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Mode als Ausdruck des Zeitgeists. Der französische Modedesigner Yves Saint Laurent, fotografiert von Alice Springs 1978 in Paris.

© Alice Springs/Helmut Newton Stiftung

Helmut Newton Stiftung: Militante Blicke

Modefotografie: Die Schau „Between Art & Fashion“ in der Helmut Newton Stiftung zeigt die Kunstsammlung von Carla Sozzani, der ehemaligen Chefredakteurin der italienischen Elle und Vogue.

Hier ein Vorschlag für ein sommerliches Trinkspiel. Sie schmuggeln eine Flasche ihrer Wahl in die neue Ausstellung der Helmut Newton Stiftung. Jeder Teilnehmer nennt reihum einen bedeutenden Fotografen des 20. Jahrhunderts. Ist er vertreten, muss man trinken. August Sander? Sicher doch. Alfred Stieglitz? Ich bitte Sie. Dann vielleicht etwas für Insider, der anarchische Japaner Daidt Moriyama? Auch dabei. Kurzum: sie werden die Ausstellung sehr beschwingt verlassen.

Unter dem Titel „Between Art & Fashion“ präsentiert die Helmut Newton Stiftung mehr als 200 Fotografien aus der Sammlung der ehemaligen Chefredakteurin der italienischen Elle und Vogue, Carla Sozzani, die seit den Neunzigern in ihrer Mailänder Galerie Fotos ausstellt. Und ja, sehr, sehr viele der großen Namen sind dabei. Und so kann man sich gegen den Strom der Zeit – die Bilder sind nicht chronologisch geordnet, dafür aber im Petersburger Stil gehängt – durch die Fotografie-Geschichte schauen, Verbindungen herstellen, Ähnlichkeiten sehen.

Der Glamour des Straßenlebens und die Revolten der Sechziger

Neben einer Liebe zu den Zwanzigern – es gibt genauso Karl Blossfeldts Pflanzenornamente der Neuen Sachlichkeit zu sehen wie Fotocollagen des Bauhaus-Künstlers László Moholy-Nagy –, scheint es vor allem die Nachkriegszeit zu sein, die Sozzani als Sammlerin fasziniert. Und zwar genauso der Glamour wie das Straßenleben und die Revolten der Sechziger. Und so blickt man beim Betreten des Ostflügels gleich in das zerfurchte und verstörte Gesicht jenes Mannes mit Halstuch, den Don McCullin 1968 fotografierte und den manch eine Fotointeressierte vom Cover von Susan Sontags „On Photography“ kennen mag. Zwischendurch gibt es aber auch immer mal wieder ein paar Albernheiten wie Helmut Newtons Selfie vor Gustave Courbets „Der Ursprung der Welt“ oder Bruce Webers Labrador-Quintett, dessen Mitglieder anstelle eines Halsbands eine Rolleiflex-Kamera tragen.

Carla Sozzani mag kontrastreiche Schwarz-Weiß-Fotos – vor allem Porträts –, die sich dem Betrachter unmittelbar als gefällig präsentieren. Solch ein Ansinnen ist für die Chefredakteurin eines Modemagazins sicher nicht verwunderlich. Daneben gibt es aber auch Bilder, in die man sich versenken kann, weil sie Geschichten erzählen. Etwa die Aufnahmen einer Pariser Stripteasetänzerin von Frank Horvat. Er, der Fotograf, sitzt neben ihr im Ankleideraum und fotografiert sie über den Schminkspiegel. Sein Gesicht ist hinter der Kamera verborgen, da, wo sein Auge wäre, sieht man nur den Sucher seiner Kamera. Sie dagegen ist nackt und blick direkt in das Objektiv, das er in seiner beringten Hand hält. Man sieht der Haltung ihres Körpers an, dass er die Schutzlosigkeit des Nacktseins längst überwunden hat. Ihr Gesicht jedoch ist eingefroren, ja, eingepanzert und man weiß nicht, ob in den Winkeln ihres Mundes Ekel oder Trauer liegt. Die Mechanismen des Voyeurismus, die Folgen des begehrenden Blickes, sie sind hier eingefangen.

Wie definiert sich Modefotografie überhaupt?

In der Weite der Westseite sind dann vor allem im engeren Sinne Modefotografien zu sehen. Und während man die Räume betritt, fragt man sich nochmal kurz, worin denn eigentlich das Modische der Modefotografie besteht. Ist nicht im Grunde jede Aufnahme eines Menschen, der nicht nackt ist, ein Foto von Mode, von Kleidung? Und wie wichtig sind überhaupt die Models, wenn es um ihre Kleider geht? Vielleicht, ja, vielleicht, fängt große Modefotografie einfach die Moden ihrer Zeit ein – den Zeitgeist? Das konnte man vor kurzem in der Irving-Penn-Schau studieren. Und selbst das oberflächenverliebte Potenz-Gebaren eines Mario Testino, der Körper wie Parfümflakons inszeniert, wäre dann einfach ein Zeugnis vom schamlosen Selbstoptimierungswahn, der in den Nullerjahren begann. So gesehen wäre selbst ein Aktfoto ein Modefoto, weil es von den Körperidealen seiner Zeit erzählt.

Die stimmigsten Bilder stammen von Sarah Moon

Zur Einstimmung gibt es jedenfalls erst mal Bilder von Paolo Roversi, dessen verträumte Porträts stets wirken, als sei seine Kamera gerade aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Und natürlich die obligatorischen Helmut-Newton-Frauen, bei denen man nie so recht weiß, ob die Militanz ihrer Blicke einfach in ihrem überbordenden Selbstbewusstsein wurzelt oder ihrem Wunsch, dem Betrachter in die Fresse zu schlagen.

Die stimmigsten Bilder stammen indes von Sarah Moon und wurden für den Avantgardisten Yohji Yamamoto aufgenommen. Der japanische Altmeister, der die Models in den Achtzigern von den High Heels holte, das Wort „Fashion“ hasst und sich selbst als Schneider bezeichnet, liebt fließend schwarze Silhouetten, die den Körper schützen statt ihn auszustellen. Ihn fasziniert die Geschichte von Stoffen und er kann sich mühelos in den Hemdkragen auf einem August-Sander-Porträt vergucken. Sarah Moon hat die Essenz Yamamotos eingefangen. Ihre unscharfen Fotos, die mit ihren flächigen Farben an Gerhard Richters Foto-Bilder erinnern, zeigen eine Frau von hinten, die sich von der Kamera weg bewegt und ihre Kleider so zum Schwingen bringt, dass sie durch die Unschärfe zur reinen Form abstrahiert werden. Es wirkt zugleich wie ein verschwommenes Erinnerungsbild und die Initiation, in die Vergangenheit aufzubrechen, die Yamamoto so inspiriert. Und so wünscht man jener Pariserin, die Frank Horvat einst vor dem Spiegel fotografierte, einen zweiten Panzer – von Yohji Yamamoto.

Helmut Newton Stiftung, Jebensstr. 2, bis 18.11.; Di-So, 11 bis 19 Uhr, Do bis 20 Uhr. Katalog 95€.

Jonas Lages

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