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Jimi Hendrix (27. 11. 1942 – 18. 9. 1970).

© imago images/LFI

Huldigung auf Jimi Hendrix: Die linkshändige Ekstase

Andere Musiker wurden als Gitarrengötter verehrt. Er drang in höhere Sphären vor: Jimi Hendrix zum 50. Todestag.

Er absolvierte seinen Militärdienst bei einer Fallschirmspringereinheit in Kentucky. In seiner Dienstakte wurde vermerkt: „Anscheinend ist er unfähig, seine Dienstpflichten zu erfüllen, ohne ständig vom Gedanken an seine Gitarre abgelenkt zu werden.“ Er übte in jeder freien Minute. Die Gitarre hielt ihn schadlos für eine unerfreuliche Kindheit und Jugend in Seattle. Früh starb die alkoholkranke Mutter, und nie konnte er es seinem zu Gewaltausbrüchen neigenden Vater recht machen. Immer wieder bemühte sich der Sohn, den Respekt seines Erzeugers zu erlangen. Später kaufte er ihm ein Haus, worauf sich der Vater darüber beschwerte, dass sein Pick-up nicht in die Garage passte. „Also hat Jimi ihm ein anderes Haus gekauft“, erzählte der jüngere Bruder Leon Hendrix, dem der Vater verbot, Gitarre zu spielen, „damit es nicht zwei Schwachköpfe in der Familie“ gab.

Auf den Militärdienst folgten strapaziöse Jahre als Begleitgitarrist in überwiegend schwarzen Bands (Isley Brothers, Little Richard, Ike & Tina Turner), die zumeist R&B nach bewährten Rezepturen spielten: gut gelaunte, etwas anzügliche Texte, kecke Bläsersätze, synchrone Tanzbewegungen, breites Lächeln und Bügelfalten. Sie bewegten sich auf dem Chitlin’ Circuit, jenem Kreis von Clubs und Hallen, die schwarzen Musikern im rassistischen Amerika verlässliche Auftrittsmöglichkeiten boten. Dort hatte auch ein Jimi Hendrix auf den gebahnten Wegen zu bleiben, mit seinen Solo-Eskapaden und seinen diversen Soundpedalen ging er den Bandleadern auf die Nerven.

Den Blues zur Weltkultur gemacht

Hendrix empfand die schwarze Musikkultur damals als einengend. Die kreativen Impulse kamen inzwischen vom weißen Pop und Rock aus England, der afroamerikanische Traditionen wie den Blues adaptiert und zur neuen Weltkultur gemacht hatte. Vergötterte Gitarristen wie Eric Clapton und Jeff Beck waren auch für Hendrix inspirierend.

Linda Keith, die Freundin von Keith Richards, wurde in New York auf ihn aufmerksam. Sie gab ihm eine weiße Stratocaster aus der Sammlung des Stones-Gitarristen (die bald darauf verlorenging) und stellte den Kontakt zu Chas Chandler her, vormals Bassist der Animals und nun entschlossen, auf Manager umzusatteln. Das unbekannte Supertalent Hendrix war genau das, was er brauchte. In London, damals die schillernde Pop-Metropole der Welt, wollte er ihn groß herausbringen.

Jesusgleiche Ankunft

Die Ankunft von Jimi Hendrix dort im September 1966 war ein Ereignis, das an Jesu Einzug in Jerusalem erinnert. Nach wenigen Tagen war das Trio der legendären Jimi Hendrix Experience zusammengestellt. Erste Konzerte wurden zum Triumph. Die weiße britische Gitarristen-Elite stand unter Schock angesichts dieses Mannes, der die elektrische Gitarre zum akustischen Flammenwerfer machte. War das die Revanche für die „British Invasion“? Die Single „Hey Joe“ schlug ein, und „Are You Experienced“ gilt noch heute als eines der besten Debütalben. Rock, Pop, Blues, Jazz, Soul – die Hendrix-Palette war reichhaltig und genreübergreifend, er ließ seine Gitarre heulen, dröhnen, wiehern, knurren, schnurren und explodieren, und viele Farben kamen noch hinzu durch seine Erschließung innovativer Studiotechnik, vor allem auf seinem reifsten und am besten produzierten Album „Electric Ladyland“der Wunder-Platte von 1968 mit ihren psychedelischen Ekstasen. Und natürlich mit „All Along the Watchtower“, dem besten Bob-Dylan-Cover ever.

