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Bunt für Bürgerrechte. Das Musical „Hair“ der Chemnitzer Oper wurde in den Hauptrollen neu besetzt.

© Nasser Hashemi

Hierarchische Strukturen, kaum Inklusion: Wie Theaterleute für Diversität in ihrer Branche kämpfen

Die Auseinandersetzung um eine Chemnitzer Inszenierung zeigt: In Deutschen Ensembles sind nichtweiße Menschen unterrepräsentiert. Das Problem hat tiefe Wurzeln.

Als der Schauspieler und Sänger Dennis Weißert zum ersten Mal auf die Probe kam, hat er sich doch gewundert: „Nur bleiche Gesichter schauten mich an.“ Weißert ist zwar selbst nicht schwarz, aber er wusste, dass hier das Musical „Hair“ von Galt MacDermot, Gerome Ragni und James Rado auf dem Programm stand.

Dieses US-amerikanische Love-and-Peace-Stück, das nicht nur sonnige Hippie-Sause ist, sondern ein Spiegel der 60er Jahre mit ihren Protesten gegen den Vietnamkrieg und dem Erstarken der schwarzen Bürgerrechtsbewegung.

Der Satz „my hair is political“, den die portugiesische Denkerin Grada Kilomba geprägt hat, löst sich darin eindrucksvoll ein. Was also sollte dieser Cast aus Hellhäutigen? Ein Song heißt sogar „I’m black“. Weißert, der sich selbst als eher unpolitischen, jedoch sehr an Gerechtigkeit interessierten Menschen beschreibt, hat das Gespräch dazu gesucht. Bloß nicht wirklich Gehör gefunden.

Der Fall gelangte Anfang Juli über die sozialen Netze an die Öffentlichkeit. Und das Theater Chemnitz stand unversehens im Fokus von Protesten. In einem ersten Statement sollten Corona-Zwänge als Begründung für die Besetzung herhalten. Vorwürfe und Rechtfertigungen flogen hin und her. Im Netz hieß es plötzlich, es existiere eine „white version“.

Was Moritz Staemmler, Geschäftsführer des deutschen Rechteinhabers Felix Bloch Erben, ins Reich der Gerüchte verweist: „Völlig absurd. Ganz abgesehen davon, dass es mit den Amerikanern gar nicht zu machen wäre.“ „Hair“ habe zwei schwarze Hauptrollen, und so werde das Stück auch besetzt – lediglich bei der deutschsprachigen Erstaufführung sei der Part der Dionne von einer weißen Spielerin verkörpert worden. Lange her.

Es gibt eine grundsätzliche Schieflage im deutschen Theaterbetrieb

Patrick Wurzel, Betriebsdirektor der Oper Chemnitz, hat in einem zweiten Statement längst einen Fehler eingeräumt und sich aufrichtig entschuldigt. Er bekräftigt im Gespräch, dass er nicht zuletzt in Zeiten einer Black-Lives-Matter-Bewegung „anders und gründlicher hätte nachdenken müssen“.

Mit Sidonie Smith und Michael B. Sattler wurden unterdessen zwei schwarze Kollegen nachbesetzt, die Premiere von „Hair“ ist gerade ohne weitere Nebengeräusche über die Freilichtbühne gegangen. Alles gut also. Let the sunshine back in! Oder nicht?

Tatsächlich weist der Fall auf eine grundsätzliche Schieflage im deutschsprachigen Stadt- und Staatstheaterbetrieb, die im Schauspiel noch viel deutlicher zutage tritt als im Musicalgenre: Die Ensembles sind zu wenig divers besetzt.

Natürlich, es gibt Ausnahmen wie das Gorki-Theater, die Münchner Kammerspiele, das Bochumer Schauspielhaus. Aber das sind bunte Inseln in einer weißen Kulturwüstenei. Klar, nach zähen Blackfacingdebatten dürften die meisten Bühnen zumindest ein Bewusstsein für die absoluten No-Gos entwickelt haben. Mancherorts wurden sogar Diversitätsagentinnen eingestellt. Aber strukturell geändert hat sich wenig.

