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Dynamisches Trio. Pianist Ohad Ben-Ari, der Initiator des ID Festivals, Regisseurin Sivan Ben Yishai, Schauspieler Amit Jacobi (v.r.): drei von rund 8000 Israelis in Berlin.

© DAVIDS/Sven Darmer

ID Festival im Radialsystem: Auswandern ins Ich

Viele junge Künstler aus Israel zieht es nach Berlin, jetzt hat der Musiker Ohad Ben-Ari sie zusammengebracht: Im Radialsystem findet zum ersten Mal das ID Festival statt.

Es ist nur ein Stück Papier, eine Karte. „Perso“ nennt man es in Deutschland, „ID Card“ in den USA. „ID“ steht für Identity. Im Grunde eine krasse Behauptung: Eine so kleine Karte soll eine so elementare Eigenschaft wie Identität ausdrücken? Wäre ein prima Name für ein Festival, das die Arbeit von in Berlin lebenden israelischen Künstlern präsentiert, dachte sich Pianist Ohad Ben-Ari – zumal das Kürzel auch noch die Initialen der beiden Länder enthält, um die es geht. Am Wochenende wird nun das erste ID Festival im Radialsystem stattfinden.

Es macht auf einen Trend aufmerksam, der seit einigen Jahren zu den wundersamsten Farben im Berliner Nachwende-Patchwork gehört: Ausgerechnet in der alten Reichshauptstadt, von der aus der Holocaust erdacht und gelenkt wurde, lassen sich junge Israelis nieder. Etwa 8000 sollen es sein. „Ich saß mit meinem Freund Guy Braunstein in der Kantine der Philharmonie“, erzählt Ohad Ben-Ari, der einst in Frankfurt am Main studiert hat, „und kannte ganz viele Leute aus Israel. So entstand die Festival-Idee.“ Mit Braunstein, der 2013 sein Amt als Erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker aufgab, ist Ben-Ari seit Kindertagen befreundet. Sie treten seit 25 Jahren gemeinsam auf. Jetzt wird Braunstein das Eröffnungskonzert am Freitag mit dem eigens gegründeten ID Festival Berlin Orchestra leiten, das sich aus israelischen Musikern etwa der Philharmoniker oder der Staatskapelle zusammensetzt. Vorher befassen sich Ben-Ari und Mandolinist Avi Avital in einem Gesprächskonzert mit der Frage, inwieweit nationale Herkunft musikalische Interpretation beeinflusst.

Der Alltag im Hightech-Land Israel

Identität: Wie vieles im Leben wird sie erst relevant, wenn ihr Verlust droht. Das gilt für freiwillige Auswanderer genauso wie für gewaltsam entwurzelte Flüchtlinge. Israelis bringen nahöstliche Traditionen mit, müssen sich aber hier völlig neue Netzwerke aufbauen. Mit den etablierten, seit dem Fall der Mauer russisch geprägten jüdischen Gemeinden Berlins gibt es so gut wie keinen Kontakt, religiös sind diese jungen Juden nicht mehr. Auf Wunsch von Staatsministerin Monika Grütters, die die Schirmherrschaft übernommen hat, haben auch theoretische und historische Fragestellungen beim Festival ihren Platz. Philosoph Elad Lapidot (FU Berlin) und Theologe Ofri Ilani (Humboldt-Universität) und ihre Gäste befassen sich in drei Gesprächsrunden mit Martin Buber und mit den deutschen Wurzeln des Zionismus und des Kibbuzim-Gedankens. Trocken akademisch wird es bei diesen Diskussionen kaum werden, sie sind als „Philosophical Cabarets“ annonciert.

Ohad Ben-Ari will beim Festival die ganze Bandbreite israelischer Künstler in Berlin abbilden: Musik, Film, bildende Kunst, Tanz – und Theater. „I know I am ugly, but I glitter in the dark“ heißt ein Stück, das Regisseurin Sivan Ben Yishai und Performer Amit Jacobi gemeinsam entwickelt haben. Ein israelischer Expat in Berlin ist der realen Welt abhandengekommen, er lebt, arbeitet und hat Sex ausschließlich online. In Tel Aviv, wo Menschen an jeder Straßenecke ins Smartphone versunken sind, ist das durchaus real, Internet und die Suchtgefahr, die es mit sich bringt, haben im Hightech-Land Israel den Alltag schon viel stärker durchdrungen als in Deutschland. Ben Yishai und Jacobi geht es aber weder um eine pauschale Verurteilung des Netzes, noch zielen sie ausschließlich auf Israelis. Wir alle sind gemeint: wie wir uns einrichten und darstellen, wie wir uns schützen und Filter aufbauen im virtuellen Raum, diesem ganz besonderen Ort der Emigration.

Auch in Berlin ist Gaza noch da

Drei Gründe werden immer genannt, wenn junge israelische Kreative ihr Land verlassen: die hohen Lebenshaltungskosten, die ignorante Kulturpolitik der Regierung und natürlich die aussichtslose Lage im Nahostkonflikt – der gerade in diesen Tagen wieder außer Kontrolle gerät. „Es fühlt sich an, als würde das Haus brennen, und du kannst es nicht löschen“, sagt Amit Jacobi, der auf einem Militärstützpunkt in der Negev-Wüste aufwuchs, vor zwölf Jahren nach Berlin kam und etwa in den Uferstudios in Wedding auftritt. Dazu kommt die „Life Tax“, die „Lebenssteuer“: Jeder Israeli – nur die Ultraorthodoxen entziehen sich – muss für drei Jahre zum Militär. Wer im Kunstbereich wirklich etwas erreichen wolle, müsse weg, sagt Sivan Ben Yishai, die 2012 das Gefühl hatte, als Regisseurin an ein kreatives Ende gekommen zu sein und einen Flug nach Berlin ohne Rückflug buchte. Jetzt arbeitet sie als freie Schauspiellehrerin im Theaterhaus Mitte. „Tel Aviv ist nur 80 Kilometer entfernt von Gaza, das kann ich nicht verdrängen“, sagt sie. „Und auch in Berlin ist Gaza ja noch da.“

Was sagen Familie und Freunde? Gelten Expats nicht als Landesverräter? Die Sprache gibt es vor: „Yored“ ist das hebräische Wort für Auswanderung, wörtlich „Rücktritt“. Einwanderung nach Israel hingegen heißt „Ole“, also „Aufstieg“. Nein, besonders gut angesehen sind die Berliner Israelis zu Hause nicht. Ohad Ben-Ari aber ist Realist und Optimist, er glaubt, dass sich, nicht zuletzt durchs Internet, in der israelischen Gesellschaft nach und nach etwas verändert. Dass sich der Umgang mit Auswanderern entspannt und die Befangenheit in der Geschichte nachlässt. Dass ein Bewusstsein wächst: für die Vernetztheit der Welt, für die wahre Bedeutung von Demokratie. Genau fassen kann er das noch nicht, aber es ist ein Bewusstsein, das auch den Arabischen Frühling ausgelöst hat. Und das sich, trotz dessen bisher desaströsen Verlaufs, nicht aufhalten lässt.

ID Festival, 16.–18. Oktober, Radialsystem, Programm unter www.idfestival.de

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