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Wir sind für die Künstler da. Annemie Vanackere, Theaterleiterin.

© Dorothea Tuch/HAU

HAU-Chefin Annemie Vanackere: "Wer braucht Konflikte?"

Seit fünf Jahren ist Annemie Vanackere Intendantin des Hebbel am Ufer. Ein Gespräch über Macken, Moden und Männlichkeitsgebaren an Berliner Bühnen.

Frau Vanackere, seit fünf Jahren leiten Sie das HAU Hebbel am Ufer, und Sie haben noch fünf Jahre vor sich. Ein guter Moment also, einmal über ein paar grundsätzliche Dinge zu sprechen. Wie erklären Sie jemandem in aller Kürze, was für ein Theater das HAU ist?

Wir sind ein Haus für performing arts, das Werke von frei arbeitenden Künstlern und Künstlerinnen zeigt und produziert, also alles zwischen Tanz und Theater in seiner ganzen Breite. Dazu kommt ein Musik- und Diskursprogramm. Wir haben zwar kein eigenes Ensemble, aber wir arbeiten mit wiederkehrenden Künstlern und Künstlerinnen, die wissen, dass wir für sie und das Publikum da sind.

Sie präsentieren also in der Hauptsache Berliner Künstler?

Ja, das ist der Schwerpunkt. Aber das ist natürlich eine internationale Truppe, und gar nicht mehr so zu trennen von unserer internationalen Programmlinie. Unsere Künstlerinnen kommen zum Beispiel auch aus Griechenland oder den USA, woher auch immer, sie haben ihren Arbeitsmittelpunkt eben in Berlin. Die Berliner Szene hat sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren enorm entwickelt.

Freie Szene – ein veränderlicher Begriff. Die Freie Szene in Berlin wächst also auch deshalb, weil hier so gute Arbeitsbedingungen und Fördertöpfe existieren. Gibt es da eine Grenze des Wachstums?

Es gibt in Deutschland, mehr als anderswo, starke Staats- und Stadttheaterstrukturen. Davon grenzen sich die Freien ab und umgekehrt. Ich träume aber immer noch davon, dass es Künstlerinnenkarrieren jenseits dieser starren Definitionen gibt. Das HAU ist übrigens auch eine landeseigene Institution, also eine Art Stadttheater. Allerdings wünsche ich mir größeren Handlungsspielraum und bessere Produktionsmöglichkeiten.

Als das HAU 2003 gegründet wurde, waren die Kuratoren im Theater noch nicht überall. Jetzt wird in Ihrem Bereich nur noch kuratiert. Mögen Sie das Wort?

In den Niederlanden, wo ich lange gearbeitet habe, nennen sich diese Leute Programmmacherinnen. Das finde ich eigentlich in Ordnung, aber hier sind alle Kuratoren. In den letzten Jahren hat Kurator vielleicht nicht ganz zu Unrecht einen schlechten Ruf bekommen.

Weil damit eine bestimmte Kunst- und Theaterform gemeint ist, ein austauschbares Betriebssystem?

Mit dem Wort Kurator verbindet sich durchaus die Vorstellung von einem dicken Ego, von einem, der sich vor die Künstler setzt. Wir sehen es am HAU anders. Kuratierte Kunst, kuratiertes Theater – das verweist häufig auf billige Etikette, schnelle Nummern, aufs Geschäft. Wir treten eher als Team auf und versuchen solche Entwicklungen, wie Sie sie beschreiben, zu unterlaufen. Wir sind nicht wie andere in dieser Stadt in die Idee verliebt, uns als Kuratorinnen zu präsentieren.

Theater in Berlin ist stark durch Konkurrenzdenken geprägt. Immerzu wird verglichen und neidisch geschaut – der und ich, die und wir ...

Das ist leider so. Das hat in den letzten fünf Jahren, wie ich es erlebt habe, zugenommen. Ich habe mir das auch ein wenig angewöhnt (lacht). Konkurrenz belebt das Geschäft? Naja. Ich möchte mich aber nicht permanent vergleichen, davon wird man nicht besser. Und darüber hinaus widerspricht der Abgrenzungswahn der programmatischen Ausrichtung vieler Theater, zum Beispiel der Behauptung von Inklusion.

Künstler wie Vegard Vinge und Ida Müller, die früher an der Volksbühne waren, würden Sie im HAU auch gern zeigen, oder?

Sicher, aber es würde uns umbringen unter den jetzigen finanziellen Bedingungen. Die Berliner Festspiele können Vinge und Müller produzieren, weil sie Millionen für ihr „Immersions“-Projekt bekommen haben. Solche Formate sind sehr teuer ...