Ein paar nichtweiße Menschen als Alibi

Immer wieder fallen Schlaglichter auf den herrschenden Rassismus, wie im vergangenen Jahr, als die Diskriminierung der Schauspielerin Maya Alban-Zapata im Theater an der Parkaue öffentlich wurde. Aber dann senkt sich der Vorhang wieder. Und die subtileren Formen alltäglicher Herablassung bleiben unbeachtet.

Andreas Beck etwa, Intendant am Münchner Residenztheater, hat zum Thema Ensemblediversität in einer großen deutschen Tageszeitung unwidersprochen zu Protokoll gegeben: „Problematisch wird es, wenn man es zu gut meint. Das kann zu einer Form von Exotismus führen, die ich schwierig finde. Es müssen auf einer Bühne alle gleich gut sein und für eine bestimmte Qualität einstehen.“ Entlarvender geht es kaum.

Wenn man sich durch die Ensembles der deutschen Stadt- und Staatstheater klicke, sagt Lisa Jopt, erlebe man „ab und zu ein paar nichtweiße Menschen als Alibi.“ Jopt, Gründerin des Vereins ensemble netzwerk mit knapp 850 Mitgliedern, räumt auch ein, beim Thema Diversität selbst nicht frei von blinden Flecken zu sein.

Das Netzwerk hat sich gegründet, um für die Gleichstellung der Menschen in Ensembles zu streiten. Anfangs lag der Fokus auf dem Gender-Pay-Gap, inzwischen stehen auch die Themen Rassismus und Repräsentation auf der Agenda – nicht zuletzt, weil Jopt und ihre Co-Netzwerker in deutlichen Worten gespiegelt bekommen haben, dass ihr Vorstand entschieden zu weiß sei, um für die Gesamtheit der Ensembles zu sprechen.

Schon die Anmeldegebühren sind teuer

Die Beschwerde stammte von Nima Bazrafkan. Der Kölner Schauspieler, der seine Diplomarbeit zum Thema Diversität am Theater verfasst hat, nennt den Stadttheaterbetrieb „den konservativsten Kosmos, den ich kennengelernt habe. Hierarchische Strukturen, kaum Inklusion – die letzte Feudalgesellschaft“.

Bazrafkan hat sich spät für die Schauspielerei entschieden, mit 27, zuvor hat er ein Lehramtsstudium absolviert. Zwei Hochschulabschlüsse – nicht schlecht für jemanden, dem die Hauptschule empfohlen wurde. Wohl aus dem einzigen Grund, weil seine Eltern aus dem Iran stammen.

„Es heißt ja oft, dass sich nicht genügend Menschen mit Migrationsgeschichte oder People of Colour an Schauspielschulen bewerben“, so Bazrafkan. „Kann sein. Aber das hat Gründe.“ Er selbst zum Beispiel hätte nicht 1000 Euro aufbringen können, um die komplette Vorsprechtournee an 20 staatlichen Schulen zu absolvieren. „Und das sind ja nur die Anmeldegebühren, dafür, dass sie dich fünf Minuten angucken.“

Holger Zebu Kluth, Rektor der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, räumt ein, dass „wir unserer Aufgabe, für ein Theater auszubilden, das soziale Wirklichkeit auf die Bühne bringen soll, im Moment nur unzureichend nachkommen können.“

Aladin oder Flüchtling spielen

Unter den Bewerberinnen und Bewerbern macht er wenig Vielfalt aus. Was seiner Meinung nach auch an fehlenden Vorbildern liegen könnte: „Wenn eine junge schwarze Frau nur weiße Menschen auf der Bühne sieht, kommt sie im Zweifelsfall gar nicht auf die Idee: Ich könnte dort stehen.“

Konkrete Zahlen zur Diversität in seiner Hochschule kann Kluth nicht nennen – „weil die Kriterien zu deren Erfassung streng genommen natürlich schlimmst rassistisch sind“. Aber ja, er fragt sich auch „wie die Flure bunter werden könnten“.

