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Helene Fischer auf der Bühne.

© dpa

Helene Fischer: "Farbenspiel"-Tour in Berlin: Atemlose Superlative

Angefangen hat sie als Schlagersängerin, doch mit dem Erfolg ihres Songs "Atemlos" stieg Helene Fischer zu Deutschlands größtem Popstar auf. Mit drei ausverkauften Konzerten beendet sie jetzt ihre „Farbenspiel“-Tournee in Berlin. Der Auftakt war phänomenal.

Der Überhit, er kommt nach fast drei Stunden als Zugabe. Auf einem Plexiglas-Barhocker sitzend, ein glitzernd gelbes „I Herz Berlin“-T-Shirt tragend, beginnt Helene Fischer ihr Lied „Atemlos durch die Nacht“ als akustische Ballade. Für einen Moment ist beinahe etwas wie echtes Gefühl zu spüren, als die Sängerin die Komponistin ihres bekanntesten Stücks, Kristina Bach, grüßt. „Es hat mein Leben verändert“, jubelt Fischer. Vor einem Jahr erschien ihr Album „Farbenspiel“ und kurz darauf die Single. Danach war Fischer nicht länger bloß eine Schlagersängerin. Sondern ein Popstar. Derzeit Deutschlands größter.

Das „Farbenspiel“-Spektakel, das seit Ende September durch die Arenen des Landes rollt und mit drei ausverkauften Konzerten in der Berliner O2 World zu Ende geht, zeigt auch, wie sehr Fischer gefangen ist in einem System, das im Wesentlichen auf Profitmaximierung ausgelegt ist. Im Dokumentarfilm „Allein im Licht“ erzählt Fischer, wie sie ihren Traum vom Musicalstar für den Erfolg im Schlagergeschäft aufgeben musste. Geheult habe sie.

Aber die Russlanddeutsche, die vor 30 Jahren im sibirischen Krasnojarsk auf die Welt kam, hat sich durchgebissen. Hat den „Musikantenstadl“ überlebt und alle weiteren Höllenkreise der Volksmusik. Irgendwann durfte Fischer mehr von ihrem Können zeigen, von ihrer artistischen Begabung und ihrer intonationssicheren Stimme. 2013 moderierte sie den „Echo“ und bescherte der Fernsehübertragung eine Rekordquote. Ernst genommen wurde Fischer außerhalb des Schlagergeschäfts erst einmal nicht. Das Feuilleton ignorierte sie lange.

"Das ist unser Tag"

Ganz allein erscheint die Sängerin, in dramatisches Scheinwerferlicht getaucht, auf der riesigen Bühne. Der herzförmige Laufsteg umfriedet ein kleines Areal, in dem 250, ganz in Weiß gekleidete Fans stehen. Sie haben spezielle Karten erworben und sind für Fischer vielleicht das, was Lady Gaga ihre „Little Monsters“ nennt. „Das ist unser Tag“, singt Fischer und nach wenigen Sekunden springen 12 000 Zuhörer von ihren Sitzen auf und folgen dem Kommando: „Und wir stehen alle auf und und tanzen und singen“. Dann fällt der Vorhang und gibt den Blick frei auf eine große, gut geölt spielende Band: Zwei Schlagzeuger, zwei Gitarristen, ein Bass, drei Bläser, drei Backgroundstimmen, die vor einem Bühnenbild agieren, das wie eine Mischung aus gestrandetem Segelschiffwrack und einer „Game Of Thrones“-Fantasylandschaft aussieht.

„Fehlerfrei“, ein Hits aus dem Album „Farbenspiel“, wird durch einen technoiden Break inklusive Rap-Einlage verfremdet. Als die Band den Daft-Punk-Hit „Get Lucky“ zitiert, scheint für ein paar Sekunden das Wunder möglich: die Verschmelzung von Schlager und Disco. Tänzer kommen hinzu und ein weibliches Streichquartett, die Atmosphäre schwenkt zum Musical à la „König der Löwen“. So erweist sich dieser Auftritt eher als Nummernrevue denn als wirkliches Konzert, was auf Dauer ermüdend inkohärent wirkt.

