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Beeindruckende Präsenz: Maren Eggert (mitte) als Astrid.

© Nachmittag Film

„Ich war zuhause, aber...“ im Kino: Halten wir uns aneinander fest

Angela Schanelecs wundersamer Berlin-Film „Ich war zuhause, aber...“ erzählt von der Komik des Alltags und der Trauer um eine verlorene Liebe.

Eines Nachts steigt sie in den Friedhof ein. Es ist dunkel, Astrid legt sich auf die schwarze Erde, die Hände an einen Grabstein gepresst. Reglos liegt sie da, die Augen geschlossen. Da kommt eine Wachtel zu ihr, pickt an ihrem Kopf herum, so lebendig, wie es ein kleines Tier nur sein kann. Dazu singt M. Ward aus dem Off die wohl traurigste Coverversion von David Bowies „Let’s Dance“: „Because my love for you would break my heart in two.“ Wegen meine Liebe zu dir bricht mein Herz entzwei.

Schnitt, Astrid mit ihren beiden Kindern am Krankenhausbett. Sie tanzen, „let’s dance“, M. Ward singt noch immer. Sie tanzen für jemanden, der im Bett liegt, den wir aber nicht sehen können, sie lächeln ihn an. Es ist eine helle Szene voller Glück, die sich auftut inmitten der rätselhaften, dunkel-melancholischen Grabsteinszene mit der Wachtel.

„Ich war zuhause, aber…“: Der Titel dieses Films bricht im Halbsatz ab, will nichts preisgeben, nur andeuten. Angela Schanelec hat ihn gewählt, weil sie Yasujiro Ozu verehrt, einer seiner frühen Filme heißt „Ich wurde geboren, aber…“. Auch die Familiengeschichten, die sie erzählt, zeigen, wie nah sich die Vertreterin der Berliner Schule dem japanischen Regisseur fühlt.

Auf der Berlinale gab es den Silbernen Bären

Fragmentarisch bleibt Schanelec auch in den Szenen; sie beginnen und brechen ab, ohne dass erklärt würde, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt. Es geht um eine Mutter, Astrid, sie arbeitet im Berliner Kulturbetrieb. Maren Eggert, die auch in Schanelecs „Der traumhafte Weg“ und „Marseille“ mitspielte, verkörpert sie mit beeindruckender Präsenz. Ihr dreizehnjähriger Sohn Philip (Jakob Lasalle) war gerade für mehrere Tage verschwunden, jetzt ist er wieder zurück, verdreckt und mit verletztem Fuß. Die Lehrer beraten über seinen Schulverbleib, Astrid kämpft darum, dass alles irgendwie normal bleibt, ihr Leben als Alleinerziehende mit zwei Kindern und ihrem tennisspielenden Lover. Einmal platzt ihr der Kragen, und sie setzt die Kinder vor die Tür. Astrid ist in einer Krise, die sie zunehmend nervös und impulsiv werden lässt.

Für ihren eindringlichen Film hat Angela Schanelec auf der Berlinale im Februar den Silbernen Bären erhalten. In seinem letzten Jahr als Berlinale-Direktor hatte Dieter Kosslick es endlich gewagt, sie im internationalen Wettbewerb zu zeigen. Dabei dreht sie schon seit Mitte der 90er Jahre Filme – ihre männlichen Kollegen der Berliner Schule, Thomas Arslan, Christian Petzold oder Ulrich Köhler mussten nicht so lange warten.

Die große Tragödie bleibt aus

Mit „Ich war zuhause, aber…“ hat Schanelec einen sinnlichen Film geschaffen, oft ist er melancholisch oder energiegeladen, die große Tragödie aber bleibt aus. Eher ist es wie im richtigen Leben: Ein Fahrrad muss her, also wird eins erstanden, bald darauf versagt es in voller Fahrt den Dienst. Der Verkäufer will es nicht mehr zurücknehmen, er spricht mit einem Kehlkopf-Mikrofon – eine schwer verständlichr Cyborg-Stimme. Schanelecs Protagonistin scheitert fast an der absurden Widerständigkeit der Welt.

