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Harold Pinter: Der Wahrsager

Mystery-Man des Welttheaters, Nobelpreisträger und Bush-Kritiker: Zum Tod von Harold Pinter.

Große Dramatiker sind auch Menschenfischer, und wer ihnen als Schauspieler ins Netz geht, den verwandeln sie manchmal ganz unerhört und unversehens. Harold Pinter hat das sogar mit dem populärsten aller Deutschen geschafft. Es war in den Münchner Kammerspielen, da herrschte eines Abends ein sonderbar schwarzweißes Zwielicht, und so zwischen Tag und Nacht schälte sich aus einem grauen Lumpenhaufen am Boden ein struppiger alter Mann heraus, der aus grauestem, greisenhaftem Griesgram sich allmählich aufschwang in die allerjüngste, tückisch behendeste Boshaftigkeit.

Dieser grau strahlende Finsterling war tatsächlich Deutschlands Liebling: Heinz Rühmann, und zu dessen 70. Geburtstag hatte der als Regisseur doch eher mittelmäßig brave August Everding 1972 in München ein Stück von Harold Pinter inszeniert. Aber nicht Pinters noch bösere „Geburtstagsparty“, sondern den nur halb so perfiden „Hausmeister“. Doch Rühmann, so abgründig wie nie zuvor (auch nicht bei Kortner und Beckett und schon gar nicht im Kino), Rühmann spielte den in eine Wohnung unerklärlich eingedrungenen Landstreicher als einen Geisterhausmeister, der, vom Boulevard der Obdachlosen kommend, noch im plattesten Seufzerscherz oder der zwielichtig-durchsichtigsten Altmännerintrige ein Welträtsel zu bewegen schien.

Ähnlich wie Beckett war der1930 als Sohn eines Flüchtlings, eines russisch-jüdischen Schneiders in London geborene Harold Pinter zu Beginn vor allem ein Männerrollenschreiber. Ein Erfinder zunächst der hellgrauen Dunkelmänner – also keiner farbigen, blutvollen Charaktere. Sondern von erst mal anämisch wirkenden, doch insgeheim vampirisch veranlagten Durchschnittstypen der tieferen Mittelklasse. Ihre Unscheinbarkeit kippt irgendwann mit ein paar doppelbödigen Wendungen des meist knappen Dialogs – ins irrlichternd Unheilvolle.

Niemand hat wie Pinter das Graue und das Grauen so innig gepaart, und aus Passanten, beiläufigen Besuchern oder Mitbewohnern mysteriöse Agenten, Gangster und Folterer gemacht – oder auch mal nur giftige, vergiftete Scherzkekse. Deren Bedrohung erscheint, seit Pinters Debüt vor 50 Jahren mit der „Geburtstagsparty“, immer völlig kalt, logisch und im letzten ungreifbar. Das hat dem Autor der dann folgenden Welterfolge wie „Die Heimkehr“, „Der Liebhaber“ oder des „Hausmeisters“ das Adjektiv „pinteresk“ eingetragen, in Anspielung an das unheimlich Absurde des „Kafkaesken“. Und Pinter selbst hat sich, ohne seine parabelhaften Stücke je zu erklären, in klugen Essays immer zum Schweigen mit und ohne Worte, zum Trügerischen, auch Lügnerischen der Sprachen des Kopfes und des Körpers bekannt. Und später dann umso klarer die Lügen und Täuschungen der Politik benannt.

Damit ist er auch, als seine raffinierten Zimmerschlachten, Partygemeinheiten und zwielichtigen Hinterhofbegegnungen, jene dramatischen Fallen-Spiele der 50er bis frühen 70er Jahre fast schon vergessen schienen, noch ein zweites Mal weltberühmt geworden. Unter dem Eindruck vor allem der von den USA gestützten lateinamerikanischen Diktaturen in Chile, Nicaragua oder Argentinien hat er zwei scheinbar triviale, im Kern jedoch unheimlich böse Kurzstücke über und gegen die Folter geschrieben, die auch in deutschen Theatern allüberall inszeniert wurden („Noch einen Letzten“ und „Bergsprache“, 1984/88). Nach den Skandalen von Abu Ghraib und Guantanamo hat man sich dieser Texte nochmals erinnert.