„Immersion“ ist noch so ein Wort. Aber Worte bestimmen auch, was passiert. Was heißt das eigentlich „Format“?

Ich habe das mal auf einem Podium gesagt: Das HAU an sich muss Format haben oder soll selbst das Format sein – und nicht mit vielen kleinen Klammern und Überschriften arbeiten müssen. Übrigens ist Format ein sehr männlicher Begriff. Männer sagen: Das ist mein Format, und da klebt mein Name drauf für die Geschichtsbücher. Eine Art Phallussymbol. Jetzt sind wir doch im Vergleichsmodus. Wenn es sein muss.

Ich erspare es Ihnen auch nicht: Was heißt es für das HAU, wenn ein Landsmann von Ihnen die Volksbühne übernimmt, ein internationaler Kurator?

Die Nationalität bedeutet nur etwas, wenn jemand ständig darauf hinweisen würde, ich bin Belgier oder sonst irgendetwas.

Das tut aber Chris Dercon, und darauf weisen ihn andere mehr oder weniger freundlich hin. Da ist der Mann aus London, vielleicht zu international …

Ich kann das nicht so gut nachvollziehen. Sicher ist es wichtig, woher man kommt, welche Kontexte und Verhältnisse, welches Denken einen geprägt haben. Aber in Berlin fällt noch stärker als das Konkurrenzdenken der Personenkult auf. Und da macht ihr von der Presse ja auch mit. Wenn das zum Hauptthema wird, dann bin ich raus.

Wenn man an die Volksbühne denkt: Ihre Übernahme des HAU verlief seinerzeit relativ harmonisch. So muss es doch sein, wenn Bühnen in andere Hände kommen, oder?

Ich kannte das HAU natürlich von früher, es war das Haus in Berlin, das mir am nächsten stand in seinen Strukturen. Und die wollte ich auch nicht grundsätzlich verändern. Die Leute in Berlin kannten mich kaum, als ich hier ankam. Es gab mir gegenüber auch Skepsis, aber vor allem eine neugierige Haltung. Man hat mir alle Chancen gegeben.

Nun war Matthias Lilienthal, der ja auch von der Volksbühne kam, nicht so heilig wie Frank Castorf.

Ich weiß nicht, ob es hier um heilig geht. Die Frage ist doch, wie kann man an etwas sehr Wichtiges für diese Stadt anknüpfen? Aber auch bei Matthias gab es Abschiedsschmerz nach neun Jahren. Es gab eine schöne Offenheit von ihm, als ich kam, die Übergabe verlief gut. Ich halte allerdings auch nichts davon, wenn jemand neu hier ist und erst mal die Stadt beschimpft.

Die Umgangsformen in der Berliner Theaterszene sind zum Teil mies. Das Klima verschlechtert sich.

Ein blödes Klischee: Es gibt immer zwei Leute, die schlecht sind – dein Vorgänger und dein Nachfolger. Und es gibt diese Theaterleiter oder Museumsleute, die sagen: Ich brauche den Konflikt! Nein, brauche ich nicht. Das sind wieder so Kerle-Manieren. Ich brauche den Konflikt, meint nur: Ich habe die Muskeln, ich werde das lösen. Das ist nicht mein Ding.

Was ist denn Ihr Ding?

Wir eröffnen die Saison mit einem Stück von Philippe Quesne, „Die Nacht der Maulwürfe“. Quesne macht im Grunde konfliktfreies Theater. Das Leben ist voller Konflikte, klar. Aber kann man auf der Bühne mit anderen Möglichkeiten experimentieren? Wird unsere Fantasie angeregt? Es geht mir auch um die spielerische Seite, um den Homo ludens, und das ist eine ernsthafte Sache.

Sind wir in der Kunst und im Theater in eine Falle gelaufen? Sind wir zu ernst, zu vordergründig engagiert und flach politisch, zu hysterisch?

Es könnte ein deutsches Phänomen sein. Das niederländische Theater dagegen ist vielleicht zu sehr auf Spaß und Unterhaltung aus. Auch nicht gut. Theater verändert die Welt nicht. Das wäre ein falscher Anspruch. Aber es ist ein wesentlicher Teil der Welt. So habe ich in letzter Zeit einige neue Arbeiten gesehen, zum Beispiel von Meg Stuart, die sind frech, die haben eine solche Kraft, da kommst du mit einer ungeheuren Energie nachher heraus. Ein kollektives Erleben und Erheben – etwas Besseres gibt es doch nicht

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

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