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Zufallsbelichtung. Mit der Lochkamera gewonnene Impression von einer „Winterreise“.

© Hanns Zischler/Stiftung Schloss Neuhardenberg

Hanns Zischler im Archiv: Verzettelung ist produktiv

Sammler fast aller Künste: Hanns Zischler stellt in der Berliner Akademie sein Archiv vor.

Von Gregor Dotzauer

Man muss nicht in den letzten Zügen liegen, um über einen Grabspruch nachzusinnen. Manchmal drängt sich einem schon lange vor der Zeit auf, was das Gesetz des eigenen Lebens ist. Ulrich Gembardt, ein enzyklopädisch gebildeter und zum Büchersammeln verdammter WDR-Funkjournalist, soll für sich vorgeschlagen haben: „Er hat bis zum Schluss versucht, aufzuräumen!“ Hanns Zischler, von einer nicht minder heftigen Sammelwut getrieben, zeigt sich in der Akademie der Künste von Gembardts Selbsterkenntnis ganz begeistert.

Dieses Aufräumen, sagt er, ist an sich natürlich eine leere, inhaltslose Tätigkeit. Sie muss scheitern, aber die Formen des Scheiterns seien interessant. Und er schwärmt von einer Ökonomie der Umwege, die er sich zu Eigen gemacht hat. Sich zu verzetteln, glaubt er, ist nicht nur unvermeidlich, es ist auch produktiv. Und während andere an dem ersticken, was sie ihren Sammlungen einverleiben, lässt es ihn frei atmen. Was Eingang findet, wird in verwandelter Form auch wieder ausgeschieden. Sammeln, sagt er, ist für ihn ein organischer Prozess.

Inmitten des Sortierens und Umschichtens seiner Material- und Gedankenwelten hat Hanns Zischler, der am 18. Juni Juni seinen 70. Geburtstag feiert, jetzt erst einmal zu Hause ausgeräumt. Die Akademie, die ihn vor drei Jahren als Mitglied der Sektion Literatur aufnahm, bewahrt nun einen Teil seiner Archivalien auf: Redemanuskripte, Briefe, Skizzenhefte zu Büchern und Filmen, Pressefotos. Drei Vitrinen vor dem Saal am Pariser Platz vermitteln eine Ahnung von der Breite seiner Schätze – und der Weite seiner Interessen. Denn obwohl Zischler als Schauspieler und Sprecher berühmt geworden ist und damit bis heute sein Brot verdient, gehört seine Liebe der Literatur, als Kafka- und Joyce-Forscher in der sekundären Form wie als Erzähler und Essayist in der primären. Seine Leidenschaft wiederum ist das Fotografieren. Es ist die Muse, die mir seit meinem 16. Lebensjahr die nächste war, sagt er.

Fasziniert von Wasser, Nebel oder Gischt

Die Unvorhersehbarkeit, mit der seine Lochbildkamera durch lange Belichtungszeiten Dinge wahrnimmt, die dem gewöhnlichen Auge verschlossen bleiben, lässt ihn noch immer staunen. Und dass er nicht müde wird, die Pinhole mit Fluidem zu konfrontieren, mit Wasser, Nebel oder Gischt, hat Zischler, der neuerdings auch das Ballonfahren als Gegenstand seiner Sehlust entdeckt hat, mit einer sympathischen Haltung zu tun: Man muss die Dinge pflegen, indem man sie wiederholt, sagt er. In der Ausstellungshalle von Schloss Neuhardenberg sind unter dem Titel „Lauter Umwege – Sieben Versuche, die Zeit festzuhalten“ noch bis zum 25. Juni Proben seiner Kunst zu sehen.

Brummbärig wirkt er, wie er über seine Arbeit Auskunft gibt, durch das mittelfränkische Kolorit hindurch, das Zunge, Rachen und Gaumen des gebürtigen Nürnbergers bis heute sanft durchschwirrt. Vielleicht ist es auch der von einer Filmrolle erzwungene Bart, der ihm so sehr Verdruss bereitet, dass er sich am Ende sogar bemüßigt fühlt, die Stoppeln zu entschuldigen. Tatsächlich umwehte Zischler, der schon zu Münchner Studentenzeiten die schwarzen Anzüge eines kriegsvermissten Onkels auftrug, stets der Hauch eines Elegants, ohne dass er zum Dandy neigte. Das Soignierte wurde für ihn ein Schutz und ein Markenzeichen, das er, weder ein großer Verwandlungskünstler noch ein bloßer Selbstdarsteller, in seinen Filmen mit einer Aura von Geheimnis kultivierte.

Als Zischler 1975 in Wim Wenders’ Film „Im Lauf der Zeit“ seinen Durchbruch feierte, wohnte er seit sieben Jahren in Westberlin. Er hatte an der FU bei Klaus Heinrichs Religionsphilosophisches gehört, an der Seite von Dieter Sturm an der Schaubühne als Produktionsdramaturg angeheuert, und war zu Heiner Müller, dessen „Lohndrücker“ er als Frank Patrick Steckel inszenieren half, in den Osten gereist. Mit der Rolle des schweigsamen Kamikaze, der neben Rüdiger Vogler elbaufwärts an der deutsch-deutschen Grenze in einem Möbelwagen durch die Lande fährt, stieß er das Tor zum Kino auf, bis hin zu Steven Spielberg, mit dem er sich im Vorfeld von „München“ später glänzend über das Genie von Buster Keaton unterhielt. Kamikaze, das war die Persona eines Einsamen, der den Überfluss seiner Freiheit zugleich als Lähmung empfindet, ein sehnsuchtslos Sehnsuchtsvoller, unberührbar in seiner hellwachen Melancholie.

Abschied von einem Deutschland in Schwarzweiß

Das als zeittypische Befindlichkeit zu lesen, lehnt er inzwischen ab. Wenn man sich in Filme hineinbegibt, deren Rollen nicht bis ins Detail ausgeschrieben sind, sagt er, und dann noch sechs wunderbare Sommerwochen lang umherzieht, glaubt man am Ende selbst: Das bin ich. Für ihn bleibt ein Film, der zum letzten Mal in Schwarzweiß von einem Deutschland erzählt, das sich von seinem Schwarzweiß verabschiedet. Dieser Blick auf Lichtlandschaften entlang von Wüsten, sagt er, habe sich ihm eingeprägt, viel stärker als jedes Männer- und Freundschaftsgetue.

Zur Jahrtausendwende schlossen ihm die naturkundlichen „Wunderkammern des Wissens“ im Gropius-Bau ein neues Universum auf. Ein Jahrzehnt später unternahm er im eigenen Alpheus Verlag mit seinem Buch- und Filmprojekt „Vorstoß ins Innere“ Streifzüge durch das Museum für Naturkunde. Zusammen mit Sabine Hackethal folgte er Friedrich Sellows Spuren bei der „Erkundung Brasiliens“, und am liebsten würde er das aquarellierte, in Berlin als Unikat aufbewahrtes „Theatrum naturae“ von Lazarus Röting (1549-1614) der Öffentlichkeit zugänglich machen. Einstweilen beschäftigt ihn vor allem die durch den Imperialismus bis 1918 entstandene Sammlungslawine, die nach wie vor Unerschlossenes in die Museen spülte. Wer weiß, was ihn daran noch mitreißt. Manche Dinge haben einen Appell, sagt Hanns Zischler, und ich lasse mich darauf ein.

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