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Schule des Sehens. Maren Eggert mit jungen Leuten im Museum.

© Nachmittagfilm

„Ich war zuhause, aber...“ im Berlinale-Wettbewerb: Das Leben lässt sich nicht erklären

Dokument des Zweifelns: Mit „Ich war zuhause, aber...“ nimmt die Berliner Regisseurin Angela Schanelec erstmals am Wettbewerb teil.

Der Anfang ist Schweigen. Ein Hund jagt einen Hasen, ein Esel schaut zu, als der Hund das tote Tier frisst. Ein Junge, Philipp (Jakob Lassalle), kehrt nach Hause zurück, er war eine Woche verschwunden, sein Fuß ist verletzt. Die Mutter, Astrid (Maren Eggert), kauft ein gebrauchtes Fahrrad. Der Mann, dem sie es abkauft, kann sich nur mit Verstärkergerät am Hals artikulieren. In der Schule proben die Kinder Szenen aus „Hamlet“.

Dem Leben zuschauen. Wie es still steht und weitergeht, wie es vom Tod umfangen ist, wie es manchmal leuchtet, mitten im Alltag, wie es komisch wird und banal. Und doch entzieht es sich dem Zugriff, den Bildern, den Künsten. Das Kino hält gerne dagegen, es will uns in Bann schlagen, mit Schauwerten, mit all seinen Mitteln, bigger than life.

Angela Schanelec macht da nicht mit. Sie nimmt sich Zeit, für die Menschen, die Wohnungen, die Straßen, sie schenkt dem Zuschauer Zeit. Viele mögen ihre Filme deshalb nicht. Berliner Schule, die langen Einstellungen, der viele Raum um die Figuren herum, diese verdammte Stille, die undeutliche Handlung, die Ellipsen – was soll das in unseren schnellen, ungeduldigen Zeiten. Schanelecs Filme sind nichts für Sinnsucher, sie misstrauen den Welterklärern.

Weil das Leben sich nicht erklärt. Man kann nur etwas zeigen davon. Den Jungen, seine kleine Schwester, die Mutter, das Fahrrad, die Lehrer in der Schule (Franz Rogowski, Devid Striesow in einer Gastrolle). Oder den Hund, den Hasen, den Esel. Schanelecs Filme finden im Singular statt. Wer will, kann an Robert Bressons Esel in „Zum Beispiel Balthasar“ denken, diese stumme Kreatur.

Ruhige Bilder haben es schwer im Festivaltrubel

Auch Angela Schanelec nimmt gern Kreaturen in den Blick, wie sie sich verlieren im Stadtraum, wie sie Theatertexte aufsagen, mit Pappkrone auf dem Kopf. Einmal legt sich Astrid auf das Grab ihres vor zwei Jahren gestorbenen Mannes, er war Theaterregisseur. Ein kleines Rebhuhn nähert sich ihrem Gesicht auf der Erde. Die nächtliche Szene lässt sich als Schanelecs Signatur entziffern. Ihr Lebensgefährte, der Theaterregisseur Jürgen Gosch, starb 2009, die beiden übertrugen Shakespeare ins Deutsche, sie hat zwei Kinder mit ihm.

Einige Werke der Berliner Filmemacherin, die als Schauspielerin arbeitete, bevor sie an der DFFB Regie studierte, feierten in Cannes Premiere. In der Reihe „Un certain regard“ liefen 1998 „Plätze in Städten“ und 2006 „Marseille“. Ihre halbdokumentarische Studie über den Pariser Flughafen „Orly“ war 2010 im Berlinale-Forum zu sehen, wie zuvor bereits ihr sommerlicher Berlin-Film „Mein langsames Leben“ und ihre Tschechow-Adaption „Nachmittag“: Geschichten über Gestrandete, über Menschen im Wartestand, über Paare, die sich abhanden kommen. Ruhige Bilder haben es schwer im Festivaltrubel.

