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© Corbis

Hippie-Kultur: Die Blumen der Bösen

Vor 40 Jahren trugen sich die Hippies in San Francisco selbst zu Grabe. Doch die Geschichte war noch nicht fertig mit ihnen. Zwei Jahre später prägte Woodstock das ewig-selige Bild der Blumenkinder.

Eine bunt gekleidete Menschenmenge zieht laut musizierend durch Haight Ashbury, dem mythenverklärten Hort der Hippie-Kultur. Es riecht nach Räucherstäbchen, während Lieder gesungen und die Wege mit Flitter und allerlei Zeugs bestreut werden. Einige haben Peace-Zeichen in der Größe einer Schallplatte um den Hals, andere verteilen farbige Handzettel. Doch was soll der Sarg, den sie mit sich schleppen und der voller Blumen ist?

Vor 40 Jahren, am 6. Oktober 1967, trugen sich die Hippies in San Francisco selber zu Grabe. Zwei Jahre, bevor die Massen von Woodstock das Bild der ewig-seligen Blumenkinder-Generation ins Jahrhundert einschreiben sollten, erklärten sich einige hundert langhaarige Bewohner des Haight-Distrikts mit dem „Death of Hippie“ bereits selbst zur Geschichte. Wir sind erledigt, sagte ihr Trauermarsch. Doch die Geschichte war noch nicht fertig mit ihnen.

Zwei Jahre zuvor hatte ein Artikel des „San Francisco Examiner“ erstmals das Wort „Hippie“ erwähnt, um die Erben der örtlichen Beatnik-Szene zu beschreiben. Die hatten sich im goldenen Sommer der amerikanischen Westküste eine recht angenehme Utopie errichtet – darunter Musiker wie Jerry Garcia oder Jorma Kaukonen, sie spielten Blues und Folk und hatten mit Rockmusik nichts am Hut. Nichts deutete darauf hin, dass sie bald in Bands wie Grateful Dead und Jefferson Airplane spielen würden. Noch hielten sie sich über Wasser, indem sie Gitarrenstunden gaben. Das Leben war billig.

Ken Kesey, Autor des Erfolgsromans „Einer flog übers Kuckucksnest“, organisierte, heimgekehrt von seiner legendären Bustour durch die USA, sogenannte „Acid Tests“. Auf diesen Parties wurde zu Schwarzlicht und Stroboskopgewittern getanzt und LSD eingeworfen. Das Bewusstsein war wie ein Universum nach dem Urknall. Weniger erfolgreiche Autoren und Akteure – darunter der Schauspieler Peter Coyote – gründeten die „Diggers“; eine Gruppe die avantgardistisches Guerilla-Theater mit Wohltätigkeitsaktionen verknüpfte. Freie Küchen der Diggers verteilten Mahlzeiten an die chronisch abgebrannten Bohemiens. So auch, als am 14. Januar 1967 im Golden Gate Park 20 000 zum „Human Be-In“ zusammenkamen. Auf dem Ankündigungsplakat thronten die Namen des LSD-Propheten Timothy Leary und von Allen Ginsberg. Leary verkündete sein Mantra: „Turn on, tune in, drop out.“ Aber es waren die lokalen Rockbands wie Quicksilver Messenger Service, die an diesem Wintertag den „Summer of Love“ einläuteten. Immer mehr Jugendliche strömten danach in die Stadt, die in Zeitungsartikeln als Inbegriff des wilden Lebens beschrieben wurde.

„If you’re going to San Francisco be sure to wear some flowers in your hair“, rät Scott McKenzie den Pilgern – und macht so das weit verbreitete Hippie-Bild zur Hymne. Bald bekamen die Diggers ihre Leute nicht mehr satt. Das soziale Klima kippte innerhalb weniger Wochen: Heroin überschwemmte die Szene, Raub und Vergewaltigung konterkarierten die Idylle, die McKenzies Blumenkinder-Ode „San Francisco“ um die Welt schickte. Die Pioniere spürten, dass man sie nicht mehr in Ruhe lassen würde. So kam im Diggers-Umfeld die Idee auf, den Hippie am ersten Jahrestag des amerikanischen LSD-Verbots zu beerdigen.

