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An der Grenze zur Realität. Die Taylor Swift in Thomas’ Film „Being Human“ ist nicht echt.

© Andrea Rossetti

Identität im digitalen Zeitalter: Sehr blond, sehr schön, voll fake

Künstler Christopher Kulendran Thomas zeigt in Berlin virtuelle Kopien von berühmten Menschen. Er fragt nach der Grenze der Realität - und verwischt sie dabei.

In Berlin werden viele Start-ups gegründet. Aber dieses ist anders, allein weil die Idee dazu nicht von einem Betriebswirtschaftler oder Programmierer kommt, sondern von einem Künstler.

„New Eelam“ heißt Christopher Kulendran Thomas’ Firma. Ihre erste Finanzierungsrunde hat sie bereits hinter sich. Das Unternehmen bietet genossenschaftliches Wohnen auf Subskriptionsbasis, zunächst in London, später auch in Großstädten wie Berlin, Tokio oder Los Angeles, und noch etwas später auch eine liquide Staatsbürgerschaft.

Neue Technologien spielen dabei eine entscheidende Rolle, ebenso die zeitgenössische Kunst, denn die sei, so Thomas, gar nicht so wirkungslos, wie sie oft erscheine.

Thomas, der in London aufgewachsen ist, nimmt „Eelam“, die Heimatregion der Tamilen im Nordosten Sri Lankas, aus der auch seine Eltern stammen, als Ausgangspunkt für seine Idee. Die neomarxistischen Autonomiebestrebungen der Tamilen wurden 2009 von der sri-lankischen Armee blutig niedergeschlagen.

Thomas will ausprobieren, ob die Einführung eines alternativen gesellschaftlichen Modells, mithilfe von Technologie und Kunst, auch ganz anders laufen kann.

Die Idee zu „New Eelam“ hat er im Kunstkontext schon öfter vorgestellt, immer mit schicken Werbefilmen und in durchgestylten Wohnumgebungen, etwa bei der 9. Berlin Biennale 2016.

Alles, was Realität formt, ist für ihn „künstlerisches Material“: Werbung, Internet, Algorithmen, Gesellschaftssysteme. Und vielleicht kommt ja wirklich etwas anderes heraus, wenn das mal ein Künstler macht.

Zu Thomas’ Gestaltungsmaterial zählen auch die Erfolgsformeln der Hollywood-Superheldenfilme. Sind die ersten Episoden veröffentlicht, kommt irgendwann ein Prequel ins Kino, das die Vorgeschichte aufdröselt, die Charaktere vertrauter macht, die Fans noch mehr bindet.

[Schinkel Pavillon, Oberwallstr. 1, bis 15. 12.; Do–So 12–18 Uhr.]

Seinen Film „Being Human“, der im Moment im Schinkel Pavillon ausgestellt ist, sieht Thomas als Prequel für sein Start-up. Im Film werden alle Theorien angesprochen, die dabei eine Rolle spielen. Unabhängig davon ist es ein guter Film.

Im achteckigen Ausstellungsraum des Schinkel Pavillons halbiert eine durchsichtige Leinwand den Raum. Mal rauscht die Kamera an Palmenkronen vorbei, mal sind die Found-Footage-Sequenzen von Influencern so schnell geschnitten wie in Arthur Jafas Video „Apex“.

Man trifft auf Stars - die allerdings nicht echt sind

„Being Human“ führt zu einem jungen Künstler, der sich auf die Spuren von Father Alphonsus begibt. Der wiederum ist Thomas’ Onkel, ein real existierender Held der Familie, der in Sri Lanka ein Menschenrechtszentrum gründete und mehrere Attentatsversuchen überlebte.

Die blutige Zerschlagung der tamilischen Unabhängigkeitsbewegung, die Rückkehr der Investoren und das Entstehen eines Kunstmarkts in der Hauptstadt Colombo sind wiederkehrende Themen.

Im Film trifft man auf Oscar Murillo, der 2019 für den Turner Prize nominiert ist, und Taylor Swift, die von der Teenie-Pop-Ikone zu einer der erfolgreichsten Sängerinnen der vergangenen Dekade avancierte. Thomas legt seine Worte damit zwei Marketingprofis in den Mund. Denn: Die beiden sind nicht echt.

Swift als auf menschlich gestylte Pop-Hit-Maschine

Thomas und sein Team, zu dem Kreativdirektorin Annika Kuhlmann gehört, haben die Gesichter von Murillo und Swift digital gerendert mit Bildern aus dem Internet. Ihre Körper werden von Schauspielern gespielt.

Die digitale Swift bewegt sich anmutig durch ein hellbeiges Luxus-Hotelzimmer und spricht über Echtheit und das Selbst in einer technologisch beschleunigten Welt. Sie ist sehr blond, sehr dünn, sehr schön.

Thomas zeigt sie als selbstbewusste Frau und auf menschlich gestylte Pop-Hit-Maschine. Hinter ihren Erfolgen stecken Teams, die erst ihre gigantischen Hits ermöglichen.

Ähnlich arbeitet Thomas selbst. Der Beschreibungstext zu seiner Ausstellung führt eine lange Namensliste auf, vom Produzenten bis zum Möbeldesigner, die alle am Film mitgewirkt haben. Wie im Abspann eines Hollywood-Movies.

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Sogar einen Taylor-Swift-Hit haben er und sein Team komponiert. Dafür wurden Tausende von Songs aus dem Internet analysiert und in eine magische Hit-Formel eingespeist. Heraus kam etwas, das sich perfekt unter die Bilder legen lässt und wie der nächste Ohrwurm von Taylor Swift klingt.

Zwischendurch wird die Leinwand durchsichtig und gibt den Blick auf Werke von sri-lankischen Künstlern frei, die im hinteren Teil des Raumes ausgestellt sind. Thomas liefert eine „Ausstellung in der Ausstellung“ und lässt Reales und Digitales aufeinanderprallen.

Nur wenige Augenblicke später taucht man schon wieder in die Fiktion des Films ein, in dem nie klar ist, was „echt“ ist und was nicht.

Kunst mit utopischem Anspruch

Vieles in dem Video ist mit digitalen Mittel generiert. Kreativität könnte eine von Menschen gemachte Fiktion sein, insinuiert der Künstler.

Das Menschliche an sich könnte eine Chimäre sein.

Wenn die Interessen von Sozialstaaten im Namen der Menschenrechte verteidigt und geschützt werden, es den Menschen in der angenommenen Form aber gar nicht gäbe, bräuchten die posthumanen Wesen auch keine Nation, so Thomas’ Schlussfolgerung.

Gesellschaften könnten ohne Grenzen organisiert werden, Zugehörigkeit ließe sich anders konstruieren. Damit liegt er auf einer Linie mit Denkern wie der Politologin Bilgin Ayata, die im Herbstsalon des Gorki Theaters den Heimatbegriff als demokratiegefährdend darstellte.

Man könnte „New Eelam“ und sein Modell der Staatenlosigkeit als Utopie sehen. Aber ein Immobilienunternehmen mit fünf Mitarbeitern, diversen Partnern und dem ersten streamable home, das getestet wird, ist mehr als ein Gedankenexperiment.

Vielleicht schafft „New Eelam“ die nächste Finanzierungsrunde, vielleicht verändert es die Art, wie wir künftig wohnen und mieten. Christopher Kulendran Thomas arbeitet jedenfalls daran.

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