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Reaktionäre Rekonstruktion? Besucher in den Gassen der Neuen Frankfurter Altstadt.

© Boris Roessler/dpa

Ideologie in der Baukunst: Gibt es rechte Architektur?

Zwischen Heimattümelei und Moderne: Der Architekturtheoretiker Stephan Trüby untersucht „Rechte Räume“ auf ihren ideologischen Gehalt.

Die Bodenplatte mit dem antisemitischen Zitat des Dichters Ezra Pound wurde im Januar 2020 aus dem Walter-Benjamin-Platz entfernt und damit das Objekt, auf den sich die Debatte um „rechte Räume“ jedenfalls in Berlin zugespitzt hatte. „Rechte Räume“ ist ein dank Kürze und Alliteration eingängiges Schlagwort. Aufgebracht hat es der in Stuttgart lehrende Architekturhistoriker Stephan Trüby im Frühjahr 2018. In der Folge wurden mit einem Mal überall rechte, rechtspopulistische oder gar faschistische Architekturen gesehen.

Am schlimmsten traf es die touristische Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt, in eben jenem Frühjahr 2018 fertiggestellt wie eine Realität gewordene Stadt aus „Faller“-Modellhäuschen. Dabei zielte Trüby, als er in der führenden Zeitung Frankfurts gegen die Altstadt zu Felde zog, weniger auf die Gebäude selbst als auf den Verdacht, dass ein rechtsaußen angesiedelter Lokalpolitiker der Mastermind dieser Puppenstuben-Rekonstruktion gewesen sei.

Inzwischen ist die hitzige Debatte abgeklungen. Trüby selbst hatte ihr die Spitze genommen, als er im Juni 2019 in einem Interview ausführte: „Es gibt keine per se rechte oder linke Architektur. Das betone ich immer wieder“, und hinzusetzte: „Aber es gibt rechte Räume.“ Der Begriff bleibt bleibt diffus und meint eher, dass sich Rechtspopulisten womöglich in spitzgiebeligen Fachwerkhäusern versammeln oder am liebsten auf nachgeahmten Rittergütern siedeln. Es meint, dass es seitens der politischen Rechten eine Affinität zu traditionellen Bauformen gibt, bis hin zur Heimattümelei.

Es gibt keine ideologiefreie Baukunst

Das ist allerdings weder neu noch überraschend. Es geht um Ideologiekritik, um den Aufweis, dass es keine ideologiefreie Baukunst gibt und geben kann. Das aufzuzeigen, ist Aufgabe der Kritik: „Der Kritik käme die Rolle zu, im Bewusstsein einer ideologischen Verfasstheit alles Gebauten zu werten und dabei ein Mindestmaß an Distanz und Kritikbereitschaft zu wahren.“

So formuliert es Stephan Trüby programmatisch in seinem jüngst erschienenen Buch, das unter dem Schlagwort-Titel „Rechte Räume“ vor allem die Geschichtsvergessenheit anprangert, die eben Rekonstruktionen befördert, als Verdrängung unliebsamer historischer Tatsachen wie dem Nationalsozialismus und den von ihm entfachten Weltkrieg (Rechte Räume. Politische Essays und Gespräche. Bauwelt Fundamente 169. Birkhäuser Verlag, Basel 2021. 288 Seiten, 29,95 €.).

Der zentrale Vorwurf Trübys lautet: „Die Rekonstruktionsarchitektur entwickelt sich in Deutschland derzeit zu einem Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten.“ Damit fühlten sich nun alle Anhänger des Wiederaufbaus als Rechtsaußen diffamiert, was Trüby freilich ausdrücklich verneint. In seinem Buch schreibt er, es ginge „weder um einen Aufruf zum Abriss von Fachwerkhäusern noch darum, allen Unterstützer*innen von Rekonstruktionen rechtes Gedankengut zu unterstellen“. Vielmehr bezeichnet Trüby „Rekonstruktionen im Sinne von Wiederherstellungen nach Katastrophen und Kriegen“ als „historische Selbstverständlichkeit“.

„Heile-Welt-Gebaue“

So etwas wie die Frankfurter Altstadt hingegen sei „Heile-Welt-Gebaue“, das „Geschichte auf ein eindimensionales Wunschkonzert reduziert“. Trüby favorisiert demgegenüber eine Architektur der sichtbaren Brüche, von Hans Döllgasts 1957 abgeschlossenem Wiederaufbau der Münchner Pinakothek mit ihren durch unverputzten Backstein sichtbar gehaltenen Kriegsschäden bis zu der darin verwandten Gestaltung des Neuen Museums in Berlin durch David Chipperfield.

Bloß ist auch das, um in der Sprache des Autors zu bleiben, ein „Wunschkonzert“ – nur eben das einer sorgsamen Inszenierung von Geschichte. Kein Wiederaufbau und nicht einmal Konservierung entgehen der Ästhetisierung, ansonsten bliebe nur die Ruine in ihrem Originalzustand.