Harold Pinters dritte Karriere begann dann erst in seinen letzten Jahren. Gekrönt wurde sie 2005 mit dem damals alle Welt und auch Pinter selbst überraschenden Literaturnobelpreis. Hinter seinen Rätsel-Stücken schien er als Person einst ganz zurückgetreten. Doch obwohl er seit 2001 bereits von einem schweren, mehrfach operierten Krebsleiden gezeichnet war, hat sich Pinter in seiner noch verbliebenen Lebenszeit so leidenschaftlich wie sonst nur die (gleichfalls schon krebskranke) Susan Sontag in den USA gegen die Regierung Bush und den Irak-Krieg engagiert.

Harold Pinter ist so zum größten Gegenspieler seines verpudelten Premierministers Tony Blair geworden: als poetisch-essayistisches, in dramatischen Reden Einspruch erhebendes Gewissen der britischen Nation. Er, der auch am New Yorker Broadway Triumphe gefeiert hatte, geißelte immer heftiger die Politik der USA und ihre Blutspur von Vietnam über Mittelamerika bis zum Nahen Osten. Im November 2002, als er einen Ehrendoktor der Universität Turin erhielt, sah er den Tod tausender Zivilisten und Soldaten voraus und schloss, ein halbes Jahr vor dem Beginn des Irak-Kriegs: „Wenn Europa nicht die Solidarität, Intelligenz, Courage und den Willen findet, die US-Macht herauszufordern und ihr zu widerstehen, verdient Europa selber Alexander Herzens Definition: Wir sind nicht die Ärzte. Wir sind die Krankheit.“

Drei Jahre später, nach seiner Nobelpreisrede in Stockholm, die der Krebskranke mit heiserer Stimme und unerbittlichem Zorn gegen Amerikas Verrat an den eigenen Idealen vorgetragen hatte, sprach der Londoner „Guardian“ von Pinters „kontrollierter Wut und tödlicher Ironie“, die den Reporter „paradoxerweise“ wieder an Pinters berühmte Dramen erinnerte. Allerdings sollte man, spätestens jetzt, auch daran erinnern, dass dieser unbestechlich unerbittliche Autor auch schon in den 70er und 80er Jahren mit Hartnäckigkeit etwa für seinen in der damaligen CSSR inhaftierten Kollegen Václav Havel eingetreten war. Anders als andere Linke war Pinter, wenn denn die Kategorien Links oder Rechts auf ihn je zutrafen, nie blind auf dem einen (oder anderen) Auge.

Auch war er jenseits des absoluten moralischen Engagements nie einer der typischen „angry young men“, zu deren englischer Dramatiker-Generation er doch neben John Osborne und Edward Bond gehört hatte. Geboren im poveren Londoner East End, ist Pinter ja auch schnell ein Mann des West Ends, des Erfolgstheaterviertels und des gebildeten Entertainments geworden. Selber gelernter Schauspieler und darin auf der Bühne ein eleganter Minimalist, der vor seinem Tod noch einmal eisgrau, als verlöschender Vulkan Becketts Krapp im „Letzten Band“ gespielt hat, war Pinter zudem ein erstklassiger Regisseur.

Als er vor 15 Jahren erst am Royal Court und dann im West End David Mamets „Oleanna“ inszenierte, wurde der hinterfotzige, die Political Correctness und den neuen Gender-Fight an den amerikanischen Universitäten umspielende Boulevardthriller zum kriminalistisch- poetischen kleinen Weltdrama. Wurde ein aktueller Streithügel zum modernen Strindberg. Das hatte Pinter als Tragikomiker auch bei seinen eigenen, späteren Stücken geschafft: etwa beim Ehebruch Vexierspiel „Betrogen“ oder dem betörenden Altmännerzweikampf im „Niemandsland“, der 1975 in London mit John Gielgud und Ralph Richardson uraufgeführt und bald darauf im Berliner Schlossparktheater noch fabelhafter von Martin Held und Bernhard Minetti als Duellanten, bewaffnet mit nichts als Whiskey, Wortwitz und Komödiantenwahnsinn, nachgespielt wurde.

Pinter ist als Agnostiker am Heiligabend in London mit 78 Jahren gestorben ist, fast auf den Tag 19 Jahre nach Beckett. Was er nicht mehr erlebt hat: dass sein wunderbares Drehbuch zu Marcel Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ noch verfilmt wurde. Pinters Stücke und Drehbücher sind ansonsten vielfach in die Kinos gekommen, am schönsten wohl Joseph Loseys „Accident – Zwischenfall in Oxford“ mit Dirk Bogarde und „The Go-Between“ mit Julie Christie und Alan Bates. Immer waren es um die Geheimnisse von Verbrechen und Täuschungen, Liebe und Verrat gewebte Stoffe. Dieser Faden ist nun gerissen.

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