zum Hauptinhalt
Damals Defa, heute Weltstar.

© dpa

Hommage: Seine blauen Augen

Der Unverwechselbare: Er ist Musiker, Maler und Schriftsteller und spielte in Filmen wie "Shine" oder "Die Manns". Am Freitag bekommt Armin Mueller-Stahl einen Ehrenbären verliehen.

Wie führt man als Interbrigadist ohne einen Tropfen Wasser unter Spaniens glühendem Himmel einen Klassenauftrag aus? Armin Mueller-Stahls zweiter Kinofilm – der erste der Berlinale-Hommage – heißt „Fünf Patronenhülsen“. Regie: Frank Beyer, gedreht 1958. Mit Manfred Krug und Ulrich Thein kämpft er sich während des spanischen Bürgerkriegs durch eine Halbwüste. Drei Verdurstende in höherer Mission. Zugleich eine Trinität der Vielversprechenden, der kommenden Schauspieler der DDR. Aber nur er, Sohn eines Bankbeamten aus Tilsit, wird der Defa-Darsteller sein, der es zu Weltruhm bringt. Der einzige.

Das Spezifische dieses Mannes ist das Unspezifische, seine vielleicht einzige Festlegung die Unfestlegbarkeit. Darin war er immer das Gegenteil von Manfred Krug. Dass er den Thomas Mann in Breloers Familienporträt die Rolle seines Lebens genannt hat, weiß spätestens seit seinem 80. Geburtstag im vergangenen Dezember jeder. Beunruhigend droht sich das Standbild von Mueller-Mann-Stahl vor seine früheren Gesichter zu schieben: Diese eigentümlich gepressten zu vollen Lippen, die niemals weichlich wirken.

"Shine" war die Rolle, die ihm eine Oscar-Nominierung brachte

So als wollten sie das Leben, das sie aussprechen müssen, zugleich unter Verschluss halten. Die zu blauen Augen im ewigen Unentschieden zwischen Offenheit und Härte. Damit konnte er nicht nur Thomas Mann, sondern auch einen Mafia-Boss in Cronenbergs „Eastern Promises“ (2007) spielen. Oder den diktatorischen Vater in „Shine“ (1996), die Rolle, die ihm eine Oscar-Nominierung brachte.

Und weil er, der Maler, der Sänger, der Geigenspieler auch ein Philosoph ist, hat er das Ideal seines Schauspielerseins so beschrieben: etwas lesbar machen, indem man es gut versteckt. Vielleicht hat ihm die leicht prätentiöse Art den etwas respektlosen Namen eingetragen, den seine früheren Kollegen noch heute für ihn haben: „Minchen“. Thomas Mann in der DDR – das konnte nur „Minchen“ ergeben. Wenn er die Seite 382 eines Buches gelesen hatte, erklärte er dir die Welt vollständig von Seite 382, sagt eine Kollegin, aber nicht die, mit der er im zweiten Frank-Beyer-Film dieser Hommage spielt: In „Königskinder“ ist Annekathrin Bürger das Mädchen, zu dem er nicht kommen kann, weil er schon wieder einen Klassenauftrag zu erledigen hat, und das inmitten durchaus kunstfilmwilliger, schicksalshaft-quasi-expressionistischer Licht-Schatten-Kontraste.

Voller Tragik und Komik spielt er in "Avalon" einen polnisch-jüdischen Großvater, der kaum Englisch sprechen kann

Mueller-Stahl schreckte nicht davor zurück, als Schauspieler ohne nennenswerte Englischkenntnisse nach Amerika auszuwandern. Hatten das nicht die meisten Amerikaner einst so gemacht? Schon Mueller-Stahls zweiter Film dort war Barry Levinsons „Avalon“ (1990). Und natürlich spielte er einen, der ohne nennenswerte Englischkenntnisse nach Amerika auswandert: den polnisch-jüdischen Großvater Sam Krichinsky, voller Tragik und voller Komik, fernstmöglich vom Thomas-Mann-Typus des Repräsentanten.

Und wahrscheinlich war es ohnehin viel klüger, 1991 in Amerika als ostdeutscher Taxifahrer unter Jim Jarmuschs Regie im wunderbaren „Night on Earth“ durch New York zu fahren als im neuen Einheitsdeutschland ein Schauspieler mit Ost-Vergangenheit zu sein. Denn Mueller-Stahl hatte den ersten und einzigen Versuch der Staatssicherheit getragen, legendär zu werden: als Kino-MfS-Agent Achim Detjen in „Das unsichtbare Visier“. Bis er den Genossen den Klassenauftrag vor die Füße warf und lieber mit Fassbinder „Lola“ drehte.

Heute um 22.30 Uhr bekommt Armin Mueller-Stahl im Berlinale-Palast einen Ehrenbär. Anschließend läuft „Music Box“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false