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In der Höhle von Gottvater Zeus. Der kretische Lyra-Spieler, Komponist und Sänger Antonis Xylouris, genannt Psarantonis.

© bergmannfilm.de

Harald Bergmanns Griechenland-Doku „Vorzeit“: Auf die Frühgeschichte folgt die Krise

Segen des Zeus: Der Eröffnungsfilm des 5. Hellas Filmbox Berlin Festival ist ein poetischer und politischer Lobgesang griechischen Lebens.

Ursprünglich wollte der Berliner Kulturfilmemacher Harald Bergmann, ein Kenner und Liebhaber Griechenlands, ein Projekt über die minoische Epoche angehen. Vor rund 4000 Jahren hatten die Minoer von Kreta aus die erste Hochkultur in Europa begründet, auch Gottvater Zeus stammte, mit allen mythischen Folgen, aus Kreta.

Dorthin, zum Berg Ida, ist Bergmann mit nur einer Handkamera gereist. So beginnt er seinen Film „Vorzeit – Eloge auf Griechenland“ mit der Annäherung an einen Felsspalt, hinter dem sich die bis heute verehrte Geburtshöhle des Gottes öffnet. In ihr wird Psarantonis, Kretas großer alter Barde, mit der Lyra seine melancholisch stolzen Weisen spielen und mit struppigem Bart und mächtiger Mähne selber wie der Göttervater ausschauen.

Deutsche und europäische Ignoranzen benennen

Alles ist hier ein Lob- und Beschwörungslied. Aber die Reise in die Frühgeschichte wird 2015 eingeholt von der Zeitgeschichte. Von dem, was in den Medien und der EU-Politik als Griechenland- Krise bezeichnet wird. Nicht nur in deutschen Bildblättern ist da von den „faulen Griechen“ die Rede, und unter der Ägide Berlins wird Athen eine opferreiche Sparpolitik oktroyiert, während es doch um die Rettung der Banken geht und Deutschland an der Krise sogar verdient.

Das ist als Erkenntnis nicht neu. Aber Bergmann zitiert – im Off gesprochen von Ulrich Tukur – Jürgen Habermas, der davor warnt, dass alles, was deutsche Diplomatie nach 1945 an Sympathie für ein gewandeltes Deutschland-Bild in Europa aufgebaut habe, durch eine rücksichtslos rechthaberische Politik gegenüber Griechenland infrage gestellt werde.

Interviewpartner im Film, vom italienischen Philosophen Franco Bernardi bis zum Wirtschaftsjournalisten Harald Schumann vom Tagesspiegel, sowie griechische Künstler, Tavernenwirte, Taxifahrer oder eine achtzigjährige kretische Bäuerin und wunderbar kosmopolitisch denkende Menschenfreundin, sie alle beschwören den notwendigen und gefährdeten Zusammenhalt des alten und neuen Europas.

Sie benennen deutsche, europäische Ignoranzen und sind allerdings eher nachsichtig mit den (Selbst-)Täuschungen auch der griechischen Politik, mit der Korruption, die nicht nur Sache einer Oberschicht oder deutscher Konzerne war.

Lobgesang des griechischen (Über-)Lebens

Witzig freilich, wenn ein Grieche sein Plumpsklo an einem Berghang mit fantastischem Meerblick als „schönstes Scheißhaus“ und damit Symbol der Krise und ihrer Bewältigung präsentiert. Berührend, als Bergmann erzählt, wie ihm ein altes Bauernpaar sein einziges Bett angeboten hat und selbst auf einer Matratze vor der Haustüre schlief. Erst am nächsten Morgen erfährt Bergmann, dass der Vater seines Gastgebers von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg erschossen wurde.

Der mit Low-Budget gedrehte, auch Fotos von Athener Demonstrationen noch virtuos in filmische Sequenzen verwandelnde Lobgesang griechischen Lichts und (Über-)Lebens eröffnet an diesem Donnerstag das 5. Hellas Filmbox Berlin Festival im Kino Babylon. Ein sanft radikales, naiv kluges Werk.
[Kino Babylon Mitte, 16.1., 19.30 Uhr. Info zum Festival (bis 19. 1.): hellasfilmbox.de]

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