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Aura. Herbert Blomstedt mit der Sächsischen Staatskapelle.

© Matthias Creutziger/dpa

Herbert Blomstedt zum 90.: Weltweiser Charismatiker

Zu Herbert Blomstedts 90. Geburtstag erscheint ein feiner Gesprächsband mit dem schwedischen Dirigenten.

Im Mai im Konzerthaus am Gendarmenmarkt: Herbert Blomstedt dirigiert die Wiener Philharmoniker, Bruckners 4. Symphonie. Wie er da kerzengerade am Pult steht, ohne Mätzchen, ohne druckvolle Gesten, und allein mit seiner – soll man sagen: Aura? – Musiker wie Publikum in seinen Bann schlägt, wie alle Kraft von ihm auszugehen scheint – da hat er etwas von einem Buddha. Einem sehr schlanken, sehr skandinavischen Propheten. Dort, in Schweden, ist Herbert Blomstedt zwar nicht geboren, sondern in den USA. Aber dort wuchs er auf, seine schwedischen Eltern, Adventisten wie er, zogen mit ihm nach Nyhyttan in der Provinz Örebro, als er zwei war. An diesem Dienstag feiert der große, von so vielen Orchestern und der Musikwelt geliebte und geschätzte Dirigent seinen 90. Geburtstag.

Das Charisma von Herbert Blomstedt lässt sich schwer in Worte fassen. Vielleicht so: Er ist ein Mensch, der sich voll und ganz im Gravitationsschwerpunkt seines Lebens befindet, wenn er sich mit Musik beschäftigt – und das auch vermittelt und weitergibt, als Dirigent und Gesprächspartner, in wunderbaren, luziden Sätzen: „Jeder Mensch hat einen Instinkt dafür, ob etwas echt ist oder vorgetäuscht. Aber ich glaube, Musiker sind durch ihr Training besonders empfindlich in dieser Hinsicht. Das macht sie nicht zu besseren Menschen, aber sie registrieren mehr.“

Er dirigiert lieber mit bloßen Händen als mit dem Taktstock

Viele solcher Einsichten und Erkenntnisse findet man in dem Buch „Herbert Blomstedt: Mission Musik“ (Henschel Bärenreiter, 183 S., 24,95 €). Die ehemalige „FAZ“-Musikredakteurin Julia Spinola ist ihm monatelang nachgereist, hat jede Minute in Dirigentenzimmern, Hotellobbys, Proberäumen, Limousinen, in Blomstedts Wohnung in Luzern und seinem Sommersitz im schwedischen Bengtstorp genutzt, um sich mit ihm zu unterhalten: über seine Herkunft und Karriere, das Ethos des Dirigenten, seine Religiosität, die Bedeutung des Metronoms bei Beethoven, warum er nicht gern Oper und lieber mit bloßen Händen dirigiert, wie er spät zu Strauss und Mahler gefunden hat – und die alles überragende Bedeutung von Bach.

Einfühlsame, blitzgescheite Konversationen sind das, Spinola zeigt sich als Meisterin des fundierten, kritischen Fragens, Blomstedt als weltweiser, gleichwohl bescheidener Lehrmeister, dessen Antworten immer präzise und musikalisch begründet sind.

Die beiden großen sächsischen Orchester wurden von Blomstedt geprägt

Ausgebildet an der Königlichen Musikhochschule Stockholm und der Universität Uppsala, waren es vor allem die beiden großen sächsischen Orchester, die Herbert Blomstedt geprägt hat. 1969 dirigierte er erstmals die Dresdner Staatskapelle, und eindrücklich schildert er im Buch die bedrückende Atmosphäre bei der Ankunft in der DDR: „Der Bahnhof in Dresden schien mir völlig verkommen, alles war kaputt, die Gleise überwuchert von Gras, geschwärzt von Ruß. Und mitten in diesem düsteren Szenario tauchte ein sehr freundlicher Mann auf. Es war Orchesterdirektor Dieter Uhrig, der mich persönlich abholte und zu diesem wunderbaren Orchester brachte.“

Gerade weil sie in einer Diktatur spielte, mit einer stets misstrauisch aus Ost-Berlin herüberäugenden Nomenklatura, war die Kapelle „geballte Energie, ein Kernkraftwerk“ (Blomstedt), von „tollkühner Professionalität“ (Spinola). Erst sechs Jahre später, aber dann für zehn Jahre, von 1975 bis 1985, wurde Blomstedt ihr Chefdirigent. Als er 1998 (bis 2005) die gleiche Position beim Leipziger Gewandhaus übernahm, war die Diktatur schon Geschichte. Dazwischen lagen zehn Jahre am anderen Ende der Welt, beim San Francisco Orchestra.

Kein Fleisch, keine Zigaretten, kein Alkohol

Heute, mit 90 Jahren, gibt Herbert Blomstedt immer noch rund 80 Konzerte im Jahr mit fast allen großen Spitzenorchestern, selbstverständlich auch den Berliner Philharmonikern wie im Januar 2017. Rund 150 CDs hat er eingespielt und gerade erst mit dem Gewandhausorchester – das er ab 28. September in acht Konzerten dirigieren wird – die Beethoven-Symphonien neu vorgelegt. Er isst kein Fleisch, raucht nicht, trinkt nicht, und der Gedanke liegt nahe, dass auch das mit seiner außergewöhnlichen Fitness bis ins hohe, höchste Alter zu tun hat. Und was er über Bach sagt („Er hat Gott in einer anderen Weise gekannt als die meisten Menschen. Es läge mir fern zu behaupten, er sei Gott ebenbürtig gewesen. Aber ich glaube, er stand Gott näher, weil er so ein großer Künstler war“), das möchte man ein klein wenig auch auf ihn selbst beziehen. Zumindest an seinem Geburtstag.

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