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Lili Epply als Abigail und Marc Oliver Schulze als John Proctor vor dem Gerichtssaal. Foto: Imago

© Martin Müller/Imago

„Hexenjagd“ am Berliner Ensemble: Wahnsinn und Form

Auf engstem Raum und in der Dunkelheit: Arthur Millers „Hexenjagd“ versteckt sich am Berliner Ensemble.

Ein aktuelles Stück? Das kann man so sagen. Der Bogen spannt sich von den 1950er Jahren, als in den USA die „Kommunisten“ verfolgt und Liberale denunziert wurden, bis zu den bigotten Trumpisten heute; auch Bertolt Brecht musste vor dem „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ aussagen.

Arthur Miller orientierte sich bei „Hexenjagd“ an einer wahren Geschichte. 1692 grassierte in New England ein Hexenwahn, fanatische Puritaner richteten zwanzig Männer und Frauen hin, die sich, so lautete die Anklage, dem Teufel verschrieben hatten. Fake News, mörderische Hysterie, Verschwörungstheorien: Miller zeigt, auf welchem Untergrund die amerikanische Demokratie steht. Der Irrsinn bricht immer wieder auf.

Große Teile der Story spielen in einen Hinterraum

Am Berliner Ensemble schafft die Regisseurin Mateja Koležnik von Beginn an klare Verhältnisse. Die jungen Frauen, die vermeintlichen Teufelsanbeterinnen, tragen faschistoide Uniform mit Armbinde und Kurzhaarfrisur. Auch die Männer in ihren dunklen Anzügen wirken uniformiert bis in die Haarspitzen. Der gleiche verhuschte Gestus, bleiche Gesichter, steife Körper, eine Zombiegesellschaft.

Unter diesen Bedingungen (Kostüme: Anna Savić-Gecan, Bühne: Raimund Orfeo Voigt) wird niemand seines Lebens froh. Keine Seele kommt heil heraus. Alles ist vorherbestimmt und in Dunkelheit getaucht. Der Fall ist allzu klar. Alle kommen frisch aus der Gehirnwäsche. Die Atmosphäre erstickt das Stück.

Mateja Koležnik hat eine Idee, die auf den ersten Blick bestechend wirkt, sich aber als fatal erweist. Sie verlegt große Teile der Story in einen hinteren Raum, halb Turnhalle, halb Gerichtssaal – für das Publikum kaum einsehbar. Und sie lässt die über Leben und Tod entscheidenden Szenen vorn spielen, im Flur. Dort herrscht großes Gedränge und Geschiebe, und wenn das immer noch nicht genug Versteckspiel ist, verschwinden einzelne Akteure hinter der Säule.

Soll heißen: In dieser Gesellschaft gibt es keine offene Aussprache, nur Gemauschel und Heimlichtuerei. Nur gelegentlich demonstrieren die jungen Frauen in Tanztheatereinlagen ihren Freiheitsdrang, blitzt Lebensenergie auf.

[Vorstellungen wieder am 10., 24., 25. Oktober und 12. November]

Es fällt schwer, dieses offensichtliche Arrangement ernst zu nehmen, geschweige denn sich zu fürchten vor Mr. Hale, dem Priester (Gerrit Jansen), vor Richter Hathorne (Veit Schubert) oder den stellvertretenden Gouverneur (Ingo Hülsmann), der wortreich und am Ende fast verzweifelt seine Autorität durchsetzt. Erst als der zum Tode verurteilte John Proctor (Marc Oliver Schulze) und seine hochschwangere Frau Elisabeth (Bettina Hoppe) einander zur letzten Aussprache im Gefängnis gegenüber stehen (und, ja: wirklich stehen, es gibt kaum Bewegung selbst in Todesnähe), wird der Ton schärfer, klarer.

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Bis dahin eilen die Schauspielerinnen und Schauspieler durch Arthur Millers Dialoge – sie können sich auf engstem Raum nicht entfalten. Corinna Kirchhoff und Judith Engel sind kaum zu sehen, durchqueren nur ein paar Mal den Raum, auf vielsagende Weise.

„Hexenjagd“ ist ein klassisches amerikanisches Gerichtsdrama, und dieses Filmische fasziniert auch die Regisseurin, wie sie im Programmheft sagt. Ihr schwebt ein „Political Thriller“ vor in der Art von „David Fincher trifft Ingmar Bergman“. Geht es nicht ein paar Nummern kleiner? Und warum will sich das Theater so oft nach dem Kino strecken? In dieser Konkurrenz, als Inspiration schlecht getarnt, kann es nur verlieren.

„Ich hasse den theatralen Ton, den große Räume erzeugen“, sagt Mateja Koležnik. Dafür hat sie ein Kammerspielchen bekommen. Honey, ich habe die Hexen geschrumpft ...

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