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Lucky (Harry Dean Stanton, r.) philosophiert mit Howard (David Lynch) über Gott und die Welt.

© Alamode

Harry Dean Stanton in "Lucky": Der Zen-Cowboy

Wenn die Uhr stehen bleibt: Mit „Lucky“ erweist John Carroll Lynch dem Hollywood-Veteranen Harry Dean Stanton die letzte Ehre.

Von Andreas Busche

Harry Dean Stanton ist Lucky. Programmatischer als mit diesem Satz auf der Leinwand könnte John Carroll Lynch sein Regiedebüt nicht eröffnen. Die Gleichsetzung des am 14. Juli 2017 im Alter von 91 Jahren verstorbenen Leinwandveteranen mit dem Film „Lucky“ war bereits vom Autorenteam Logan Sparks und Drago Sumonja angelegt. Sie hatten das Skript mit Stanton im Hinterkopf geschrieben. Einem Schauspieler, der sich in seiner über 50-jährigen Kinokarriere den Ruf eines exzellenten Nebendarstellers erarbeitet hatte. Stanton ließ die Stars in einem vorteilhaften Licht erscheinen, seinen Kumpel Jack Nicholson in Monte Hellmans Western „Ritt im Wirbelwind“, Warren Oates in „Two-Lane Blacktop“ und "Cockfighter" (ebenfalls von Hellman), Dustin Hoffman in „Stunde der Bewährung“, Kurt Russell in „Die Klapperschlange“ und Molly Ringwald in „Pretty in Pink“.

„Lucky“ ist erst Stantons zweite Hauptrolle nach der Figur des Drifters Travis in Wim Wenders Neo-Western „Paris, Texas“. Dass es nun gleichzeitig auch seine letzte Kinorolle geworden ist, verleiht dem Film einen bittersüßen Beigeschmack, der allerdings schon in der Geschichte angelegt ist. Die Chronik eines angekündigten Todes, gewissermaßen.

Eine Hommage an Harry Dean Stanton

Einen Film im herkömmlichen Sinn kann man „Lucky“ eigentlich nicht nennen. Er ist vielmehr eine Hommage an Stanton, über den niemand in Hollywood je ein schlechtes Wort verloren hat. Die Ehrfurcht und Zuneigung, die der Regisseur (nicht verwandt mit David Lynch, der im Film ebenfalls einen Auftritt hat) seinem Star entgegenbringt, spürt man unentwegt. Tatsächlich ist Harry Dean Stanton in nahezu jeder Einstellung zu sehen.

Lucky beginnt den Tag mit morgendlichen Routinen: eine Rasur, eine Zigarette, ein paar leichte Yoga-Übungen, ein Glas Milch – sein Kühlschrank ist bis auf drei Milchpackungen leer. Stantons hagere Figur, das welke Fleisch, das an seinen Armen und von seinem Brustkorb herabhängt, geben ein bewegendes Bild von der Vergänglichkeit des menschlichen Körpers ab. Aber sobald der klapprige Lucky in Alltagskleidung (Jeans, Westernhemd, Cowboystiefel, Hut) vor die Tür seines Hauses in einem gottverlassenen Nest im amerikanischen Westen tritt, steht da wieder der alte Harry Dean Stanton, wie man ihn aus seinen Filmen kennt.

Der Tod zaubert ein Lächeln ins Gesicht

Luckys Tagesablauf ist so genau durchgetaktet, dass man die Uhr nach ihm stellen könnte. Tatsächlich klappt er zusammen, als er merkt, das die Digitaluhr im Wohnzimmer stehen geblieben ist. Für den Einsiedler ist der Schwächeanfall ein Warnsignal, seine Zeit auf dieser Welt ist endlich. Er hat nicht die Lebenserwartung der Schildkröte Roosevelt, die seinem Freund Howard (David Lynch) gerade ausgebüxt ist – wobei sich der alte Mann und das verlorene Reptil in ihrer Physiognomie nicht unähnlich sind.

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Howard hält in der einzigen Bar des Wüstenkaffs eine hübsche kleine Rede über das Schicksal, die auch als Quintessenz von „Lucky“ zu verstehen ist. So pendelt sich Lynchs Film in einen meditativen Zen-Zustand ein, mit kurzen Vignetten aus Alltagsritualen und philosophischen Monologen, die manchmal in den höheren Unsinn abdriften – beziehungsweise die Manierismen komischer alter Männer. Aber immer geht es darum, Stanton eine Bühne zu bereiten, ihn in ein gutes Licht zu rücken – zurückzugeben, was er sein Leben lang für seine Kollegen getan hat. David Lynch hatte Stanton auf ähnliche Weise in seinem „Twin Peaks“-Sequel Reverenz erwiesen. Rührend auch der Auftritt von Tom Skerritt, mit dem Stanton 1979 in „Alien“ vor der Kamera stand. Tatsächlich reden hier zwei Veteranen über ihre Kriegserinnerungen. Luckys Gegenüber erzählt von einem japanischen Mädchen, dem mitten in all dem Schrecken der Gedanke an ein Leben nach dem Tod ein Lächeln ins Gesicht zauberte.

Kein Land alter weißer Männer

Aber die Wirklichkeit, die Lynch zeigt, ist kein Land alter weißer Männer. In den beiden schönsten Szenen bewegt sich Stanton außerhalb seiner Komfortzonen: Mit der schwarzen Kellnerin seiner Stammkneipe kifft er, während die beiden auf der Couch sitzen und eine Gameshow gucken. Und auf der Geburtstagsfeier des zehnjährigen Juan („Juan Wayne“ nennt Lucky ihn) singt Stanton mit brüchiger Stimme ein Mariachi-Lied.

Die Sentimentalität von „Lucky“ ist dennoch eher untypisch für die Figuren, die Harry Dean Stanton verkörperte: Er war stets ein Mann weniger Worte. John Carroll Lynch versucht hier etwas Ähnliches wie der Produzent Rick Rubin mit dem alternden Johnny Cash: Er verhilft Stanton zur eigenen Legendenbildung, indem er dessen Vergänglichkeit zeigt,sie geradezu modelliert. Nicht zufällig läuft in einer impressionistisch gefilmten Szene Cashs „I See a Darkness“, während Lucky auf dem Bett eine Zigarette raucht. Dabei ist Stanton schon am Anfang des Films ins gleißende Licht getreten.

In 14 Berliner Kinos, OmU: Bundesplatz, Delphi Lux, Eiszeit, Filmtheater Friedrichshain, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Moviemento, Odeon; OV: Cinestar Sonycenter, Rollberg

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