Schanelecs Kameramann Ivan Markovic zeigt im Forum noch so einen Film, „From Tomorrow on, I Will“, über einen blinden Passagier im modernen Pekinger Großstadtdschungel, in Ko-Regie mit Wu Linfeng. Man muss sie verteidigen, diese filmischen Deserteure des Plots, der Eindeutigkeit, der Tatkraft. Nicht dass die Lauten Unrecht haben, bloß weil sie laut sind. Aber sie übertönen so viel.

Angela Schanelecs Filmtitel zitiert den japanischen Kinomeister Yasujiro Ozu und seinen Stummfilm „I was born but“. Schanelec sieht sich in dessen Tradition, sie sagt, sie sucht wie Ozu den „Gegenpol zur Wirklichkeit, Film als Erfindung, als reine Form“. Mit ihren Bildern kreiert sie eine Aura, die die Figuren ins Recht setzen, ihre Unzulänglichkeit, ihre Schwäche.

Astrids Wut zum Beispiel, als das Rad seine Dienste verweigert, sie handelt unsinnig, genervt, wird selber nervig. Oder ihre Überforderung, als Philipp auch noch eine Blutvergiftung bekommt, sie schreit die Kinder an, setzt sie auf die Straße. Die nehmen es gelassen und klatschen den neuen Lover der Mutter ab, als er das Haus verlässt, einen Tennisspieler. Auch der Film ringt um Gelassenheit und schlägt dann doch andere Töne an.

So heftig wird selten gesprochen in einem Schanelec-Film

„Ich war zuhause, aber...“ wird zur Selbstbefragung, zum Nachdenken in eigener Sache, zum Dokument des Zweifels. Was vermag die Kunst, die schöne Lüge angesichts des Todes, diesem finalen Kollaps von Sinn und Form? Die wunderbare Maren Eggert, die oft bei Schanelec mitspielt, redet sich in Rage und nimmt auf der Straße einen Regisseur auseinander, der in seinem Film eine Tänzerin mit einem Sterbenskranken konfrontiert. Das geht nicht, hier die vollkommene Körperbeherrschung, dort das vollkommene Ausgeliefertsein an den eigenen Körper, da verwandelt sich nichts, sagt Astrid. Im Gegenteil, das Falsche macht das Wahre kaputt. Sie schiebt das kaputte Rad, kommt außer Atem, verliert selber die Beherrschung, wird immer mehr Körper.

Eine Eruption. So heftig wird selten gesprochen in einem Schanelec-Film. Und kein Montageschnitt, der einen erlöste. Astrid weiß nicht weiter, auch Schanelec macht keinen Hehl aus ihrer eigenen Unschlüssigkeit. Astrid wird noch einmal wütend, im Lehrerzimmer, noch einmal bäumt sie sich auf. Und mit ihr der Film, er bricht aus, zerstört die eigene Stille, um dann wieder zu implodieren.

„Ich war zuhause, aber ...“ erzählt von der Trauer und wie sie subkutan wirkt, von Berlin, von Kreuzberg, den Nachkriegshäusern, den Altbauwohnungen. Und davon, was Familie ausmacht, wie Astrid und die Kinder zusammenbleiben. „Man möchte erkannt werden. Ab und zu. Von jemandem. Die Seele. Wenn sie erkannt wird, verändert sie sich. Ich glaub, sie wird schöner“, hieß es in Schanelecs „Nachmittag“. Die Berlinale unter Dieter Kosslick hat den Regisseuren der Berliner Schule immer eine Bühne gegeben, den Filmen von Christian Petzold, Maren Ade, Ulrich Köhler oder Valeska Grisebach.

In Ländern wie Frankreich oder den USA wurde diese deutsche Nouvelle Vague mehr geschätzt als hierzulande. Das Wagnis, Schanelec mit „Ich war zuhause, aber...“ nun erstmals im Wettbewerb zu präsentieren, passt gut zu Kosslicks letztem Jahr. Auch wenn sich die Regisseurin doch ein wenig wiederholt, sich ein wenig zu treu bleibt.

Die Erkenntnis ist eine empfindliche Pflanze. Sie nistet sich gern in den Leerstellen ein.

13.2., 9.30 Uhr und 18 Uhr (Friedrichstadt-Palast) sowie 12.30 Uhr (HdBF), 14.2., 15.30 Uhr (Odeon)

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