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Rückkehr eines Hauptwerks nach Berlin. Hieronymus Boschs Gemälde „Johannes auf Patmos“ (um 1500). F

© oto: SMB, Gemäldegalerie / Jörg P. Anders

Hieronymus Bosch in Berlin: Und die Maus spielt Laute

Die Gemäldegalerie zeigt Arbeiten von Hieronymus Bosch aus Berliner Beständen – sowie Kunst in seiner Nachfolge.

Die Linie geht diagonal durchs Bild, von rechts unten nach links oben. Vom Teufelchen führt über den Menschen und die himmlische Gestalt ein direkter Weg zur göttlichen Erscheinung, die von einer Sonne umfangene Muttergottes. Diese unsichtbare Linie weist dem Betrachter den Weg nach oben ins Himmelreich. Das Böse hat auf dem Berliner Bosch-Gemälde ausnahmsweise keine Chance. Das kleine Monster mit Echsenschwanz und glimmender Glutschale auf dem Kopf kommt beim Versuch, dem Evangelisten Johannes das Schreibzeug zu entwenden, nicht zum Zug. Das Symboltier des Evangelisten, der Adler, hält ihn in Schach. Johannes selbst bemerkt von diesen Gefahren nichts. Andächtig schaut er hoch zu Maria, der auf einem grünen Hügel stehende Engel lenkt seinen Blick. Gleich wird er das Gesehene zu Papier bringen, den Stift hält er bereits in der erhobenen Hand, auf dem Knie ruht das gebundene Evangelium.

Mit „Johannes auf Patmos“ ist ein Hauptwerk der Gemäldegalerie nach Berlin zurückgekehrt. Es gehört auch zu den herausragenden Bildern des nur rund 24 Werke zählenden Oeuvres, ist von höchster Qualität und in tadellosem Zustand, dazu handsigniert. Monatelang musste es die Gemäldegalerie entbehren, da es sich als Leihgabe zunächst in ’s-Hertogenbosch und dann in Madrid befand, wo der 500. Todestag des Malers mit einer spektakulären Gesamtschau gefeiert wurde. Nie mehr werden so viele Originale des Meisters aus der ganzen Welt an einem Ort zusammenkommen, der Aufwand wäre zu groß, die Restauratoren würden ihre Zusage vermutlich verweigern.

Und doch schaffen es die Staatlichen Museen eine Bosch-Ausstellung zu präsentieren, die aus den eigenen Sammlungen zustande kommt. Zum Ende des Jubiläumsjahres, mit der Heimkehr auch der Zeichnungen des Künstlers, von denen die Hälfte im Kupferstichkabinett aufbewahrt wird, begeht Berlin eigene Bosch-Feierlichkeiten – die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zelebriert ihre Bestände. Unter dem Titel „Hieronymus Bosch und seine Bildwelt des 16. und 17. Jahrhunderts“ werden neben dem „Johannes auf Patmos“ Kopien nach Werken des Künstlers gezeigt sowie Bilder in seiner Nachfolge.

Schonung für empfindliche Blätter

Das Kupferstichkabinett trägt dazu Zeichnungen bei, immer nur zwei dürfen für drei Wochen gezeigt werden, um die empfindlichen Blätter zu schonen. Auch auf Papier lässt sich zeigen, welchen Einfluss Bosch auf spätere Künstlergenerationen besaß, die seine Mischwesen und Monster übernahmen, bis die Menschen mit Fischleibern, die Nasenflöter und Kopffüßler ihren Schrecken verloren und nur noch drollige Randfiguren waren.

Der Niederländer war schon kurz nach seinem Tod zur Marke geworden. Fürsten, Herzöge, kirchliche Würdenträger bestellten sich bei ihren Agenten weiterhin einen „Bosch“, gemeint waren Kopien seiner berühmtesten Motive – vom Weltgericht, der Versuchung des Heiligen Antonius, der Anbetung der Könige, dem Garten der Lüste. Ein regelrechter Boom muss eingesetzt haben, denn Nachschöpfungen all dieser Werke, gerade mal zwanzig, dreißig Jahre nach Boschs Tod entstanden, sind auch in Berlin zu sehen. Nur eines der bekannten Motive fehlt, ausgerechnet der „Heuwagen“, das Symbolbild schlechthin für die Gier des Menschen und Boschs hohe Moralität. Wer nach dem Gold greift, wird am Ende nur Stroh in den Händen halten. Das erschließt sich auch heutigen Betrachtern als Botschaft, denen Menschlein in Eierschalen und gläsernen Blasen, Schnabeltiere auf Kufen, Vögel mit Füßen in Krügen rätselhaft bleiben müssen.

Die Berliner Schau erlaubt es nun ganz ohne Warteschlangen und großes Gedränge wie noch zuvor bei den Ausstellungen in Holland und Spanien, die fantastische Welt des Hieronymus Bosch zu studieren. Auch wenn nur ein Gemälde vom Meister selbst stammt, bietet sie doch ein besonderes Plus. Die Kopie des Weltgerichtstriptychons aus der Wiener Akademie stammt von keinem Geringeren als Lucas Cranach dem Älteren, der das Original vor Augen gehabt haben muss, so exakt sind die Maße, so perfekt sind die Details. Und doch hat der Kopist deutlich seine Spuren hinterlassen.

