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Zeitreisender. Die Darsteller nehmen mit in eine tanzwütige Zukunft.

© Themba

„Hillbrowfication“ im Gorki: Wer nicht tanzt, hat schon verloren

Mit Jugendlichen aus Südafrika schuf die Choreografin Constanza Macras die Performance „Hillbrowfication“. Ein großer Tanzabend im Gorki Theater.

Von Sandra Luzina

Ein Raumschiff landet zwar nicht vor dem Gorki Theater, doch die jungen südafrikanischen Performer, die hier die Bühne betreten, scheinen von einem anderen Planeten zu kommen. Wie afrofuturistische Krieger muten sie an mit ihren Kostümen und der Gesichtsbemalung, die der südafrikanische Designer Roman Handt entworfen hat. In dem Tanzstück „Hillbrowfication“ beamen sie sich in die Zukunft und nehmen die Zuschauer mit auf einen aufregenden Trip.

Die Berliner Choreografin Constanza Macras hat eine besondere Verbindung zu Südafrika. 2105 hat sie das Post-Apartheid-Stück „On Fire – The Invention of Tradition“ mit südafrikanischen Performern und Tänzern ihrer Company DorkyPark erarbeitet. Mit 21 Kindern und Jugendlichen aus Hillbrow, einem Stadtteil von Johannesburg, hat sie nun das Stück „Hillbrowfication“ geschaffen. Hillbrow hat in den letzten Jahrzehnten einen dramatischen Wandel durchgemacht. Während der Apartheid war die Nachbarschaft weiß. Als Nelson Mandela 1994 zum Präsidenten gewählt wurde, zogen sie weg. Heute machen Gangs aus verschiedenen Ländern das Viertel unsicher. Doch es gibt auch Orte wie das Hillbrow Theatre, das von der Outreach Foundation getragen wird. Es bietet zahlreiche Community-Projekte an und ist für die Kinder eine Art Schutzraum vor der Gewalt. Auch die Kids aus „Hillbrowfication“ absolvieren hier ihre Theaterkurse, wenn sie aus der Schule kommen. Sie haben sich mit einem unglaublichen Elan in das Projekt gestürzt – und wurden auch ganz schön gefordert von Constanza Macras und ihrer Co-Choreografin Lisi Estarás.

Elend ohne Voyeurismus

Constanza Macras hat schon oft mit „Marginalisierten“ oder mit Künstlern, die Minderheiten angehören, zusammengearbeitet. Sie hat bewiesen, dass es ihr nicht um Elends-Voyeurismus geht, auch mit Pädagogik hat sie erfreulicherweise nichts im Sinn. „Hillbrowfication“ ist ein wahrer Glücksfall. Es ist erstaunlich, was Constanza Macras mit den Kids auf die Beine gestellt hat. Die jungen Darsteller erobern das Publikum im Sturm mit ihrer Ausdruckskraft, ihrer Fantasie und ihrem Enthusiasmus. Sie können nicht nur tanzen und singen, sie tragen auch philosophische Texte überzeugend vor, etwa von Achille Mbembe, einem Vordenker des Postkolonialismus.

Ausgehend von afrofuturistischen Erzählungen wie „Mindscape“ von Andrea Harriston malen die Kids sich ihre Zukunft aus. Von Harriston stammt die Vorstellung einer „Barriere“, die die Welt in Zonen aufteilt. Die Grundidee haben die Kinder selber entwickelt: Aliens erobern die Erde und wollen eine neue Ordnung etablieren, die auf den Tanzfähigkeiten der Menschen basiert. Wer nicht tanzen kann, wird ausgelöscht. Macras nimmt das Szenario zum Anlass für einen lustigen Stilmix. Stampfen und Schütteln bei den afrikanischen Tänzen, über den Boden rollen und Kreiseln bei den westlichen Stilen, wackelige Hebefiguren bei der Ballettparodie. Bei einigen der Zukunftsszenarien scheint auch die schwierige Situation der Kids durch: Ein Junge erzählt davon, wie er Schrott aus der Ersten Welt sammelte, als wäre dies etwas Kostbares. Ein Mädchen träumt davon, als Biochemikerin Müll umzuwandeln in nützliche Substanzen. Eine andere sieht sich als Ärztin mit besonderen Heilkräften.

Zukunft ohne Barrieren

Zwischen Utopie und Dystopie bewegt sich der Abend. Es gibt ein großes Gekloppe, bei dem auch die Mädchen ordentlich zulangen. Auch die Fremdenfeindlichkeit in Südafrika wird thematisiert. Panafrikanische Lieder schweißen die Gruppe dann zusammen – und die Gruppenchoreografien, die afrikanische und westliche Einflüsse verbinden. Die Kids machen sich nicht nur über die eigene Zukunft Gedanken, sondern reflektieren über das Ende unserer Welt – und über andere Daseinsformen. Das Leben sei an sich eine schöpferische Kraft, lautet die beruhigende Botschaft. Macras nennt „Hillbrowfication“ ein Empowerment-Projekt. Auch als Zuschauer ist man beglückt. Großer Jubel.

Noch einmal heute, Sonntag, 3. Juni, 19.30 Uhr.

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