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Seit jeher ein beliebtes Motiv für Horrorgeschichten: Der Jahrmarkt.

© imago images/blickwinkel

Horrorthriller von Richard Lorenz: Die dunklen Orte in uns

In der Tradition von Stephen Kings Kleinstadt-Horrorklassikern: Der Thriller „Hinter den Gesichtern“ erzählt von Kindern, die keine Kinder mehr sein dürfen und einem hellsichtigen Mädchen.

Erst der Eisregen, dann der Schnee. Der Dienst in der Notfallambulanz ist wegen des plötzlichen Wintereinbruchs „hoffnungslos und blutig“: allein sieben Verkehrsunfälle. Dann ein Toter mit einem Messer in der Brust. 

Als die Krankenschwester Lisbeth Broussard im Schockraum 2 vor der Leiche steht, weiß sie sofort, dass dieser Mann nicht das Opfer eines häuslichen Unfalls oder einer Messerstecherei ist. Die „frische Leiche“ mit dem „Herzstich“ ist ein Bote, der eine Nachricht aus der Vergangenheit überliefert. 

Als Lisbeth später in ihrem alten Ford auf dem Weg nach Hause ist, tanzen im Licht der Scheinwerfer Bilder aus einer anderen, längst vergangenen Zeit: „verblassende Polaroids“ von „tanzenden Engeln“, „schwarze Zungen“ und Kindern mit „lichterloh brennendem Haar“.

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Die Zeit dehnt sich in diesem „Jahrhundertwinter“, und es dauert, bis sich in Richard Lorenz’ Horrorthriller „Hinter den Gesichtern“ erste Umrisse der Geschichte abzeichnen: In einer Kleinstadt im Süden Deutschlands hat es offenbar in den Siebzigern eine Reihe grausamer Morde an Kindern gegeben, die nie aufgeklärt wurden. 

Lisbeth, die als Kind das „zweite Gesicht“ hatte, scheint damals mit einem Hinweis auf einen vermeintlichen Täter ein Blutbad in der Kirche ausgelöst zu haben. Die Erinnerungen überschatten den „dunklen, fast schon mysteriösen Jahrmarktsort“ mit seinen „unbeholfenen Menschen“ bis heute. 

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Weitere Leichen mit einem Messer im Herzen werden gefunden, ein alter, medikamentensüchtiger Polizist mit chronischen Hüftschmerzen sucht nach Verbindungen zu den alten Fällen, und die Krankenschwester wird tief in ihre Vergangenheit hinabgezogen.

Rückkehr zu unseren Untiefen

Ein „Jahrmarktsort“ mit Kindern, die keine Kinder mehr sein dürfen, ein hellsichtiges Mädchen: Die Bezüge auf Kleinstadt-Horrorklassiker von Ray Bradbury oder Stephen King sind nicht zu übersehen. 

Trotzdem: Richard Lorenz, der mit düsteren Coming-of-Age-Romanen wie „Amerika Plakate“ oder „Frost, Erna Piaf und der Heilige“ bisher eher in Fan-Foren und bei Lovely Books zu Hause war als im guten, alten Feuilleton, hat eine ganz eigene Sprache: rhythmisch, repetitiv, rhapsodisch, ein bisschen wie die „Teufelsmusik“ auf den verknisterten Vinylplatten von Charly Parker oder Miles Davis, mit denen Lisbeth die Stimmen in ihrem Kopf übertönt. 

Oder lockt sie sie damit erst hervor? Wie alle guten Horrorromane erzählt „Hinter den Gesichtern“ davon, dass wir dunkle, wüste Orte in uns tragen, vor denen wir unser ganzes Leben fliehen – und zu denen wir doch immer wieder zurückkehren. 
Richard Lorenz: Hinter den Gesichtern. Roman. Luzifer Verlag, Borgdorf 2019. 296 Seiten, 13,95 €.

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