Die Figuren erscheinen bei ihm weniger statisch, detaillreicher ausgeführt. Eva, die auf dem Paradiesflügel durch den segnenden Christus zum Leben erweckt wird, zeigt prachtvolle Locken, rundliche Formen, biegt sich elastisch in der Taille nach hinten. Den Sündern auf der Mitteltafel – ob im Fass mit Echsen und Kröten eingepfercht oder im Tragekorb bedrängt von einem Affen – ist die Furcht noch mehr ins Gesicht geschrieben. Hiermit grenzt sich der Nachfolger deutlich von der eher steifen, spätgotischen Malerei seines Vorbilds ab, dessen Imaginationskraft er sich gleichwohl anverwandelt.

An der Schwelle zur Renaissance

Trotz aller mittelalterlichen Gottesfurcht ist Bosch ein Künstler auf dem Sprung, an der Schwelle zum Zeitalter der Renaissance. Nicht nur beim Tafelbild setzt er mit der Landschaftsmalerei neue Standards, auch mit der Zeichnung. Bei ihm wird sie zum autonomen Kunstwerk, dient nicht nur als vorbereitende Studie. Der Mann aus ’s-Hertogenbosch in der Provinz Brabant, der sein Heimatstädtchen offenbar nie verlassen hat und dessen Werke vom spanischen König bis zum Bischof von Utrecht gesammelt wurden, gilt als einer der Väter der niederländischen Landschaftsmalerei.

Eine Kostprobe seiner Pionierarbeit gibt ebenfalls der Berliner Evangelist Johannes. Die Szene spielt zwar auf der griechischen Insel Patmos, doch Bosch verlegt sie in die heimischen Niederlande. Das Gewässer im Hintergrund lässt eher an die typische Landschaft des Niederrheins als an das Mittelmeer denken. Ein gotischer Kirchturm ragt am Horizont auf, Fischerboote sind auszumachen. Doch der Friede täuscht. Unterhalb der Marienerscheinung geht ein lichterloh brennendes Schiff gerade unter, am Ufer steht ein Galgenrad. Die von Johannes verfasste Apokalypse beginnt sich hier abzuzeichnen. Die Landschaft bekommt eine eigene erzählerische Funktion.

Bosch ist ein Befreier der Kunst, der auch für die Zeichnung Türen aufstößt. Das aktuell gezeigte Meisterblatt „Das Feld hat Augen, der Wald hat Ohren“ stellt eine vollendete Komposition dar, ist signiert und von dem Künstler mit einer lateinischen Inschrift versehen, seinem eigenen Credo: „Derjenige ist freilich armen Talents, der stets nur Erfundenes anwendet und nie das zu Erfindende.“ Wie sehr der Künstler diesen Spruch beherzigt, zeigt das zweite ausgestellte Blatt mit zwei Fantasiewesen, einem Tier mit Entenkopf, menschlichen Unterarmen und gepanzertem Vogelleib, das sich grimmig zum Betrachter umdreht, in der Hand ein Speer und im Stiefel Pfeil und Bogen. Darunter hockt ein Drache mit aufgerissenem Maul und langem, geringelten Schwanz. Er schickt ebenfalls bohrende Blicke. Die Geschöpfe strahlen Lebenstüchtigkeit aus, ihnen ist volle Beweglichkeit, eine eigene Geschichte zuzutrauen. Der Pseudonaturalismus beschert nicht nur diesen Monstern und Hybriden Autonomie, sondern auch der Zeichnung selbst.

Unsterbliche Fabelwesen

Fünf Jahrhunderte später lässt sich konstatieren, dass Boschs Fabelwesen nicht nur lebenstüchtig, sondern fast unsterblich sind. Sie krabbeln, drängeln und verbreiten bis heute ihre Schrecken, auch wenn manche ihrer Nachschöpfungen eher possierlich wirken. Die Versuchung des heiligen Antonius wurde gerade durch Boschs Inventar fantastischer Gestalten, die den Eremiten in seiner Höhle bedrängen, zu einem beliebten Sujet. Bei Jan Wellems de Cock bekommt die Figur mit dem Trichter auf dem Kopf eine putzige Knollennase, die Laute spielende Maus mit einem Schleier zwischen den Ohren hat harmlose Kulleraugen erhalten. Dem betenden Gottesmann rücken sie kaum ernsthaft zu Leibe.

Der belgische Maler James Ensor griff das Motiv Ende des 19. Jahrhunderts in der Radierung „Dämonen, die mich quälen“ wieder auf. Es sind seine Kritiker und seine Vorgänger, die an ihm ziehen und zerren. Jede Zeit besitzt ihre Hölle, jeder Künstler seine eigene Furcht, die er Gestalt annehmen lässt. Hieronymus Bosch aber schuf ein universales Bestiarium der menschlichen Ängste.

Gemäldegalerie, Kulturforum, bis 19. 2.; Di, Mi, Fr 10 – 18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa / So 11 – 18 Uhr.

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