Am Ende siegt die Liebe

Tanzeinlagen verkleideter Tänzer erscheinen wie mäßiger Mummenschanz, der auf der Bühne des Friedrichstadtpalastes keine Chance hätte. Nach einer halben Stunde wendet sich Fischer zum ersten Mal direkt ans Publikum und beteuert wie sehr sie sich freue, was für ein schöner Abend das werde und dass sie sich sehr, sehr bedanke. Hölzern sind ihre Moderationen. Fischer will Emotionen herbeireden, die eigentlich ihre Lieder transportieren müssten. Die vier Jahreszeiten sollen als dramaturgische Klammer des Abends dienen, denn, so Fischer, „die Natur bietet doch die schönsten Farbenspiele“. Das schlichte Konzept scheitert.

In den Texten geht es oft um schwierige Beziehungen, das Scheitern einer Liebe oder das Ausbrechen aus Konventionen (was bereits mit einer zerrissenen Jeans gelingen kann). Frauen sind in diesen Liedern meist Opfer, sie müssen viel erdulden. Da wird eine „Sie“ mal wieder von ihrem Mann betrogen, aber entweder lässt sie ihn leidend gewähren, weil ihr eigentlich klar ist, wie eingeschlafen die Beziehung ist, oder sie weiß, er kommt ohnehin zurück. Oft beginnen die Lieder in Moll und kippen dann ins strahlende Dur. Denn am Ende siegt die Liebe.

Helene Fischer liefert

Den zweiten Teil des Abends eröffnet Helene Fischer mit einem Medley aus Rockhits der Achtziger, von Joan Jetts „I Love Rock And Roll“ bis „Purple Rain“ von Prince. Dazu trägt sie, es ist der sechste oder siebte Kostümwechsel, ein T-Shirt der Hardrockband Kiss. Das Ganze wirkt wie eine solider Casting-Show-Act. Und dann gibt es ihn tatsächlich, einen Moment der Irritation, als die perfekt abgestimmte Maschinerie der Helene-Fischer-Revue ins Stocken gerät. Als die Sängerin ihre Version der Lucio-Dalla-Schnulze „Caruso“ beendet hat, ist eine Begegnung mit einem auserwählten Teil des Publikums vorgesehen. An der Bühnenkante werden Fischer Blumen, Grußkarten, Badeschaum und sonstige Geschenke überreicht. Ein emotionaler Moment, der sich auf der Live-DVD, deren Erscheinen für Anfang Dezember geplant ist, sicherlich gut machen wird.

Doch das Defilee der Fans dauert vielen Besuchern in der ausverkauften Halle zu lange. Laute Unmutsrufe und Pfiffe stören die Harmonie der Szene. Die Künstlerin wirkt irritiert. Sie muss liefern. Keine andere deutsche Musikerin war in den vergangenen anderthalb Jahren derart omnipräsent. Woche für Woche stand ihr Album in den Top Ten der Charts. Zahlreiche Fernsehshows zeigten Fischer als perfekte, hart arbeitende Performerin. Als dann noch im Sommer während des Fußball-WM-Wunders Spieler wie Bastian Schweinsteiger und Mats Hummels bekannten, dass sie zur Motivation Fischers Song „Atemlos“ in der Kabine hörten, schien sie endgültig zum nationalen Kulturgut aufgestiegen zu sein.

Und Helene Fischer liefert. Bedankt sich zweimal zu oft und versichert, wie viel Spaß sie hat. Was man ihr nicht unbedingt glauben mag, dafür wirkt sie am Ende dieser langen Tournee zu erschöpft. Noch einmal schließt sich der Vorhang, und als er sich wieder öffnet, liegt auf der Bühne ein riesiger Vogel. Fischer erklimmt ihn, schwebt auf ihm über dem Publikum, singt „My Heart Will Go On“ von Celine Dion. Wischt sich links und rechts ein Tränchen aus den Augenwinkeln. Es ist der kitschige Höhepunkt der Show, ein Vorgeschmack auf künftige Superlative. Dann bespielt Helene Fischer die großen Arenen des Landes. Das Konzert am 4. Juli im Berliner Olympiastadion ist bereits ausverkauft.

Andreas Müller

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