Vagabundenlook und Militärjacke

Stilprägend wurde sein coole Aufmachung: die viktorianische Militärjacke, Blümchen-Blusen, Brokatwesten, bunte Tücher und große Hüte, ein geschlechtsübergreifender Vagabunden-Look. Noch mehr ins Auge fallen seine sehr großen, feingliedrigen Hände. Seine Geheimwaffe war der lange Zauberdaumen, den er regelrecht über das Griffbrett kippte. So konnte er die tiefen Saiten greifen oder abdämpfen und hatte immer noch genug Bewegungsfreiheit mit der Hand, um Akkorde zu zerlegen und Licks zu spielen. Dadurch gelang ihm eine einzigartige Kombination von Rhythmus- und Solospiel, die noch bewundernswerter ist als seine ausufernden Improvisationen.

Zum 50. Todestag ist eine neue Biographie von Philip Norman erschienen, der bereits umfangreiche Bücher über John Lennon, Paul McCartney, Mick Jagger und Eric Clapton vorgelegt hat („Jimi - Die Hendrix-Biographie“. Aus dem Englischen von Stefan Rohmig. Piper Verlag, 432 S., 24 Euro). Er kennt die damalige Szene wie kaum ein anderer. Das kommt auch seiner detailfreudigen Hendrix-Darstellung zugute. Sie ist fesselnd und solide erzählt, auch wenn sie nichts wirklich Neues mitteilen kann. Norman vermittelt ein Leben auf der Überholspur, geprägt vom Tour-Stress, ständigem Substanzen-Missbrauch und einer „monumentalen Promiskuität“. Er berichtet auch von vielfältigen Rassismus-Erfahrungen. Anders als Musiker wie James Brown zögerte Hendrix, den Black Panthers, die ihn gern vereinnahmt hätten, Sympathien auszusprechen. Im aufgeladenen Klima der Rassenkonflikte geriet er dennoch ins Visier des FBI, der eine ausführliche Akte über den „bekannten Negerkünstler“ anlegte.

Hinter dem Kopf gespielt

Der Schwachpunkt des Buches ist das Musikalische. „Er spielte seine Linkshänder-Stratocaster hinter dem Kopf“, schreibt Norman. In der Regel spielte Hendrix jedoch die üblichen Rechtshänder-Modelle mit umgespannten Saiten. Ein weiterer Lapsus unterläuft dem Biographen ausgerechnet beim legendären Hendrix-Akkord. Er definiert ihn falsch als Dur-Akkord mit „übermäßiger Septime“. Tatsächlich ist es ein Dur-7-Akkord (also mit kleiner Septime), entscheidend ist aber die Ergänzung durch eine übermäßige None. Sie entspricht einer zusätzlichen Moll-Terz, die dem Akkord einerseits Schmelz beigibt, andererseits eine spannungsvolle Dissonanz zur tieferen Dur-Terz erzeugt.

Hendrix liebte Science-Fiction-Romane, und seine Gedankenwelt hatte einen surrealen Einschlag. Über die kosmisch-orgasmische Aufladung seines Spiels und die elektrifizierten Körperströme hat Klaus Theweleit theoretisiert. Mit seiner sexualisierten Bühnenpräsenz und seinen Gimmicks trägt Hendrix allerdings auch einige Mitschuld daran, dass die E-Gitarre zum Phallus-Klischee wurde. Heute wirkt es eher lächerlich, wenn ein Gitarrist die Saiten mit den Zähnen bearbeitet – in den Sechzigern war solch libidinöses Spektakel unerhört.

Posthume Perlen

Nach den vielen, teils fragwürdigen posthumen Album-Veröffentlichungen ist kürzlich noch einmal eine wirkliche Perle erschienen: „Songs For Groovy Children“, eine Box mit (fast) allen Mitschnitten der legendären Fillmore-East-Konzerte der Band of Gypsys in verbesserter Tonqualität. Hier, am Neujahrstag 1970, macht Hendrix einen Heavy-Bluesfunk, der vom Bass seines alten Militärkumpels Billy Cox und dem Schlagzeug von Buddy Miles angetrieben wird.

Neun Monate später, am Morgen des 18. September 1970, erlitt der Siebenundzwanzigjährige in einem Londoner Hotel eine Atemlähmung und erstickte an seinem Erbrochenen. Warum nahm er, nachdem er schon Wein, Cannabis und Amphetamine konsumiert hatte, die achtzehnfache Dosis einer starken deutschen Schlaftablette namens Vesparax ein, die ihm seine Freundin Monika Dannemann anbot? Hat sie ihn, warum auch immer, vorsätzlich getäuscht? Gab es eine latente Selbstmordbereitschaft? War es das bloße Versehen eines Drogen-Dauerkonsumenten, dessen Körper bereits angegriffen war und der in den Monaten zuvor immer wieder Todesahnungen geäußert hatte? Das Rätsel bleibt bis heute.

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