zum Hauptinhalt
Entwaffnend: Henry Hübchen.

© dpa

Henry Hübchen zum 65. Geburtstag: Der Gott des Gemuffels

Dem Schauspieler Henry Hübchen zum 65. Geburtstag. In seiner Altersklasse, aber auch darüber und darunter, gibt es in diesem Land kaum einen großartigeren Schauspieler.

Zwischen Melancholie und schlechter Laune liegt ein schmaler Grat. Darauf bewegt sich einer virtuos, den man mal den Marcello Mastroianni vom Prenzlauer Berg genannt hat. Solche Dinger machen ihn aber auch sofort wieder mufflig – wobei seine Muffeltour zugleich etwas Amüsiertes, Genießerisches hat. Er will eigentlich nur in Ruhe gelassen sein. Aber dafür ist er zu neugierig, zu witzig.

Sehr gut hat er zweifellos schon immer ausgesehen, zu gut für bestimmte Rollen am Theater, wie gelegentlich verbreitet wurde. Auch das ist mehr eine Legende und schön ausgedacht, als dass es der Wahrheit entspricht. Und die Wahrheit über Henry Hübchen ist: In seiner Altersklasse, aber auch darüber und darunter, gibt es in diesem Lande kaum einen großartigeren Schauspieler. Ein anarchistischer, egoistischer Widerspruchsgeist steckt in seiner Art, frontal von hinten herum zu kommen, entnervt das Gegenüber zu entwaffnen. Der volle Osten, alter proletarischer Adel, immer bei sich – und jede Menge Rock ’n’ Roll. Er hat es einfach, und er hat viel davon. Von jenem Geheimnis, das man Präsenz nennt.

Am Montag feiert Hübchen seinen 65. Geburtstag. Er ist Berliner, geboren 1947 in Charlottenburg. Die Eltern gingen damals in die andere Richtung, glaubten an den Sozialismus. Henry Hübchen war in Fernseh- und Spielfilmen der DDR ein Gesicht, das man sich merkte; ein Zarter, Sensibler. Als er auf Frank Castorf traf, muss irgendeine chemische Reaktion dazu geführt haben, dass Hübchen ruppiger wurde. Noch bevor Castorf die Volksbühne übernahm, schon kurz vor der Wende, war Hübchen der Offensivspieler dieses Regisseurs. Einen Schönheitswettbewerb mit seinem alten Freund Frank würde Henry locker gewinnen. Die Preisfrage, wer von den beiden die – offensichtlich produktive – schlechtere Laune produzieren konnte, damals, in der großen Zeit am Rosa-Luxemburg-Platz, lässt sich nicht so leicht beantworten. Da hat auch Castorf Chancen – der sogar einmal für Hübchen eingesprungen ist, als der sich vor der Premiere eines Revolutionsstücks verletzt hatte. Ob Schillers „Räuber“ oder die mit Heiner-Müller-Texten aufgemotzte Boulevardklamotte „Pension Schöller“: Das Volksbühnen-Ensemble spielte volles körperliches Risiko, und Hübchen war in dieser Ost-West-Truppe der wildeste Vorturner. Er legte sich mit Zuschauern an und auch mit sich selbst: Wie jeder erstklassige Komiker kämpft er mit der Tücke des Subjekts. Mit den Objekten sowieso.

Die Theaterzeiten, leider, sind vorbei. Obwohl nicht einzusehen ist, warum es keine gesetzteren Rollen für Hübchen geben soll, falls es ihm darauf ankommt. Aber nun hat er sich, weil es irgendwie bequemer ist und auch besser bezahlt, für die Kamera entschieden. War TV-Kommissar in Mecklenburg-Vorpommern und Triest und hat mit Dany Levis „Alles auf Zucker“ den Deutschen Filmpreis gewonnen. Andreas Dresens „Whisky mit Wodka“ war kein so ganz gelungener Film, aber Henry Hübchen und seine Schauspielerkollegen haben da manche schöne Geschichte und Wahrheit aus ihrem Beruf erzählt. Von wegen schlechter Laune und Melancholie: Vielleicht geht es im Grunde um die Diskrepanz zwischen Mensch und Rolle, um die Vorstellung, die man von sich selber hat, und die Vorstellung, die andere von einem haben wollen: Regisseure, Zuschauer, Kritiker. Früher war Henry Hübchen auch Popmusiker und Windsurfer; DDR-Meister im Brettsegeln. Auf schmalem Grat große Welle machen, das passt.

Morgen wird Commissario Enrico also 65, man glaubt es nicht! Es sagt viel über das Älterwerden unserer Gesellschaft, wenn Rentner jetzt so aussehen wie Henry Hübchen. Die wilden Jahre sind vorbei, man kann sich entspannen. Aber bitte nicht zu sehr.

Zur Startseite