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Die vier Gewinner in den Darsteller-Kategorien: Mahershala Ali, Emma Stone, Viola Davis, Casey Affleck (v. l.)

© REUTERS

Hollywood: Farben und Signale der Oscarnacht

Bei den Oscars sind die afroamerikanischen Filme die Gewinner des Abends. Die Kritik an Trump bleibt verhalten, der politischste Kommentar kam von einem abwesenden Preisträger.

Von Andreas Busche

Es war ein hollywoodwürdiges Finale am Ende einer größtenteils zähen Veranstaltung. Dass nach kurzer, dramaturgisch unfreiwilliger Verwirrung doch der Außenseiter „Moonlight“ (Kinostart: 9. März) mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnet wurde, macht Hoffnung, dass die Reformen der 6000 Mitglieder starken American Academy Früchte tragen könnten. Sind für die Entscheidung tatsächlich die 683 neuen Mitglieder (46 Prozent davon weiblich, 43 Prozent Afroamerikaner, hispanischer oder asiatischer Herkunft) ausschlaggebend? Oder schlichtweg die Tatsache, dass ein Film über einen jungen Schwarzen, der in einer Gesellschaft, die ihm einen Platz verweigert, um seine Identität ringt, im Jahr 2017 eher einen Nerv trifft als die Liebesgeschichte zweier Narzissten auf ihrem künstlerischen Selbstverwirklichungstrip?

Man wird es nie erfahren. Immerhin ist es als Signal zu werten, dass sich die Academy unter ihrer Präsidentin Cheryl Boone Isaacs, der ersten Afroamerikanerin in dieser Funktion, nach zwei blamablen Oscar-Jahrgängen für eine kulturelle Vielfalt öffnet – heutzutage eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dieses Reflexionsvermögen würde man im Übrigen auch der Deutschen Filmakademie mal wünschen. Mit Viola Davis („Fences”) und Mahershala Ali („Moonlight”) sind bei den Nebenrollen zwei afroamerikanische Darsteller ausgezeichnet worden. Dieses Zeichen für mehr Diversität kann unter einem Präsidenten, der eine Politik der Schikane und Ausgrenzung praktiziert, gar nicht genug gewürdigt werden.

Wie in eine andere Zeit zurückversetzt

Gleichzeitig ist es charakteristisch für die Academy, dass der politischste Kommentar bei der Gala im Dolby Theatre vom einzigen abwesenden Preisträger stammte. Der iranische Regisseur Asghar Farhadi, dessen Film „The Salesman“ mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet wurde, boykottierte die Veranstaltung als Reaktion auf Trumps Einreiseverbot für Muslime. In seiner Dankesrede begründete er seine Abwesenheit mit dem Respekt vor den Menschen im Iran und in den anderen sechs Ländern, „denen durch den unmenschlichen Einreisestopp Verachtung entgegengebracht wird.“ Natürlich ist es aus deutscher Sicht schade um „Toni Erdmann“. Einen Tag zuvor hatte Maren Ades Film immerhin bei den Independent Spirit Awards in Los Angeles gewonnen.

Farhadi war nur einer von zwei Gewinnern, die aus politischen Gründen nicht an der Verleihung teilnahmen. Dem syrischen Kameramann Khaled Khatib, der maßgeblichen Anteil an dem mit einem Oscar ausgezeichneten Dokumentarkurzfilm „The White Helmets“ über freiwillige Helfer im kriegszerstörten Aleppo hatte, war die Einreise in die USA kurzfristig verweigert worden.

So hinterlassen die Oscars auch in diesem Jahr einen seltsamen Beigeschmack. Moderator Jimmy Kimmel ließ sich zwar den einen oder anderen harmlosen Seitenhieb auf Donald Trump nicht nehmen, hielt sich mit Kritik aber zurück. Zeitweise fühlte man sich während der über dreieinhalbstündigen Übertragung wie in eine andere Zeit zurückversetzt, so beliebig und realitätsfern fielen etliche Anmoderationen und Danksagungen aus.

