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Kultur: Ich bin ein nettes Mädchen

Die Schauspielerin Julie Delpy singt mit ihrer Band im Berliner Big Eden

Von Gregor Dotzauer

Der Eingang zum Paradiesgarten liegt direkt am Berliner Ku’damm. Unter blau und rosa von der Decke blinkenden Neonpfeilen steigt man eine geschwungene Treppe ins Souterrain hinab und gelangt in ein unübersichtliches Dämmerreich. Der Haupttresen scheint sich in der Unendlichkeit zu verlieren, aus dem Dunkel wuchern einem Sitznischen entgegen, und das bunte Licht, das den Raum verziert, torkelt wie ein Schwarm wild gewordener Falter über Boden und Wände. Man würde hier alles erwarten: zu Gogo-Girls umfrisierte Engel, Sangria in Hektoliter-Kübeln mit Infusionsschläuchen – und Rolf Eden, den Mann im weißen Anzug mit den Mädchen im Arm, der dem Big Eden den Namen geben hat. Aber seitdem er seine Siebzigerjahre-Höhle an die Betreiber der Arena verkauft hat, muss sich das neue Publikum wie ein in Hundertschaften anrückender Trupp von Voyeuren auf einst verbotenem Areal fühlen.

And here comes Julie. Voilà, Julie Delpy! Die Sprachen verwirren sich auf der verspiegelten Bühne. Geflucht wird auf Französisch, wie es sich für eine ordentliche Pariserin gehört. Und es wird viel geflucht, weil sich die Gitarrenmonitore gegen sie und ihre dreiköpfige Band, die Delpys, verschworen haben: Alles meine Ex-Ehemänner, scherzt sie. Gesungen aber wird fast durchweg auf Englisch, mit einem amerikanischen Akzent, wie man ihn sich in 15 Jahren transatlantischer Wahlheimat eben so antrainiert.

Sie hat damit vor zwei Jahren schon eine schlicht „Julie Delpy“ (crépuscule/Pias France) betitelte CD bestritten: auch live nett vor sich hinschaukelnde Folkpop-Stückchen, meist über die Tiefen und Untiefen von Beziehungen. Leise Gezupftes mit einigen Tupfern Glockenspiel, zwischendrin ein paar Bottleneck-Schlieren und elektrische Gitarrenschreie und ein aus seinem Trott herauspolterndes Schlagzeug. Und über allem ihre Mädchenstimme, gehaucht bis versuchsweise kernig, nur nie mit der Autorität einer Sängerin, die sich ihrer beschränkten Mittel sicher wäre. Und so hält sie manchmal nicht einmal die Konzentration dreier Minuten aus. Sie erschlafft, ihr Blick stürzt ab ins Nirgendwo, und unmittelbar vor dem Schlussakkord der Band taucht sie schon ab zu ihrer Wasserflasche.

Doch niemand würde von einem Abend mit Julie Delpy ein musikalisches Erweckungserlebnis erwarten. Es ist die Schauspielerin, zu der man pilgert, obwohl von ihr die meisten nicht sagen könnten, was ihr Geheimnis ausmacht: Ob es die mit ihrer Divenhaftigkeit ringende Natürlichkeit ist oder ihre Intelligenz, die sich auf so vielen Gebieten (und demnächst der Regie eines Spielfilms über die Blutgräfin Elisabeth Bathory) bewähren will, dass sie einfach keine Lust hat, sich als wiedererkennbare Leinwandpersönlichkeit zu erschaffen. Zwischen ihrem Debüt als 15-Jährige in Jean-Luc Godards „Détective“ 1985, Krzysztof Kieslowskis „Weiß“ oder Richard Linklaters „Before Sunrise“ und zuletzt „Before Sunset“ gibt es wenig Verbindendes außer ihrer Schönheit: dem Alabasterteint unter dem blonden Haarschopf und dem hinreißend großen Lachen.

Julie Delpy ist das Mädchen, das allen alles recht machen will. „I’m a nice girl“, sagt sie mit Blick auf das Luder ihres Songs „She don’t care“. In dieser Nacht macht sie mit ihrem Kleid dann auch den größten Fehler. Lang ist es, eng, pechschwarz schillernd – und zu hundert Prozent aus Polyester. Nach dem ersten Lied zieht sie es noch lässig straff, nach dem zweiten beginnt sie, es zurechtzuzerren. Die Temperatur steigt minütlich. Ringsherum klebt der Schweiß Hemden an erhitzte Körper. Auf der Bühne zerfließend, lüftet sie das Dekolleté, um nachzusehen, welche Rinnsale durch das Innere kriechen, wischt erschrocken den aufsteigenden Geruch weg und droht an, auf der Stelle zu verdunsten: Habt ihr das schon mal gesehen? Dieses Kunststück lässt auf sich warten. Dafür gibt es als Zugabe den unvermeidlichen „Waltz for a night“ aus „Before Sunset“. Allein mit sich und ihrer Gitarre ist sie auf einmal für ein paar Augenblicke da: halb ätherischer Geist, halb Erdenwesen – und ganz Julie Delpy.

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