Die Prozession endete vor einem Scheiterhaufen, der Sarg ging in Flammen auf. Dass sich eine Jugendbewegung selbst abschafft, ist nie wieder vorgekommen in der Pop-Geschichte. Und so widerspricht die – wenn auch folgenlose – Geste dem Image weltentrückter Harmlosigkeit, das den Hippie in den kommenden Jahrzehnten zum eindimensionalen Friedensdeppen herabwürdigte.

Wie stark Frust und Enttäuschung bei den Beteiligten tatsächlich waren, davon zeugt die Musik. „Tribal Gathering“ von den Byrds und Jefferson Airplanes „Saturday Afternoon“ hatten das Human Be-In im entrückt-staunenden Tonfall von Augenzeugen besungen. Aber schon das nächste Airplane-Album nach dem „Death of Hippie“ zeigt die Band vor einem Atompilz. „Crown of Creation“ berichtete von Einsamkeit und Zersetzung. „Du sagst, es heilt, aber keiner kann’s fühlen, einer dealt, ein anderer stiehlt“ – so ihr desillusionierter Blick auf die Krone der Schöpfung.

Anlässlich des Jubiläums kommt in diesen Tagen mit „Love is the Song We Sing“ eine der wenigen ernsthaften Anthologien der San Franciscoer Szene heraus (die Vier-CD-Box erscheint bei Warner). Dank chronologischer Reihung offenbaren die ersten Stücke, wie sich Ideen disparater Folkies sukzessiv in neue Emotionalität übersetzten. Nach einer fragilen Ballade und einem Jug-Band Stomper erblüht im dritten Song verhaltene Verliebtheit zu hymnischer Energie. Die Band We Five findet in einer eigentlich völlig harmlosen Interpretation von Ian & Sylvias „You Were On My Mind“ einen zuvor nie gehörtem Impetus: die Kombination des von E-Bass und Schlagzeug generierten Grooves mit schwärmerischem Harmoniegesang kündet vom besseren, neuen Leben. Die Musik will mehr als Partys beschallen oder Bilder für zärtliche Momente liefern. Die Wirkung ausufernder Improvisationen, welche bald die Konzerte vieler Bay- Area-Bands prägten, klingt auf diesen „Nuggets“ zwar nur an, dafür verdeutlichen sie das außerordentliche musikalisches Potenzial einer kleinen, lokalen Szene.

Was die einfallenden Plattenfirmen- Scouts und ihre Versprechen vom großen Geld bei den recht eigentümlichen Bohemiens nicht erreichten, gelang den Fans. In dem Bemühen, mit dabei zu sein, beschleunigten sie das Scheitern eines sozial-kreativen Modells just aufgrund seiner Anziehungskraft. Während die politisierteren Studenten im nahe gelegenen Berkeley noch immer auf Weltrevolution spekulierten und damit, anders als die Hippies, im Geist der europäischen Studentenbewegungen agierten, zogen sich die Grateful Dead, Jefferson Airplane, Quicksilver Messenger Service und andere Bands nebst Freundeskreisen im Herbst 1967 aufs Land zurück.

Das verhinderte ihren Durchbruch zwar nicht. Aber die Musiker bewegten sich nun nicht mehr in sozialen Netzwerken, die es erlaubt hätten, Janis Joplin mal eben über die Straße hinweg zur Jam-Session einzuladen. Auch der legendenumwobene „Psychedelic Shop“ der Gebrüder Thelin machte dicht, ein Schild im Fenster merkte lakonisch an, dass man in Nebraska dringender gebraucht würde.

Stattdessen beginnt am 17. Oktober 1967 ein Musical am New Yorker Off-Broadway die heute allseits bekannte Hippie-Geschichte zu erzählen: „Hair“ wird zum Welthit. Obwohl das Hippie-Gefühl zur poppigen Nummernrevue aufgebauscht wird, verlieren Themen wie Feminismus, Gay-Liberation und die Friedensbewegung nicht an Dringlichkeit.

Als leuchtende Paisleymuster von Karohemden abgelöst werden, zerfällt auch die Musik – in das Laute und Leise. Brachiale E-Gitarren oder stille Folklore, Zynismus oder guter Glaube: In Woodstock trennen sich die Geister. Es wird zum Festival der Enttäuschten. Wo dennoch die Gemeinschaft beschworen wird wie in Richie Havens „Freedom“-Song, gleicht es dem sentimentalen Abgesang auf einen Lebensstil, der von seinen Verheißungen begraben wurde.

Oliver Tepel

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