Nima Bazrafkan hat an die Zeit an seiner Kunsthochschule sehr gemischte Erinnerungen. Zum Beispiel wurde ihm – als er eine wütende Rolle spielen sollte – von Dozierenden in die Haare gefasst. Um ihn zu triggern. Er hat eine „große, lockige Frisur, Vogelnest würde ich sagen“.

Und er hasst es, wenn weiße Menschen da einfach hineinlangen – wie es ungezählte Male geschehen ist. Bazrafkan erzählt noch von einer Kollegin, die dazu gedrängt wurde, ihre Dreadlocks abzuschneiden. Als sie mit kurzem Afro erschien, „wurde sie liebevoll Roberto Blanco genannt“.

Und das alles noch vor dem Einstieg in einen Beruf, der für nichtweiße Menschen sehr begrenzte Rollenangebote hat. In Bazrafkans Fall bevorzugt Geflüchtete. Oder Aladin.

Es herrscht eine Doppelmoral

Michelle Bray, Diversitätsagentin, hat die Erfahrung gemacht, dass gerade am Theater, wo sich alle für liberal und aufgeklärt halten, die Lernprozesse in Bezug auf Diskriminierung sehr langsam vonstattengehen. Wo man sich gern mit der Lektüre von Audre Lorde und James Baldwin schmückt und dabei denkt: „Klar gehören Schwarze Menschen dazu. Und natürlich können sie besser trommeln“, so Bray.

Sie spricht zusammen mit Melmun Bajarchuu für die Initiative für Solidarität am Theater (ISaT) – ein Netzwerk von marginalisierten Künstlerinnen und Künstlern, das empowert und Strategien für praktische wechselseitige Hilfe entwirft. Bajarchuu sagt, die wichtige Frage am Theater sei doch: „Wie können wir Geschichten erzählen, von denen sich mehr Menschen angesprochen fühlen?“

Wie die Barrieren abbauen? Für People of Colour, Menschen mit Behinderung, für die vielen, die von mehrfacher Diskriminierung betroffen sind. Die Autorin Olivia Wenzel hat dazu in ihrem Roman „1000 Serpentinen Angst“ ein starkes Bild gefunden: Ihre Protagonistin isst in New York auf der Straße eine Banane. Und realisiert, dass das in Deutschland so unbeschwert nie möglich wäre. Als Frau. Als Schwarze. Als Ostdeutsche.

Vielleicht muss man das Wort Rassismus neu definieren

„Es ist jetzt Zeit, dass weiße Menschen zuhören“, findet Dennis Weißert, der in „Hair“ den Berger spielt. Das will auch Patrick Wurzel, der Operndirektor in Chemnitz, beherzigen – mit einer Diskussionsveranstaltung, die der Stadtgesellschaft den Dialog anbieten soll: „Ich wünsche mir, dass etwas Positives aus der Sache erwächst.“

Sidonie Smith, der in der Produktion schließlich die Rolle der Dionne angeboten wurde, findet, man müsste vielleicht das Wort Rassismus neu definieren. Denn viele würden damit Hass und Mordabsichten verbinden, was sie von sich weisen könnten – worüber sie aber auch blind für die eigenen Vorurteile und Schubladen würden.

Natürlich hat sie überlegt, ob sie bei „Hair“ überhaupt mitwirken soll. Aber dann hat sie sich entschlossen: „Ich gehe nach Chemnitz, als Botschafterin.“ Wozu auch gehört, dass sie geduldig Fragen beantwortet, die sich eigentlich von selbst beantworten müssten: „Ist es unverschämt, wenn Leute einfach deine Haare anfassen?“ Ja, sagt Sidonie Smith dann.

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