Obwohl Cheryl Boone Isaacs im Vorfeld noch verkündete, Trumps Politik habe die Akteure Hollywoods wieder zu Aktivisten gemacht, schien sich kaum jemand im Dolby Theatre davon angesprochen zu fühlen. Allein der mexikanische Schauspieler Gael Garcia Bernal erteilte in seiner kurzen Ankündigung der Idee eines Grenzzauns zwischen zwei Nachbarn eine Absage.

Triumph für Affleck, trotz Vorwürfen sexueller Belästigung

Und was konnte man sonst noch von dieser 89. Oscar-Verleihung lernen? Dass die Academy trotz aller Beteuerungen auf einem Auge weiterhin farbenblind ist, zum Beispiel. Das trifft definitiv auf Casey Affleck zu, der für seine Hauptrolle in „Manchester by the Sea“ den Oscar erhielt – obwohl in den vergangenen Monaten mehrere Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen den Schauspieler bekannt wurden. Seinen Oscar-Chancen haben die Anschuldigungen nicht geschadet, im Gegenteil: Mit den anderen, tendenziell vorentscheidenden Preisen wurde es ein Triumphzug für Affleck.

Der afroamerikanische Regisseur Nate Parker hatte weniger Glück. Sein Sklavendrama „Birth of a Nation“ galt über viele Monate als heißer Oscar-Kandidat, bis ein 15 Jahre zurückliegender Prozess wegen mutmaßlicher Vergewaltigung erneut durch die Medien gezerrt wurde. Von Nate Parker spricht in Hollywood heute niemand mehr, während Affleck gerade im Olymp ankommt. Dass Afflecks Produktionsfirma Geld an eine Trump-nahe Wahlkampforganisation spendete, blieb an diesem Abend ebenfalls unerwähnt. Die Filmindustrie lässt sich ihre feierliche Nabelschau ungern vermiesen.

Der Triumph von „La La Land“ mit sechs und von „Moonlight“ mit drei Auszeichnungen bestätigt auch einen anhaltenden Trend. Einer aktuellen Studie des Holtzbrink-nahen Digitalwirtschaftsunternehmens CupoNation zufolge sinken seit 2006 die Budgets der Preisträger in der Kategorie „Bester Film“. Die Entwicklung erreichte 2010 mit Kathryn Bigelows „Hurt Locker“ einen Höhepunkt und setzte sich während der Wirtschaftskrise in der Obama-Ära fort. Mit einem Fünf- Millionen-Dollar-Budget liegt „Moonlight“ weit unter den 21,6 Millionen Dollar, die die Siegerfilme der letzten acht Jahre im Durchschnitt kosteten. So preiswert war Oscar-prämiertes Hollywoodkino seit dem Zweiten Weltkrieg nicht.

Es deutet sich ein Problem für Hollywood an

Überraschend muss das angesichts der Welle an Sequels und Superheldenfilmen nicht. Mit diesen Zahlen deutet sich für Hollywood allerdings auch ein Problem an. Denn heutzutage wird es immer schwieriger, kleine Filme wie „Moonlight“ oder „La La Land“ zu finanzieren. Es sind zwar relativ risikolose Unterfangen, sie gelten aber – selbst im Fall von „La La Land“ – als kaum lukrativ.

So fungieren die Oscars zunehmend als Feigenblatt der Branche, die kaum kaschieren kann, dass Hollywood sich in eine Monokultur verwandelt. In diesem Jahr waren „Suicide Squad“ (Bestes Make-up und Hairstyling) und „Zootopia“ (Bester Animationsfilm) die einzigen kommerziellen Studiofilme unter den Preisträgern. Die restlichen Preise machten finanziell besser aufgestellte Independentproduktionen unter sich aus.

Hollywood sollte in den kommenden Jahren also weit mehr auf die Reihe kriegen, als am Ende einer langen Nacht die richtigen Sieger zu verkünden. Mit „Moonlight“ hat nicht nur ein thematisch überaus zeitgemäßer Kandidat, sondern auch der schönste Film des Jahres gewonnen. Die bizarre Zettelwirtschaft während der Siegerverkündung war dann auch symptomatisch. Die Branche muss sich an die neue kulturelle Vielfalt, die diesjährige Oscar-Verleihung präsentierte, anscheinend noch gewöhnen. Sie sollte zukünftig aber auch die ökonomischen Strukturen stärken, die diese Vielfalt überhaupt erst ermöglichen.

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