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Wie zetteln wir den Aufstand der Sklaven an? Till Wonka als Debuisson, Aram Tafreshian als Galloudec und Falilou Seck als Sasportas.

© imago/DRAMA-Berlin.de

Heiner Müllers "Auftrag" am Maxim Gorki Theater: Das Ende vom Lied

Revolution, schockgefrostet: Mirko Borscht inszeniert Heiner Müllers „Auftrag“ am Maxim Gorki Theater. Eigene Akzente fehlen weitesgehend.

Die Revolutionäre kommen aus der Kühlkammer. Ihr Mitstreiter Debuisson – seines Zeichens Arzt – zerrt sie zu Beginn von Mirko Borschts Heiner-Müller-Inszenierung „Der Auftrag“ aus einer senkrecht in der Bühnenmitte aufragenden Hightech-Röhre hervor. Da liegen sie nun, die aufständischen Kollegen Galloudec und Sasportas, nackt und leichenstarr oder zumindest über Jahrhunderte schockgefrostet, und müssen erst mal mit dem Auftauwaschlappen reanimiert werden. So viel also – wer wollte den Befund bestreiten – zum revolutionären Status quo im Maxim Gorki Theater. Auch bei Müller ist „Der Auftrag“ ja lediglich die „Erinnerung an eine Revolution“. Er wird rückblickend von seinem Scheitern aus erzählt.

Im Szenario von Bühnenbildner Christian Beck – einem diffusen Schaltzentrum mit flimmernden Bildschirmen und cleanem Pseudo-Design-Mobiliar, in dem die Menschen auch mal wie Roboter in dunkelblauen Einheitsanzügen umherstiefeln – scheint der Revolutionsgedanke freilich ganz besonders weit weg: Spacige Firmenzentrale trifft auf universellen Klinikcharme, Marke „Schöne neue Welt“. Gemessen an diesem Ambiente, schnurrt Müllers Text dann allerdings überraschend old-school-mäßig ab.

Die Revolution exportieren

Der titelgebende „Auftrag“ ergeht bekanntlich an Debuisson (Till Wonka), den „Sohn von Sklavenhaltern auf Jamaika, mit Erbrecht auf eine Plantage mit vierhundert Sklaven“. Und zwar während der Französischen Revolution, vom Pariser Konvent. Debuisson soll die Revolution gleichsam exportieren und auf Jamaika einen Sklavenaufstand initiieren. Akkompagniert wird er von dem Bauern Galloudec (Aram Tafreshian) und dem der Sklaverei entflohenen Sasportas (Falilou Seck).

Zur Tarnung seines revolutionären Auftrags reproduziert das Trio – durchaus existenziell konfliktverschärfend – die „Masken“ der Vergangenheit: Debuisson gibt den Sklavenhalter, Galloudec seinen Aufseher, Sasportas den Sklaven. Bevor die Mission erfüllt werden kann, ist sie freilich hinfällig geworden. Zumindest für Debuisson. In Frankreich hat Napoleon die Macht übernommen. „Ich will mein Stück vom Kuchen der Welt“, erklärt Debuisson den Kameraden, die an der Befreiungsmission festhalten. „Ich werde mir mein Stück herausschneiden aus dem Hunger der Welt. Ihr, ihr habt kein Messer.“

Keine nennenswerten interpretatorischen Akzente

Das Gorki-Ensemble arbeitet sich unter Borschts Regie grundsolide durch diesen „Auftrag“. Man nimmt den Text ernst, ohne sich für nennenswerte interpretatorische Akzentuierungen oder heutige Blickwinkelverschärfungen zu entscheiden. Wer vorher in der Gorki-eigenen Zeitschrift den Text von Ayham Majid Agha gelesen hat, der in der Inszenierung mitwirkt, dürfte möglicherweise anderes erwartet haben. „ ,Der Auftrag’ schien für mich geschrieben worden zu sein“, notiert der syrische Regisseur, Autor und Schauspieler über seine erste Begegnung mit Heiner Müllers 1979 entstandenem Stück anno 2011. Die von Ayham Majid Agha aufgeworfene Frage, „was passiert, wenn der Einbruch der Zeit in das Spiel nicht mehr zu leugnen ist“, findet in Borschts Bühnenpraxis allerdings keinen Eingang.

Das Einzige, was sich die Inszenierung leistet, sind gelegentliche Bedeutungsmarker und Stimmungsverstärker. Nicht unbedingt zu ihrem Besten. So schreibt die allegorische Figur „Erste Liebe“ (Cynthia Micas) Debuisson „Hure“ auf die nackte Brust, während sie ihn mit seinen vorrevolutionären Familienverstrickungen konfrontiert. Eine Zuschreibung, die man auch verstanden hätte, ohne dass der Sklavenhalterspross sie abendfüllend wasserfest vor sich herträgt.

Die Musikerin Romy Camerun untermalt das Geschehen immer wieder mit lyrischen Revolutionsabgesängen, die nach verlorener Liebe klingen. „This is the end of the line / how can I ever be fine?“ Da scheint der gesellschaftliche Umsturz ähnlich weit weg wie in der Tiefkühlröhre.

Wieder am 7. und 9. Januar, 19.30 Uhr

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