Man kann das auch komisch finden, komisch-verzweifelt, es ist eine der Grundstimmungen des Films. In einer der längsten und für Schanelec ungewöhnlich wortreichen Szenen trifft Astrid beim Einkaufen zufällig – alles bleibt schön banal und alltäglich – einen Dozenten ihrer Hochschule, gespielt vom Regisseur Dane Komljen. Sie redet auf ihn ein, sein Film, den er im Seminar gezeigt hat, hat ihr missfallen. Wenn Tänzer und Sterbenskranke zusammen inszeniert werden, sagt sie, dann trifft das Falsche auf das Wahre, denn die Kranken würden für die unbedingte Wahrheit stehen, während der Schauspieler immer nur so tut, als ob. „Immer ist es Lüge, wenn ein Schauspieler spielt,“ meint sie. „Das ist Ihre persönliche Wahrheit“, sagt der Dozent, „in Ihren Augen ist es gescheitert, in meinen nicht.“

Der Rest ist Schweigen

Kritik, die sich mitten im Film auftut – da drängt etwas aus den Bildern hinaus, womit die Regisseurin selbst zu tun hat. Immer wieder muss sich Schanelec ihren künstlichen Stil vorhalten lassen. Dabei inszeniert sie nur gegen den Strich. Zum Beispiel drängt, während Astrid auf den Professor einredet, der Stadtraum in den Dialog hinein. Über die Spiegelung der Schaufenster holt die Kamera von Ivan Markovic den Verkehr ins Bild, die Passanten, die S-Bahnen, Autos. Ein lautes Hupen durchkreuzt Astrids Monolog, irritiert wartet sie, bis das Moped vorbeigefahren ist. Der Stadtraum mischt sich bei Schanelec in die Szenen, ähnlich wie die Nouvelle Vague es mit Paris zuließ.

„Ich stimme sterbend zu. Das sag ihm, mit dem ganzen Drum und Dran. Was dazu nötig war – der Rest ist Schweigen.“ Die Klasse von Philip studiert „Hamlet“ ein, die Proben unterbrechen immer wieder die Filmhandlung. Zu hören ist die Shakespeare-Übersetzung, die Schanelec selbst zusammen mit dem Theaterregisseur Jürgen Gosch verfasst hat. Gosch, mit dem Schanelec zwei Kinder hat, ist vor zehn Jahren gestorben, eine biografische Fußnote, die sie mit dem Schicksal ihrer Figur verbindet. Auch Astrids Mann war Theaterregisseur, er ist vor einiger Zeit gestorben. Bereits in „Marseille“ (2004) und in „Nachmittag“ (2007), die beide auf „Die Möwe“ zurückgehen, war Schanelecs Partner Jürgen Gosch indirekt präsent. Tschechows Stück war einer von Goschs größten Erfolgen am Deutschen Theater in Berlin.

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Angela Schanelec inszeniert die Kinder postdramatisch. Lange verharren die jungen Darsteller in ihren Posen. Hier wird nicht deklamiert und auch nicht „geschauspielert“, Pausen lassen die „Hamlet“-Sätze beinahe ersterben. Die Kamera fängt auch diejenigen ein, die von ihren Bänken aus dem reduzierten Schauspiel zusehen. Sanfte filmische Porträts entstehen aus den Blicken, der angespannten Teilnahme, der Aufmerksamkeit im Klassenraum.

Schanelecs große Filmkunst besteht darin, dass sie – wie hier – das Zentrum der Szenen ins Off drängt. Das Unsichtbare, das nur Hör- oder Erahnbare ist bei ihr genauso wichtig wie das, was wir sehen. Alles verschränkt sich in einem Kunstraum, der sich der Konvention des Kinos verweigert: den zu sehen, der spricht. Schanelec greift hier auch auf Robert Bresson zurück, wenn sie die Körper im Close-up fragmentiert, die Hände, die Füße filmt und aus Andeutungen heraus erzählt. „Time does not flow“ hat Paul Schrader in seinem Essay „The Transcendental Style“ für die Filme von Ozu, Bresson und Dreyer festgehalten. Die Zeit fließt nicht.

Jenseits von Natürlichkeit und Künstlichkeit

Auch bei Schanelec steht die Zeit still. Hier halten sich die Figuren aneinander fest, seltsam erstarrt und in sich versunken befinden sie sich in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen. Auch das ist melancholisch.

[In Berlin im Delphi Lux, fsk am Oranienplatz, Tilsiter Lichtspiele, OmenglU: Kino Hackesche Höfe, Wolf]

Tiere, die wie die Wachtel unvermutet auftauchen, könnten für die unbedingte, unverstellte Wahrheit stehen, die den Schauspielern verwehrt ist, wie es Astrid in ihrem Monolog formuliert. Gerahmt wird der Film von einer Tierszene mit einem Esel, einem Hund, einem Hasen. Das ist rätselhaft und lässt viele Deutungen zu. Schanelec aber betont, wenn sie über ihre Filme spricht: Was zu sehen ist, bedeutet nichts anderes als es selbst. Jenseits von Natürlichkeit und Künstlichkeit verteidigt Schanelec die Kunst des reinen Kinos.

Dunja Bialas

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