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Bin ich irre? Mona (Gro Swantje Kohlhof) in Gefahr.

© Marius von Felbert/Junafilm

Horrorthriller "Schlaf" mit Sandra Hüller: Rechte Umtriebe in deutschen Wäldern

Im Bann altdeutscher Flüche: Michael Venus und sein Mysteryfilm „Schlaf“ in der Perspektive Deutsches Kino.

In einsamen Hotels heißt es wachsam sein. Besonders in der Nebensaison. Das ist seit Stanley Kubricks „Shining“ bekannt. Nur, dass es hier keinen Schriftsteller in die transitorische Version eines klassischen Spukhauses verschlägt, sondern eine Stewardess.

Marlene bekommt nachts kein Auge mehr zu, ohne unter Albträumen zu leiden. Sie werden bevölkert von Wildschweinen und dunklen Tannen, die man im Wald, dem urdeutschen Refugium romantischer Sagen- und Märchengestalten, an jeder Ecke findet.

Eine gespenstische Frau steht im Wald

Als Marlene (Sandra Hüller) besagtes Gebäude in einer Zeitungsannonce sieht, reist sie hin, um sich dort der vermeintlichen Paranoia zu stellen - und landet mit einem Stupor, einer Körperstarre, in der Psychiatrie. Nun will Tochter Mona (Gro Swantje Kohlhof), die in diesem Duo längst mehr Mutter ist, als ihre nervlich zerrüttete Erziehungsberechtigte, herauskriegen, was der in die Knochen gefahren ist.

Und kaum, dass sie sich im Hotel Sonnenhügel in Stainbach schlafen legt, ertönt ein schrilles Zing und draußen in der Schwärze der Nacht steht eine blonde Frau im roten Kleid. Von der Wildsau im Hotelzimmer ganz zu schweigen.

Eigentlich hat Regisseur Michael Venus für sein Kinodebüt was anderes im Sinn gehabt, als einen Arthouse-Horrorthriller. Er und sein Drehbuchautor Thomas Friedrich brüteten gerade über einem Projekt zum Thema „das Patriarchat und wie es uns Angst macht“, erzählt er.

Weimarer. Filmemacher Michael Venus hat mit Sandra Hüller das "Thüringen-Ding" gemein.
Weimarer. Filmemacher Michael Venus hat mit Sandra Hüller das "Thüringen-Ding" gemein.

© Marius von Felbert/Junafilm

Da kam seine Produzentin Verena Gräfe- Höft mit der Horroridee an. Und Venus dämmerte, dass genau das die geeignete Form ist, genau diese Ängste sichtbar zu machen. „Das Kino der Angst und Konfrontation ist ein Trainingslager für die Psyche“, sagt der Regisseur. Und verweist auf Klassiker wie Polanskis „Rosemaries Baby“ und die Horrorsatire „Get Out“, in der Jordan Peel 2017 den Rassismus von Mittelschichts-Amerikanern beackerte.

Michael Venus ist 43, lebt in Weimar, hat an der Bauhaus Universität Visuelle Kommunikation und an der Hamburg Media School Regie studiert, Kurzfilme gedreht und sein Geld mit Werbe- und Fernsehjobs verdient. Genug Erfahrung also, um den vom ZDF koproduzierten Thriller nach Kino aussehen zu lassen.

Wobei das Sounddesign, das im Horror- und Mystery-Genre in Sachen Suspense die halbe Miete ist, manchmal eine Schippe zu viel Ächzen, Dröhnen und Schaben draufpackt. Auch das Drehbuch arbeitet gelegentlich mit grotesken Überzeichnungen. Die sind fast unvermeidlich, wenn man von Flüchen und Dämonen erzählt.

Marion Kracht und August Schmölzer als abgründiges Duo

Gespielt von einem Duo, das man sonst nur aus kreuzbraven Fernsehrollen kennt, ist das ein super Effekt. Marion Kracht und August Schmölzer halten als abgründiges Hotelierspaar Lore und Otto bestens mit dem jede für sich vielfach preisgekrönten Arthouse-Duo Kohlhof und Hüller mit.

Mit letzterer ist Michael Venus schon seit Jahren freundschaftlich verbunden. Durch das „Thüringen Ding“, wie er es nennt, und vier gemeinsame Kurzfilme. Er ist in Erfurt geboren, sie stammt aus der Gegend von Gotha. Und natürlich fällt einem beim Stichwort Sandra Hüller und Besessenheit auch gleich Hans-Christian Schmids Drama "Requiem" ein, in der die Schauspielerin 2006 eine Epileptikerin spielte, die einem Exorzismus zum Opfer fällt.

Tochter, wo bist du? Marlene (Sandra Hüller) sucht nach Mona.
Tochter, wo bist du? Marlene (Sandra Hüller) sucht nach Mona.

© Marius von Felbert/Junafilm

Nochmal „Requiem“ habe sie nicht machen wollen. Jetzt spielt sie das genaue Gegenteil. Glaubt man „Schlaf“, ist nicht toben können mindestens so anspruchsvoll wie toben. Verkrampft vom Haaransatz bis zu den Zehen liegt sie im Hospital und tappst schließlich mit versteiften Gliedern los, um der Tochter im Hotel beizustehen.

Eins von mehreren tatkräftig und selbstverständlich füreinander einstehenden Mutter-Tochter-Gespannen, die die diesjährige Perspektive Deutsches Kino erzählt. Das ist eine Entwicklung beim deutschen Regienachwuchs, die nach endlosen Mutter-Tochter-Filmschlachten so richtig Freude macht.

Mit 19 verprügeln ihn Nazis in Jena

Vom Wiedererstarken rechter Ideen und unseliger deutscher Traditionen lässt sich das leider nicht sagen. Michael Venus kennt die Bedrohung genau. „Schlaf“ ist seine Art, die unseligen Geister auszutreiben. Mit 19 ist er in Jena von 15 Neonazis schwer verprügelt worden.

[28.2., 12 Uhr (Colosseum 1) u. 21.30 Uhr (Neue Kammerspiele)

„Aber meinen ersten Nazi ohne Springerstiefel habe ich in Hamburg getroffen.“ Auf einer Grillparty in der Nachbarschaft im Stadtteil St. Georg, wo der ihm einen Vortrag über „Kanaken“ hielt. „Das war für mich damals schon das Zeichen, dass radikales Denken bei ganz normal wirkenden Leuten angekommen ist.“ Seiner Zuneigung zu Thüringen tut all das keinen Abbruch. „Ich erlebe dort einen sehr starken, auch organisierten Widerstand gegen die Rechten.“ Hoffentlich kommt er ohne dämonische Rächerinnen aus.

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