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Darüber ist, seit in der alten Bundesrepublik und verstärkt im wiedervereinigten Deutschland Rekonstruktionen von Gebäuden als Mittel der Stadtreparatur betrieben und ganze Altstädte wie in Dresden historisch aufpoliert werden, viel gestritten und geschrieben worden. Winfried Nerdinger, an dessen Wachsamkeit gegenüber neofaschistischen Umtrieben kein Zweifel besteht, hat in dem von ihm viele Jahre lang geleiteten Münchner Architekturmuseum 2010 eine Ausstellung zum Thema Rekonstruktion gemacht, bei der dem Besucher die Augen übergehen konnten angesichts der Vielfalt und Selbstverständlichkeit, mit der in den unterschiedlichsten Zeiten und Kulturen Gebautes wiedererrichtet worden ist, oft ohne dass dies als Besonderheit bemerkt oder gar problematisiert worden wäre.

Es gibt keine „unschuldige“ Architektur

Für die Gegenwart bleibt die Frage, ob es zumindest „rechten“ Städtebau gibt, worunter Trüby „das populistische und sozial neutralisierte Geschäft identitärer Stadtraumbildung“ versteht. Er räumt ein, es gebe „keine ,rechte’ Architektur (aber rechte Räume)“. Sie entstünden, „wenn mythische Ursprünge, Nationen, Regionen, Heimaten übercodiert werden, wenn Architektur zum ,Heimatschutz’ unter Ausschluss von realer oder vermeintlicher Fremdheit verkommt“.

Entscheidend bleibt der gemeinte Sinn, die ideologische Stoßrichtung – wenn sie sich nur immer finden ließe. Im konkreten Vergleich tut sich Trüby schwer: Das finnische Parlamentsgebäude von 1931, Ausdruck nationaler Unabhängigkeit, mit seinem nordkoreanischen Pendant von 1984 im Bildvergleich als „zum Verwechseln ähnlich“ zu bezeichnen, erfordert denn doch einen gehörigen Tunnelblick.

Im 20. Jahrhundert allerdings wurde Architektur wie nie zuvor in den Dienst von Herrschaft genommen, zumal von autoritären, faschistischen und kommunistischen Regimen. Insofern gibt es keine „unschuldige“ Architektur. Allerdings zeigt schon eine oberflächliche Betrachtung der Baukunst im 20. Jahrhundert, dass monumentales Bauen, mit der Vorliebe von Symmetrie und Naturstein, quer durch die Systeme gängig war, wie umgekehrt die bewusst luftige, aufgelockerte Architektur der Nachkriegsjahrzehnte ihrerseits in politisch konträren Systemen Anklang fand.

Auch Heroen der Moderne bauten für Diktatoren

Berlin ist für all das ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch, von den heute als Bundesministerien dienenden Bauten der NS-Zeit über die von vielen bewunderte Stalinallee bis zu den Großsiedlungen am Stadtrand, in denen die Allzuständigkeit des modernen Sozialstaats östlicher wie westlicher Prägung ihren Ausdruck findet.

Vor reichlich zwei Jahrzehnten verursachte eine Ausstellungsreihe im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt/Main Unbehagen, die die bis dahin gültige Gegenüberstellung von „moderner“, also fortschrittlicher, und „traditioneller“, also rückschrittlicher Architektur aufweichte. Erstmals wurde eine „andere Moderne“ ausgerufen, die sich nicht auf den bequemen Gegensatz von „Bauhaus“ und „Heimatschutzstil“ reduzieren ließ. Die Erkenntnis, dass nicht nur ausgewiesene Reaktionäre, sondern auch manche Heroen der Moderne gerne auch für Diktatoren bauten, erschütterte das simple Weltbild nur noch mehr.

So ist gerade auch das „Bauhaus“ seit vielen Jahren ein dankbares Objekt der Kritik aus vielerlei und durchaus konträren Richtungen geworden. Dass ein Bauhaus-Absolvent beim Barackenbau in Auschwitz beteiligt war, dient Trüby als Beleg für die „Dialektik der Aufklärung“. Und dass das 2019 fertiggestellte Bauhaus-Museum in Weimar formale Ähnlichkeiten mit dem benachbarten NS-„Gauforum“ zeigt – es fiel zuerst einem englischen Kritiker auf –, macht Trüby fassungslos: „Woher kommt diese Lust“, das Bauhaus „ausgerechnet in einem Bauwerk auszustellen, dass sich mit verschiedenen Elementen seiner Architektursprache eben jener andient, die die vom NS-Regime betriebene Schließung dieser Schule repräsentiert?“ Die Architektin des Museums dürfte sich freilich dagegen verwahren, von Trüby der „Unbedarftheit“ geziehen zu werden.

Dem Ideologievorwurf entgeht Architektur nirgends. Eben, weil sie immer „in Dienst genommen“ wird, von Herrschern, Konzernen, Parteien, von wem auch immer. Was sie aussagt, unterliegt dem Wandel, der Zeiten wie der politischen Perspektive. Was genau, das liegt zuallererst im Auge des Betrachters.

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