Familie ist auch Til Schweigers „Honig im Kopf“, der seit Weihnachten bereits knapp sechs Millionen Zuschauer erreichte. Vor dem Hintergrund von „Still Alice“ wird deutlich, wie vergleichsweise grob man sich einem ähnlichen Krankheitsbild nähern kann. Dieter Hallervorden spielt den 72-jährigen Amandus, der nach dem Tod seiner Frau zur Familie seines Sohnes zieht: Vater Niko (Schweiger), Mutter Sarah (Jeanette Hain) und die elfjährige Tochter Tilda (Emma Schweiger). Da beide Eltern arbeiten, kümmert sich vor allem das Kind um den liebenswert verwirrten Alten – und findet die Krankheit zunächst gar nicht so schlimm wie die Erwachsenen.

Schweiger klotzt ordentlich, wenn es um die Auswirkungen der Demenz geht - mit grobschlächtigen Scherzen, besonders auf Kosten von Tildas ständig hysterischer Mutter, derbem Klamauk und hochgezogenen Augenbrauen, aufgerissenen Mündern und plinkernden Seitenblicken. Auch „Honig im Kopf“ zeigt ein bürgerliches Idyll, in dem es allerdings weniger um intellektuelles als um monetäres Kapital geht – und die Katastrophe besteht darin, dass der Opa fortlaufend sorgfältig gepflegte und teure Gegenstände zerstört. Darin liegt durchaus anarchistischer Furor, und im Spaß der Enkelin daran mag auch ein Aufbegehren gegen die Kupferkessel-Welt der reichen Öko-Spießer liegen.

Auch gibt es ein paar anrührende Momente leiser Trauer im ansonsten burlesken Spiel des Dieter Hallervorden; diese Szenen aber verschwinden zwischen Grobheiten und Zoten, bei denen Schweiger mit einem amüsierwütigen Publikum paktieren zu müssen glaubt. Der Erfolg scheint seine Strategie zu rechtfertigen. Mal sehen, wie sich „Still Alice“ an der Kinokasse schlägt. Furchtbar viel zu lachen gibt es nicht, aber immerhin eröffnet der Film Hoffnung auf ein bisschen Glück – für Kranke wie Gesunde.

„Still Alice" läuft in 15 Berliner Kinos; „Honig im Kopf“ ist noch in 26 Kinos zu sehen.

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