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Kultur: "Herr Roloff, Sie müssen das Schiller-Theater schließen"

Von den eigenen Leuten im Stich gelassen, wurde er über Nacht zum bestgehaßten Mann der Stadt: Der ehemalige Kultursenator erinnert sich an die dunkelsten Stunden seiner politischen LaufbahnVON ULRICH ROLOFF-MOMINWir beginnen den Abdruck aus dem Buch "Zuletzt: Kultur" von Ulrich Roloff-Momin mit seinen Erinnerungen an die Nacht vom 22.Juni 1993, in der die Schließung des Schiller-Theaters beschlossen wurde.

Von den eigenen Leuten im Stich gelassen, wurde er über Nacht zum bestgehaßten Mann der Stadt: Der ehemalige Kultursenator erinnert sich an die dunkelsten Stunden seiner politischen LaufbahnVON ULRICH ROLOFF-MOMINWir beginnen den Abdruck aus dem Buch "Zuletzt: Kultur" von Ulrich Roloff-Momin mit seinen Erinnerungen an die Nacht vom 22.Juni 1993, in der die Schließung des Schiller-Theaters beschlossen wurde. Am Ende der Debatte waren die einzusparenden Millionen nicht zusammengekommen.(...) Dann beantragte die CDU eine Auszeit, um intern weiterzuberaten.Diese Auszeit dauerte anderthalb Stunden.Je länger die Unterbrechung dauerte, desto stärker ahnte ich, daß auch in Sachen Kultur etwas ausgekocht wurde.Politischer Poker hat Spielregeln.Gibt die eine Seite nach, muß auch die andere bluten.Als die Klausur fortgesetzt wurde - es war fast Mitternacht -, quälte mich ein ungutes Gefühl.Pieroth begann: "Jetzt müssen wir noch einmal über die Kultur reden." Nun geht es rund, schoß es mir durch den Kopf.Der Finanzsenator schaute mich fest an und sagte quer über den Tisch: "Herr Roloff, Sie müssen das Schiller-Theater schließen." Damit waren auch das Schloßparktheater und die Schiller-Theater-Werkstatt gemeint.Diepgen hakte nach, rechnete mir die wenigen Einnahmen pro Vorstellung vor und traf damit den wunden Punkt.Der jahrzehntelange künstlerische Niedergang der Bühne war nicht mehr zu übersehen.In den regionalen, aber auch in den überregionalen Feuilletons war nach verunglückten Premieren schon mehr als einmal zu lesen gewesen, dieses Theater müsse geschlossen werden, daraus könne nichts mehr werden.Die Besucher konnte man bei vielen Vorstellungen an zwei Händen abzählen.Ich reagierte fassungslos.Ausgerechnet ein West-Theater sollte geschlossen werden! Und das als Forderung einer Partei, die sich immer offener als West-Partei gerierte! Das hatte ich nicht erwartet.Eine Debatte über Alternativen entspann sich.Der damalige Bundessenator Peter Radunski schlug vor, das Maxim Gorki Theater zu schließen.Andere von der CDU wollten die Volksbühne abwickeln.Der ehemalige Kultursenator Hassemer schwieg.Eine Abwicklung im Osten kam für mich unter keinen Umständen in Frage.Im Einigungsvertrag hatte sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, die kulturellen Institutionen des Ostens zu erhalten.Alle Ost-Berliner Bühnen waren vitaler als das Schiller-Theater, das Deutsche Theater boomte, die Volksbühne machte gerade unter Castorf Furore.Gegen die Schließung von Ost-Häusern wandten sich auch Thomas Krüger und Christine Bergmann.Ich mußte mir insgeheim eingestehen, daß die Befürworter der Schließung den einzigen Invaliden im Berliner Theaterleben getroffen hatten: Das Schiller-Theater war nach dem Abgang von Boleslav Barlog jahrzehntelang künstlerisch immer weiter heruntergekommen und befand sich buchstäblich auf dem Hund.Ich überlegte fieberhaft, wie ich die Schließung abwenden sollte.Die SPD stünde niemals hinter mir, wenn es darum ginge, Kürzungen überhaupt abzuschmettern.Der Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt und andere hatten mir mehr als einmal ins Gewissen geredet: "Ulrich, in der Kultur muß etwas passieren." Ich ließ mich nicht überzeugen.Schließlich lenkte Pieroth ein: "Gut, also dann lassen wir das.Sie bekommen noch 20 Millionen Mark pauschale Minderausgaben drauf." Ich atmete tief durch und versuchte zu ergründen, ob Pieroth die Schließung des Schiller-Theaters wirklich ernsthaft erwogen oder nur die Schließung eines Ost-Theaters hatte provozieren wollen.Da schlug Bausenator Wolfgang Nagel auf den Tisch und fauchte Pieroth an: "Was sind Sie eigentlich für ein Finanzsenator, wenn Sie sich so über den Tisch ziehen lassen?" Ich traute meinen Ohren nicht.Die eigenen Leute fielen mir in den Rücken? Die SPD beantragte eine Auszeit.Wir saßen in einem Nebenraum, und die Genossen verlangten von mir die Schließung.Niemand scherte sich um den sozialdemokratischen Wert Solidarität.In diesem Moment dämmerte es mir, daß die SPD ohne Momper - ihn hatte man unterdessen aus dem Amt des Landesvorsitzenden geekelt - nicht mehr einen Kultursenator wollte, der den Bestand der Kultur verteidigte.(...) Innerhalb weniger Tage avancierte ich zum bestgehaßten Mann dieser Stadt, zumindest im Westen.Tröstender Zuspruch war spärlich und wurde nur hinter verschlossenen Türen erteilt.Es gab einige Theatermacher, einige Journalisten und auch Senatskollegen, die mich bestärkten und mir rieten, unbedingt durchzuhalten.Sogar der Kollege Innensenator, mit dem ich mich sonst stets kabbelte, rief an und sagte: "Ich spreche Ihnen meine Hochachtung aus, wie Sie das durchstehen." Bei einer Sitzung der SPD wurde sogar einmal spontan und laut geklatscht, als ich den Sitzungssaal betrat.Mein Vorvorgänger Volker Hassemer, der ja seinerzeit die glücklose "Viererbande" installiert und damit einen Sargnagel in das Schiller-Theater gerammt hatte, hielt sich aus der gesamten Diskussion heraus.Keinen Mucks gab er im Senat zu Protokoll - privat übrigens auch nicht - und war wohl froh, daß er kein Fett abbekam.Niemand sonst aus dem Senat fand den Mut, die Entscheidung in der Öffentlichkeit zu verteidigen.Diepgen selbst hielt es nicht für nötig, öffentlich Stellung zu beziehen, er schickte den Senatssprecher vor.Zweimal rief er mich an.Einmal vor meinem Urlaub, um nach meinem Befinden zu fragen, einmal im Urlaub, um mich nach Berlin zurückzubeordern, was ich ablehnte, woraufhin er mir ankündigte, daß ich dafür Kritik ernten würde.Ich erwiderte: "Dagegen werden Sie mich auch nicht in Schutz nehmen." Damit war für ihn die Angelegenheit zwischen uns erledigt. Aufbau-Verlag: Roloff-Momin: "Zuletzt: Kultur".247 Seiten, 39,90 Mark.Das Buch erscheint am 23.Oktober 1997.

ULRICH ROLOFF-MOMIN

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