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Den Bewohnern der Kommune ist nicht zu trauen.

© Weltkino

Horrorfilm „Midsommar“: Schöner Tod unter gleißender Sonne

Ari Asters Film „Midsommar“ zieht sich zurück ins Idyll einer heidnischen Kommune. Der Regisseur beweist sich dabei erneut als Meister des Unheimlichen.

Es beginnt in tiefer Winternacht, als kryptische Mails eintrudeln. Für die Studentin Dani (Florence Pugh) ein untrügerisches Zeichen: Mit ihrer depressiven Schwester stimmt etwas nicht. Danis Freund Christian (Jack Reynor) bietet ihr keinen Beistand: Er hängt mit seinen Kumpels ab, lästert über Dani und hat sich aus der Beziehung längst verabschiedet. Dann die Schreckensnachricht: Die Schwester ist tot, auch die Eltern – mitgerissen im depressiven Exzess.

Die erste Szene aus Ari Asters „Midsommar“ könnte noch aus seinem gefeierten Debüt „Hereditary“ stammen, einer düster glühenden Nachtfantasie aus einer surrealen Puppenhaushölle. Beide Filme grundiert ein traumatischer Verlust. Doch „Midsommar“ zieht rasch aus Nacht und Haus ins Freie, in den Norden Schwedens, wo im Sommer kaum die Sonne untergeht – was die Kommune Hårga alle 90 Jahre vor prächtig-karger Naturkulisse tagelang rituell feiert.

Für Christian, Dani und deren Uni-Freunde vom ethnologischen Institut bietet das praktizierte, im archaischen Europa wurzelnde Brauchtum der heidnischen Kommune den idealen Stoff für eine Abschlussarbeit nach der Methode teilnehmender Beobachtung. Eingeladen hat sie der schwedische Gaststudent Pelle (Vilhelm Blomgren), selbst ein Sohn aus Hårgas Schoß. Die Begrüßung fällt dem Klischee nach schwedisch-offenherzig aus, ein gemeinsamer Trip auf Pilzen bricht das Eis.

Vorhersehbarkeit ist kein Nachteil

Weißes Leinen, sonderbare Rituale, folkloristische Schnörkel, eine heideggerianische Lust an Handwerk und Selbstgeschnitztem, nicht zuletzt vom Geist ihrer Kultur bis in tiefste Glückseligkeit durchdrungene Menschen: Dass dem bukolischen Idyll, mit atemberaubendem Aufwand etabliert, nicht zu trauen ist, ist ebenso vorhersehbar wie das Finale, auf das der Film von langer Hand eingefädelt hinauslaufen wird.

Stehen im Gothic Horror das Verdrängte feudaler Epochen und im modernen Horror das sozial Abgedrängte im Mittelpunkt, wendet sich der selten bediente „Folk Horror“ wie im Klassiker „Wicker Man“ im Zuge der Christianisierung verschüttgegangenen Kulturen zu und entwickelt vom Hexensabbat bis zu Druidenritualen auf Stonehenge immensen atmosphärischen Reiz. Dass Danis Freund Christian heißt, darf als Wink mit dem runenverzierten Zaunpfahl gelten.

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Die genrebedingte Vorhersehbarkeit erweist sich allerdings nicht als Nachteil. Aster geht es vor allem um den Prozess. Wie es ihm unter strahlendem Sonnenschein gelingt, das Exotische, im Hygge-Zeitalter aber auch mild Vertraute des skandinavischen Naturkults buchstäblich mit dem Schlaghammer zu verunheimlichen, ist eine Schau für sich. Nach nur zwei Langfilmen voll denkwürdiger, nachhaltig verstörender Set-Pieces ist klar: Mit Aster hält ein meisterhafter Arrangeur des Unheimlichen im Kino Einzug, der zudem weitgehend auf gängiges Horror-Instrumentarium verzichtet.

Ein melodramatischer Exzess

„Midsommar“ belässt es jedoch nicht bei visuellen Bizarrerien. Aster erzählt auch eine von tiefer Traurigkeit durchsetzte Anti-Liebesgeschichte. Besser gesagt: die Entliebungsgeschichte einer schleichenden De-Empathisierung. So wie die vom Trauma ihres Verlusts gezeichnete Dani im Hårga-Kult zusehends eine Ersatzfamilie erkennt, in die sie sich zunächst unwissentlich, dann widerwillig, schließlich wild ekstatisch einfügt, so dämmert ihr allmählich auch, dass ihr nicht nur emotional unzuverlässiger Freund, dessen Defizite sie lange rechtfertigt, kein Mensch fürs Leben ist.

Wie sich Dani von ihm löst und dieser seine Souveränität einbüßt, während der Naturkult seine dämonische Fratze hinter der sonnigen Fassade zu erkennen gibt und ein Studienfreund nach dem anderen verschwindet – das erzählt Aster erst schwelend, dann in brachialer Orchestrierung sämtlicher filmischer Sinne. Und bleibt dabei sonderbar geradlinig und verquer zugleich, wenn er dem Affektangebot jeden positiven Bezugspunkt gründlich austreibt: Während der Film sich ins glutheiße Furiosum deliriert, markiert Bobby Krlics kongenialer Soundtrack ein pastorales Erlösungsidyll.

Empathie, Empathieverlust, aggressiver Regress, melodramatischer Exzess: Man weiß in diesem taghell-düsteren Spektakel nicht, wohin mit dem eigenen Gefühlshaushalt. Dani lacht und weint zugleich. Im Abspann treiben wie zuvor schon in den psychedelischen Naturekstasen Blüten und Pilze. Kreislauf des Lebens. Dazu läuft der 60ies-Klassiker „The Sun Ain’t Gonna Shine (Anymore)“, in dem Frankie Vallie von der tieftraurigen Einsamkeit eines Mädchens singt. Vielleicht allegorisiert „Midsommar“ tatsächlich die geschlechterpolitischen Anspannungen unserer Gegenwart: Wenn die Jungs nicht endlich lernen, wie man liebt, wird es böse enden.

Thomas Groh

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